16.05.2022
Historie

Ausnahmezustand

Am Mittwoch steigt das dritte Europapokalendspiel der Eintracht-Historie. 1960 verloren die Adlerträger, 1980 war die Eintracht im Rausch. Ein Rückblick mit Inspirationspotential.

Als Bernd Hölzenbein am Abend des 21. Mai 1980 im bebenden Waldstadion den UEFA-Pokal als erster Adlerträger in die Höhe reckt, kommt es zu einer bewegenden Geste. Der Kapitän des frischgekürten Europapokalsiegers übergibt die Trophäe an Jürgen Grabowski. Grabi, über Jahre Kopf der Mannschaft, die im März diesen Jahres verstorbene Eintracht-Legende, hatte beim Finale verletzungsbedingt passen müssen und beendete wenig später seine Karriere. Nun präsentiert „Mister Eintracht“ dem Publikum, das fortwährend „Grabowski“ skandiert, die so lange erwartete internationale Trophäe. Kein Wunder, dass das Finale in diesem Jahr unter dem Motto „Mit dem Jürgen. Für den Jürgen“ steht.

An solch eine bewegende Geste dachte im September 1979 noch keiner. Die Eintracht begann die Europapokalkampagne gegen den FC Aberdeen (Trainer: Sir Alex Ferguson), es folgten das Weiterkommen gegen Dinamo Bukarest (mit Hölzenbeins legendärem Sitzkopfball), Feyenoord Rotterdam und Zbrojovka Brünn. Das Halbfinale 1980 war dann endgültig eine rein deutsche Angelegenheit. Die Eintracht traf auf Bayern München, der dem FCK über zwei von fünf (!) Duellen im Kalenderjahr 1980 das Nachsehen gegeben hatte. Borussia Mönchengladbach duellierte sich mit dem VfB Stuttgart, mit den zwei späteren Eintracht-Coaches Jupp Heynckes und Lothar Buchmann an der Seitenlinie. Auch Pal Csernai, seinerzeit in Diensten von Bayern München und einige Jahre zuvor Assistenztrainer in Frankfurt, sollte später als „Chef“ zurückkehren. Adlerträger Norbert Nachtweih erinnert sich: „Der deutsche Fußball war damals auf dem Höhepunkt. In jedem Jahr waren deutsche Mannschaften in den Halbfinals der europäischen Wettbewerbe“.

Die Siegermannschaft vor 42 Jahren.

Es hört sich heute unglaublich an (na ja, mal abzüglich Corona): Wer am 9. April 1980 nach dem Aufwachen auf die Idee kam, „Mensch, heut ist doch Halbfinale in München“, der konnte einfach losfahren. Gerade mal 14.000 Fans tummelten sich in der Riesenschüssel Olympiastadion zum Halbfinalhinspiel. Die mitgereisten Frankfurter hatten keinen Spaß. Dieter Hoeneß und Paul Breitner per Elfmeter sorgten für das 2:0 der Bayern.

Das Rückspiel am 22. April 1980 wurde dann zu einer weiteren Sternstunde der Eintracht. 50.000 Fans im Waldstadion bildeten eine würdigere Kulisse als in München und erlebten eine Eintracht, die von Anfang an Druck machte. Nach 15 Minuten hatte die Eintracht schon sechs Ecken, das 1:0 fiel in der 31. Minute nach der neunten Ecke. Junghans wollte die Flanke abfangen, wurde aber von Hoeneß irritiert, ließ den Ball fallen und Pezzey war zur Stelle – 1:0. In der zweiten Halbzeit entwickelte sich ein ausgeglichenes Spiel, erst gegen Ende kam die Eintracht wieder zu guten Möglichkeiten. In der 87. Minute war es erneut Bruno Pezzey, der per Mörderkopfball zum 2:0 traf. Um ein Haar wäre sogar die Verlängerung erspart geblieben, doch Bernd Nickel traf kurz vor Abpfiff aus 30 Metern nur die Latte.

Bruno Pezzey stemmt den UEFA-Pokal in die Luft.

Die Verlängerung wurde dann zur großen Show des in der 83. Minute eingewechselten Harald Karger. Zunächst erzielte er in der 103. Minute nach Vorarbeit von Bernd Nickel das 3:0, das den Einzug ins Finale bedeutet hätte. Doch schon zwei Minuten später traf Dremmler für die Bayern. Die Eintracht konnte das Blatt noch einmal wenden. Wieder war es Nickel, der in der 107. Minute diesmal einen Freistoß in den Strafraum schnippte, wieder war es Karger, der diesmal per Kopf zum 4:1 traf. Das sollte reichen. Aber die Eintracht setzte noch einen drauf. Zwei Minuten vor Abpfiff besorgte Werner Lorant per Foulelfmeter den 5:1-Endstand. Das Stadion stand Kopf, die Eintracht stand im Europapokalfinale.

Die letzte Reise der internationalen Saison 1979/80 führte auf den Gladbacher Bökelberg. Der Bökelberg war zum Finale nicht ausverkauft. Trotzdem waren Tausende Eintrachtler vor Ort und die sahen im ersten Durchgang eine dominante SGE, die den Sieg in der Schlussphase noch aus der Hand gab. Nachtweih: „Wir haben ein starkes Spiel gemacht, aber leider in der Schlussphase noch zwei Tore kassiert. Eins nach einem Stellungsfehler von mir, so ehrlich muss ich sein“, sagte er kürzlich. Karger per Kopf nach einer Nickel-Flanke (37.) und ein herrlicher Flugkopfball von Bernd Hölzenbein nach einer Hereingabe von Borchers (71.) hatten die Eintracht-Tore erzielt. Die Niederlage trotz überlegen geführtem Spiel schmerzte, aber letztlich bildeten zwei Auswärtstore eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel. Zumal die Eintracht im internationalen Wettbewerb alle Heimspiele gewonnen hatte.

Apropos Karger: In Mönchengladbach zog er sich einen Kreuzbandriss zu. Jürgen Grabowski hatte seit März kein Spiel mehr gemacht – und es sollte auch keines mehr hinzukommen. Helmut Müller erging es ähnlich, er beendete später seine Karriere aufgrund von Sportinvalidität. Die Verletzungen dieses Trios überschatteten später den Triumph.

Das Tor für die Ewigkeit: Fred Schaub schiebt ein.

So fieberte Frankfurt dem 21. Mai 1980 entgegen, dem Tag des zweiten Endspiels. Das Waldstadion war an jenem Tag freilich restlos ausverkauft. Nach zwei Minuten forderten die Fans Elfmeter, nachdem Nickel im Strafraum von Fleer gefoult wurde. Doch der Schiedsrichter ließ weiterspielen. In den folgenden Minuten hatten Cha und der überragende Nickel gute Möglichkeiten, doch das 1:0 wollte einfach nicht gelingen. Im zweiten Durchgang wurde die Partie verbissener, die Eintracht kam seltener zu guten Möglichkeiten. In der 74. Minute rettete Jürgen Pahl in höchster Not gegen Matthäus, den Nachschuss von Lienen lenkte der Eintracht-Torwart über die Latte. In der 77. Minute holte Trainer Rausch Norbert Nachtweih vom Feld, für ihn kam Fred Schaub. Und der traf vier Minuten später aus einem Strafraumgewühl zum 1:0 für die Eintracht. Das Tor, das den Titel bedeutete.

Als Schiedsrichter Ponnet aus Belgien die Partie abpfiff, stand das Waldstadion Kopf. Mit dem 1:0 hatte die Eintracht erstmals einen internationalen Titel gewonnen. Und zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte konnte ein Titel im Waldstadion gefeiert werden. Unter ohrenbetäubendem Jubel nahm Bernd Hölzenbein vor der Haupttribüne den UEFA-Cup in Empfang. Was es damals nicht gab: Konfettiregen, Siegerpodest, Lasershow. Dafür gab es die zu Beginn erwähnte sportliche Geste, die bis heute unvergessen ist. Holz, der später ohne Wissen der Kollegen den Pokal mit nach Hause nahm und am nächsten Tag einen Anruf der Eintracht erhielt („Bernd, wo ist der Pokal?“), übergab den Pott an Grabi, während das Stadion dessen Namen skandierte. Ganz Fußball-Frankfurt war im siebten Himmel und feierte seine Eintracht. So soll es am Mittwochabend in Sevilla wieder sein.