Timmo, nach zehn Spieltagen stellt die Eintracht mit 24,3 Jahren den jüngsten Altersschnitt der Bundesliga. Aus der Not eine Jugend oder Jugendstil mit Ansage?
Uns geht es nicht darum, Rekorde zu brechen und aus Selbstzweck die jüngsten Spieler aufzustellen. Natürlich arbeiten wir gerne mit talentierten und entwicklungsfähigen Spielern, aber das bringen bei uns gleichermaßen Akteure mit, die älter als der angesprochene Durchschnitt sind. Uns ist wichtig, mit Spielern zu arbeiten, die die entsprechende Einstellung zum Profifußball mitbringen und lernwillig sind. Unsere Kaderstruktur bringt es mit sich, dass darunter aktuell mehr jüngere Spieler sind als in den Jahren zuvor.
Um drei Beispiele zu nennen: Kaua Santos, Nathaniel Brown und Nnamdi Collins kamen gefühlt aus dem Nichts ohne Leistungsabfall in die Startelf. Am wenigsten überrascht habt ihr selbst gewirkt. Warum?
Diese Beobachtung ist schon zutreffend, wir sehen unsere Spieler in der täglichen Arbeit und sehen dadurch wie sich entwickeln. Trotzdem wissen wir natürlich um die Brisanz eines Pflichtspiels, das immer eine besondere Drucksituation mit sich bringt. Nicht immer lässt sich vorhersehen, wie – vor allem jüngere – Spieler damit umgehen. Beispielsweise Kaua, Nnamdi und Nene haben wir seit der Sommervorbereitung sehr intensiv beobachtet. Die beiden Erstgenannten kennen wir noch länger. Alle haben schon in den Testspielen viel Einsatzzeit bekommen und ihre Qualitäten aufblitzen lassen.
Sechs von neun Spielern, die mindestens 50 Prozent Spielzeit in der Bundesliga haben, liegen über dem Altersschnitt. Funktionieren die Jungen gerade wegen einer erfahrenen Achse so gut?
Es gehört auch zur Wahrheit, dass die Jungs, die sich zuletzt in den Vordergrund gespielt haben, von dem Gerüst der Mannschaft und den Spielern profitieren, die den Schnitt ein bisschen nach oben heben. Der Mix macht es aus, dass alle Elf, die auf dem Rasen stehen, performen und ihre Leistung abrufen können.
Wie gelingt es euch, neben den fußballerischen Anlagen vorab die Lernbereitschaft eines Neuzugangs einzuschätzen?
Das vorher zu wissen, ist eine der schwierigeren Aufgaben. Zu Teilen nutzen wir dazu das Livescouting, um zu beobachten, wie sich potentielle Neuzugänge aufwärmen, wie sie sich bei Aus- oder Einwechslungen verhalten, wie sie mit Fehlern oder guten Aktionen umgehen. Daraus versuchen wir, erste Eindrücke zu ziehen, was den Charakter angeht. Nicht zuletzt ist es Markus Krösche und mir enorm wichtig, mit den Spielern selbst zu sprechen. Hierbei geht es weniger um den fußballerischen Aspekt, über den wir in diesem Stadium sehr gut im Bilde sind, sondern um Charakter, Einstellung, Werdegang: den Menschen.
Entscheidend ist dann, dass wir das Gefühl haben, ein Spieler möchte unbedingt zu uns.
Timmo Hardung, Sportdirektor Eintracht Frankfurt
Nach welchen Prioritäten geht ihr bei Verpflichtungen vor?
Unsere Kaderplanung ist sehr heterogen, wir brauchen Jungs in verschiedenen Karrierephasen. So einfach es klingen mag, die erste Frage ist immer: Was genau suchen wir, was fehlt uns, welches Profil bringt uns weiter? Wir können und wollen nicht 20 Stammspieler verpflichten, sondern suchen auch Herausforderer, die sich entwickeln können und müssen, um uns mittelfristig weiterzuhelfen. Entscheidend ist dann, dass wir das Gefühl haben, ein Spieler möchte unbedingt zu uns; mit allen Vorteilen, die Eintracht Frankfurt bietet, aber auch allen Herausforderungen, die ein Wechsel in die Bundesliga mit sich bringt. Wir haben mit allen Spielern Geduld und erwarten das umgekehrt genauso. Denn jedes Spiel ist eine Momentaufnahme – tabellarisch und individuell. Situationen im Sport und speziell im Fußball können sich sehr schnell ändern. Es ist wichtig, demütig zu sein und dranzubleiben. Der Umstand, Woche für Woche vom Trainerteam nach Leistung bewertet zu werden, ist die große Chance, die sich hier jedem bietet.
Ein halbes Dutzend Spieler habt ihr zuletzt in der Zweiten Bundesliga oder Ligue 2 gefunden – was spricht gegen die zweiten Ligen Englands, Italiens oder Spaniens?
Sportlich spricht nichts dagegen, sich in anderen Ländern umzuschauen, aber ein Zufall ist die genannte Auswahl nicht, was unter anderem der Marktsituation geschuldet ist. Gerade interessante Spieler aus der Championship haben das Ziel, in der Premier League anzukommen. Das ist ein anderes Standing und die Bundesliga eher der Umweg als das wirkliche Ziel. An diesem Punkt sind wir raus. Junge Spanier wiederum gehen ungern früh ins Ausland, wollen sich in der Heimat entwickeln, bei Italienern ist es häufig ebenso schwer, die absolute Begeisterung für die Bundesliga zu entfachen. Und gleichzeitig sind wir der festen Überzeugung, dass wir in Deutschland nicht weniger gute junge Spieler haben, deshalb behalten wir die Bundesliga und zweite Liga im Blick. Aber: Im ersten Schritt sehen wir uns immer im eigenen NLZ, in der Frankfurter Umgebung und im Rhein-Main-Gebiet um. Diese Abfolge ist uns immens wichtig für die Kaderplanung. Wenn du den eigenen Nachwuchs fördern willst, musst du diese Jungs auf dem Schirm haben und ihnen Perspektiven aufzeigen können. Das beinhaltet Einsätze in höheren Jahrgangsstufen oder Training mit den Lizenzspielern. Profifußball ist hier die letzte Konsequenz. Nur wenn wir über die Qualitäten unserer eigenen Jungs Bescheid wissen, können wir einschätzen, ob es Sinn macht, unseren Radius zu erweitern.
Setzt ihr eine ungefähre zeitliche Erwartungshaltung an die Entwicklung von Spielern?
Nein. Wenn der Trend in die richtige Richtung geht, bekommen die Jungs vom Trainerteam und Staff alle Zeit und Hilfestellungen, um sich zu entwickeln. Erfahrungsgemäß möchte irgendwann eher ein Spieler eine Veränderung. Das gehört dazu und ist nicht schlimm. Wir sind in unserer Einschätzung immer sehr konkret und ehrlich, um jeden Einzelnen besser zu machen. Das dauert beim einen kürzer, beim anderen länger und geschieht manchmal selbstverschuldet, manchmal unverschuldet. Ein gutes Beispiel dafür ist Oscar Højlund, der gleich gute Ansätze gezeigt hat, aber von einem Mittelfußbruch ausgebremst wurde. Oder Nnamdi Collins: er war sich nicht zu schade, in der U21 zu spielen und hat von Tag eins an signalisiert, dass er Bock hat auf unseren Weg. Solange wir beim Spieler den Elan sehen, den er bei der Verpflichtung hatte, bekommt er immer die volle Unterstützung.
Siehst du neben Chancen auch Risiken, die es zu steuern gilt?
Hier müssen wir zwei wesentliche Punkte beachten. Erstens: Wir sprechen bei aller fußballerischen Begabung hier immer noch von jungen Erwachsenen. Auch wenn es sich um Hochleistungssportler handelt, muss man dem Körper Zeit geben, sich an die Leistungsfähigkeit, die häufig alle drei Tage im absoluten Grenzbereich nötig ist, anzupassen. Das geht nicht von heute auf morgen, keiner kann zaubern. Im Grunde sind Verletzungen ohne gegnerische Einwirkung theoretisch vermeidbar. Dem müssen wir Rechnung tragen durch Belastungssteuerung in einer Trainingswoche oder am Spieltag. Zweitens: Bei allem berechtigten Lob wird jeder auch mal Spiele haben, in denen nicht alles gelingt. Davon dürfen sich die Jungs nicht beirren lassen. Sie müssen – vor allem für sich – wissen, was sie leisten, aber dass die vielen Schulterklopfer schnell wieder weg sein können. Die Leute, die immer hinter ihnen stehen, arbeiten hier im ProfiCamp. Wir sehen die Entwicklung, auch im Kleinen, die Außenstehenden verborgen bleiben.
Angefangen beim Trainerteam.
Genau. Es ist immens wichtig, dass die Trainer richtig Lust haben, Spieler zu entwickeln und Potential in Qualität zu verwandeln. Das ist essentiell, weil wir unseren Kader ein Stück weit danach ausrichten und Jungs fördern, die an sich arbeiten und nicht jede Kritik persönlich nehmen, sondern als Rat verstehen. Das lebt unser Trainerteam tagtäglich auf dem Platz vor.
Weitere Youngster wie Amenda, Bahoya, Chaibi, Matanovic, Uzun und Højlund haben ebenfalls auf sich aufmerksam gemacht, viele Leihspieler überzeugen. Angenommen, wenn alle am Limit sind – wo sollen die alle spielen?
Am Ende geht es uns um eine hohe Konkurrenzsituation, was nur von Vorteil sein kann. Ein qualitativ breiter Kader bedeutet, dass der Kampf um die Startelf immer groß ist. Wir haben große Ziele, möchten über uns hinauswachsen und auch die schwierigsten Spiele für uns entscheiden. Ein hoher Konkurrenzkampf schafft eine hohe Trainingsqualität, die auf hoher Trainingsintensität basiert. Das führt zu einer stärkeren und schnelleren Entwicklung des Einzelnen und schließlich einer Mannschaft, die am Wochenende größere Siegchancen hat als eine Elf, die sich von selbst aufstellt. Auch erleichtert es dem Trainer die Arbeit, sei es hinsichtlich Belastungssteuerung oder um das Personal gegebenenfalls ein Stück weit nach dem Gegner auszurichten.