29.06.2020
Team

Adi Hütter exklusiv

Der Cheftrainer zwischen Beifahrersitz und Bundesliga, Büffeljagd und Bayernsieg.

Adi, hinter uns liegt eine lange, intensive Spielzeit. Wie hast du das vergangene Jahr wahrgenommen?
Grundsätzlich war es schade, dass die Spielzeit lange unterbrochen wurde. Auf der anderen Seite sind wir alle dankbar, die Saison trotz allem über die Bühne bringen und gleichzeitig sehr viel lernen konnten. So konnte ich die Zeit nutzen, zum einen persönlich zur Ruhe zu kommen, weil am Wochenende keine Spiele stattfanden. Zum anderen konnte ich mich im Rahmen des verstärkten Individualtrainings mehr mit jedem einzelnen Spieler beschäftigen. Das waren zwar positive Nebeneffekte, die im Gesamtzusammenhang aber natürlich nicht erfreulich sind, wie an den Spielen ohne Zuschauer zu sehen war. Das Schwierigste war, nicht zu wissen, ob und wann es weitergeht. Zumal die Jungs mich immer wieder danach gefragt haben, ich selbst aber nicht mehr wusste und immer gesagt habe: Wir sind nur Beifahrer.

Hattest du dir die Phase nach dem Restart so vorgestellt?
Sicher hatte jeder im Vorfeld unterschiedliche Vorstellungen. Nachdem es losging, haben sich alle Beteiligten relativ schnell an die neuen Umstände und Abläufe angepasst, beispielsweise in großen Stadien ohne Zuschauer zu spielen. Trotz allem waren richtig gute Spiele dabei, das Niveau hat sich gut entwickelt. Auf Dauer machen diese Verhältnisse aber keinen Spaß. Ich freue mich heute schon auf den Tag, wenn wir wieder vor Publikum auflaufen dürfen.

Welches Fazit gibst du der abgelaufenen Saison?
Wenn ich allein die Bundesliga betrachte, würde ich es mit einer Achterbahnfahrt vergleichen. Wir hatten eigentlich einen guten Start erwischt, mit dem 5:1 gegen den FC Bayern als Krönung. Vielleicht haben danach viele gedacht, es geht von alleine so weiter. Es folgte eine unglaubliche Negativserie mit einem Punkt aus sieben Spielen bis zur Winterpause. Dafür sind wir einhergehend mit einer taktischen Umstellung umso besser ins neue Jahr gestartet, hatten aber nach je zwei Niederlagen vor und nach der Coronapause die nächste schwierige Phase zu durchstehen, als uns viele schon im Abstiegskampf gesehen haben. Am Ende haben wir aber mit Souveränität, Überzeugung und Vertrauen auch diese Situation sehr gut gemeistert. Platz neun in der Endabrechnung müssen wir auch immer im Zusammenhang mit 54 Pflichtspielen und einigen Abgängen im Sommer sehen. International tue ich mir mit einer Bewertung schwer, weil ich nicht weiß, wie das Hinspiel gegen Basel mit Zuschauern gelaufen wäre. Auch in Europa liegt von der Qualifikationsphase bis zum Achtelfinale ein weiter Weg hinter uns. Ebenso im DFB-Pokal, wo wir im Halbfinale mit dem Auswärtsspiel in München das schwerstmögliche Los erwischt hatten. Logisch, dass wir immer mehr wollen, aber nach einer solchen Saison dürfen wir auch mal mit Platz neun zufrieden sein. Kompliment an alle Beteiligten!

Wenn wir als Eintracht Frankfurt in zwei Jahren 104 Spiele bestreiten, muss man auch mal Abstriche in Kauf nehmen.

Adi Hütter

Gelson Fernandes hatte an dieser Stelle einmal gesagt, bei über 100 Spielen in zwei Jahren wären Leistungen am Maximum nicht immer möglich. Stimmst du dem zu?
Ich sehe es als großen Vorteil, dass ich selbst 20 Jahre Profi und teilweise international gefordert war und daher weiß, dass ein Spieler immer alles abrufen möchte, es aber manchmal einfach nicht geht. Das sieht dann von außen so aus, als würden sie nicht laufen und kämpfen, aber das konnte ich von meiner Mannschaft nie behaupten. Die Mentalität der Spieler ist, immer alles zu geben und das nicht nur im Spiel, sondern täglich im Training. Wenn wir als Eintracht Frankfurt in zwei Jahren 104 Spiele bestreiten, muss man auch mal Abstriche in Kauf nehmen.

Wo siehst du noch Entwicklungspotential?
Fakt ist, dass wir zu viele Spiele verloren und zu viele Gegentore bekommen haben. Andererseits haben wir nur ein Tor weniger geschossen als in der vergangenen Saison, als von unseren sogenannten Büffeln die Rede war (lacht). In dieser Saison haben sich die Torschützen auf mehrere Schultern verteilt. Mich stören aber Niederlagen wie zu Hause gegen Köln und Union Berlin. Gerade auswärts waren wir lange Zeit wirklich schlecht, das müssen wir in der neuen Saison besser machen.

An welchen Moment wirst du dich auch noch in zehn Jahren besonders erinnern?
Es ist sicherlich außergewöhnlich, fünf Tore gegen die Bayern zu erzielen, auch wenn uns die Umstände mit der Roten Karte gegen Jerome Boateng bewusst sind. Mir bleiben aber auch andere geile Spiele, in denen es um viel gegangen ist, in Erinnerung. Zum Beispiel das Play-off-Spiel gegen Strasbourg, als wir in Unterzahl und mit der großen Unterstützung unserer Zuschauer in die Gruppenphase eingezogen sind, oder das 3:0 gegen Leverkusen.

Die Europapokaltage haben uns aber allen Spaß bereitet, Verein und Fans haben nach außen ein hervorragendes Bild abgegeben.

Adi Hütter

Hat dich in deinem zweiten Jahr in Frankfurt noch etwas überrascht?
Das Schwierigste war sicher der Start, als ich als gewissermaßen Unbekannter neu in die Bundesliga gekommen bin und ich nach Niko Kovac und dem ersten Titel seit 30 Jahren sicher ein schweres Erbe antreten musste. Trotz allem bin ich mir treu geblieben und habe versucht, meinen Weg zu gehen und attraktiven, begeisternden Fußball spielen zu lassen. Das mag den einen oder anderen zunächst verwundert haben, aber ich denke, dass wir mit Ruhe und Geduld innerhalb des Vereins in den vergangenen zwei Jahren für einige fußballerische Highlights gesorgt haben. Ich fühle mich hier sehr wohl!

Wie geht ihr mit der skurrilen Situation um, im August quasi ein Rückspiel aus der alten Saison bestreiten zu müssen?
Zunächst haben wir die Terminierung abwarten müssen. Es läuft voraussichtlich auf den 6. August hinaus. Basel hat zuvor sechs Englische Wochen zu bewältigen, um den Wettbewerb in der Schweiz zu Ende zu spielen, während wir aus einer neuntägigen Vorbereitung kommen. Die nun vierwöchige Pause haben sich die Spieler auf jeden Fall verdient, der Laktattest war beeindruckend. Zumal wir in nahezu unveränderter Besetzung in die neue Saison gehen und eingespielt sein werden.

Kann es ein Vorteil sein, sich nächstes Jahr auf die Bundesliga konzentrieren zu können?
Zunächst einmal werden wir versuchen, gegen Basel das Unmögliche möglich zu machen und anschließend in der Endrunde so weit wie möglich zu kommen. Insgesamt ist es für mich fast eine andere Sportart, alle drei Tage ein Spiel und nie geschlossen trainiert zu haben. Die Europapokaltage haben uns aber allen Spaß bereitet, Verein und Fans haben nach außen ein hervorragendes Bild abgegeben. Sollten wir nächstes Jahr nicht dabei sein, bieten sich einem Trainer unter der Woche mehr Möglichkeiten, mit der Mannschaft gezielter im taktischen Bereich zu arbeiten, weshalb auch die Rotation wieder kleiner ausfallen würde. Aber die Messe ist noch nicht gelesen.