29.05.2024
Historie

25 Jahre Übersteiger

Der Klassenerhalt am 29. Mai 1999 bleibt auf mehrerer Ebene haften: Eine Siegesserie wider Erwarten, ein Endspiel um jedes Tor und Fjörtofts Treffer für die Ewigkeit. Stimmen von damals und heute.

Jeder Eintracht-Fan weiß, was er am 29. Mai 1999 zwischen 15.30 und 17.20 Uhr gemacht hat. Jan Aage Fjörtoft sagt: „Wenn ich allen glauben würde, die mir erzählen, die beim 5:1 gegen Kaiserslautern dabei waren, wäre das ein neuer Zuschauerrekord – weil dann müssten 200.000 Menschen im Stadion gewesen sein.“ Der Norweger ist zugleich der Mann, der jenem Tag diese historische Note gegeben hat. Dieser Tag ist nun exakt 25 Jahre her. Allein, dass es zu diesem historischen Saisonfinale kam, erschien damals schon als kleines Wunder für sich.

Die Dramaturgie der Wochen vor dem 29. Mai und der Tag an sich sind in der Bundesligahistorie einmalig. Die Eintracht war vier Spieltage vor dem Saisonende gefühlt abgestiegen; erst drei Siege brachten sie überhaupt in die Position, am letzten Spieltag noch Außenseiterchancen auf den Klassenerhalt zu haben. Mit der schlechtesten Ausgangslage unter fünf Vereinen, die am Ende noch Rang 15 erreichen konnten, ging die Eintracht in die Partie gegen den 1. FC Kaiserslautern. Dieser wiederum lag auf Rang vier, der zur Qualifikation zur Champions League berechtigte – allerdings mit dem VfL Wolfsburg und Borussia Dortmund in Schlagdistanz dahinter. Es war also durchaus realistisch, dass der FCK noch punkten musste, um seinen Rang zu verteidigen.

Fünf zu eins Tore – und keines zu wenig.

Als Kaiserslautern dann in der 68. Minute die Führung von Yang Chen (47.) ausgleicht, war der Klassenerhalt so weit weg wie Frankfurt vom Mond. Was danach passierte, kann kein Drehbuchautor erfinden und gab es davor und danach nicht mehr. Thomas Sobotzik (70.), Marco Gebhardt (80.), Bernd Schneider (82.) und Jan Aage Fjörtoft (89.) erzielten vier Tore. Das reichte, um mit dem 1. FC Nürnberg punkt- und torgleich zu sein und durch die mehr geschossenen Tore in der Bundesliga zu bleiben.

Radioreporter Dirk Schmitt.

Für die Spieler war es eine absolute Grenzerfahrung. „Seitdem kenne ich das Wort Gänsehaut“, sagte einst Yang Chen, während Uwe Bindewald hervorhob: „Der entscheidende Unterschied war für mich, dass wir nach dem 3:1 mehr an den Klassenerhalt geglaubt haben als Kaiserslautern an die Champions League.“ Thomas Zampach ist sich sicher: „Wenn wir noch ein sechstes Tor gebraucht hätten, hätten wir das auch noch geschossen.“ Zampach setzte noch einen drauf: „Ich habe mich nur deshalb auswechseln lassen, damit ich Radio hören konnte.“ So hörte er Radioreporter Dirk Schmitt während der legendären Schlusskonferenz jauchzen: „Herrje, welche Leistung“.

„Jörg Berger hätte auch die Titanic gerettet“, sagt Jan Aage Fjörtoft über den viel zu früh verstorbenen Trainer, der mit der Eintracht die Klasse hielt.

Auch für die Fans war es in Zeiten ohne Smartphone eine nervenaufreibende Geschichte. Alexander Schur, vier Jahre später bei der nächsten historischen Sternstunde am 34. Spieltag per Kopf zur Stelle (Stichworte: Reutlingen, 6:3), fasste es vor fünf Jahren in Ausgabe 23 der „Eintracht vom Main“ so zusammen: „Unsere Fans waren mit den Augen zwar bei unserem Spiel, mit den Ohren aber auf den anderen Plätzen. Um jeden, der ein tragbares Radio bei sich hatte und die legendäre Schlusskonferenz verfolgte, hatte sich eine Menschentraube gebildet. […] Selbst nach dem 5:1 konnten wir uns unserer Sache nicht sicher sein.“ Als es diese doch war, kamen die Frankfurter Jungs aus dem Feiern nicht mehr heraus. „Das Spiel war samstags, irgendwann dienstags habe ich mich zu Hause gemeldet und gesagt: Alles in Ordnung, macht euch keine Sorgen“, gestand Olaf Janßen 2023 im Podcast „Eintracht vom Main“.

Fjörtoft, der seither Legendenstatus im Herzen von Europa genießt, war sich des Drahtseilakts bereits im Angesicht des Klassenerhalts bewusst. Einerseits: „Ich bin sehr stolz, dass sich dieser Treffer in das Unterbewusstsein der Bundesliga eingebrannt hat.“ Andererseits hätte es auch anders ausgehen können. „Hätte ich verschossen, hätte ich nie wieder nach Deutschland einreisen dürfen“, hatte er mal über seine Gedanken direkt nach dem Spiel mit einem Schmunzeln berichtet. Bekanntermaßen ist das Gegenteil der Fall, vielmehr stellt sich Fjörtoft ein Vierteljahrhundert später als Internationaler Markenbotschafter und Vorsitzender des Norway Forums in den Dienst der SGE.

Womöglich hat es auch geholfen, dass es nicht sein erster Übersteiger war. Wo und wie Fjörtoft in jungen Jahren an seiner Spielkunst gefeilt hat, hat kürzlich das Eintracht-Medienteam intensiv begleitet. Die Redaktion hat den Norweger in seiner Heimat besucht, um herauszufinden, wo der heute 57-Jährige seine fußballerischen Wurzeln hat. Die große Spurensuche in Gursken findet sich in der im Juni erscheinenden nächsten Ausgabe des Klubmagazins wieder. Unbedingt vormerken! Der Filmbeitrag läuft ab sofort auf EintrachtTV.