01.05.2019
UEFA Europa League

„Chelsea erwartet ein Hexenkessel“

Sportjournalist Mark Lovell kennt den englischen wie den deutschen Fußball wie seine Westentasche. Für die Eintracht bewertet er die Situation vor dem Halbfinale.

Der englische Sportjournalist Mark Lovell lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und ist als Korrespondent für zahlreiche englische Fachblätter und bis zuletzt auch für ESPN tätig. Zeitweise wohnhaft in Mainz und Wiesbaden, verfolgt er die Eintracht seit geraumer Zeit. Noch heute schwärmt Lovell von Anthony Yeboah. Auch zur Gegenwart weiß der Experte einiges zu berichten.

Dass sich im Halbfinale der UEFA Europa League der jeweils Vierte der Bundesliga und Premier League gegenüberstehen könnten, erschien vor der Saison ein durchaus denkbares Szenario. Dennoch gehörte etwas Phantasie dazu, dass die identische Tabellensituation Eintracht Frankfurt und Chelsea FC betreffen würde.

Wirklich überrascht, möglicherweise beeindruckt, werden die Gäste von der Stimmung in Frankfurt sein. Das Frankfurter Stadion ist ein Hexenkessel und mit der Atmosphäre in England nicht zu vergleichen. 

Aber die Fankultur ist bei Chelsea aktuell eine der kleineren Baustellen. Denn nicht nur die Basis ist mit der Entwicklung des Klubs unzufrieden, auch an der Spitze herrschte schon bessere Stimmung. Boss Roman Abramowitsch hat in dieser Saison noch kein Spiel besucht. Zwischen diesen Polen steht Trainer Maurizio Sarri unter Druck. Zum einen missfällt dem Umfeld die Außendarstellung des Italieners, zum anderen muss sich der 60-Jährige diverse sportliche Entscheidungen vorhalten lassen. Vor allem das League-Cup-Finale, als Keeper Kepa vor dem Elfmeterschießen trotz Verletzung die Auswechslung verweigerte, gilt als Schlüsselerlebnis. Das heißt, die Mannschaft kann sich zwar selbst motivieren, lässt sich aber schwer von äußeren Vorgaben treiben.

Großer Vorteil: Frankfurt ist nicht Bayern

Nichtsdestotrotz eint alle Beteiligten der Wille, sich für die UEFA Champions League zu qualifizieren. Die Königsklasse genießt im derzeitigen Schwebezustand oberste Priorität. Dahingehend führt der kürzeste Weg zwei Spieltage vor Schluss über die Premier League, die UEFA Europa League steht weniger im Fokus. Das betrifft gleichwohl nicht allein die Vereine, sondern auch die mediale Berichterstattung, die sich vorrangig mit der Premier und UEFA Champions League befasst. Aber gerade, weil Frankfurt nicht Bayern ist, halte ich es für wahrscheinlich, dass Chelsea zum einen den Wettbewerb, zum anderen die Eintracht unterschätzt. Zumal in dieser Europapokalsaison die englischen Teams gegen die deutschen Vertreter weitgehend lockere Siege eingefahren haben.

Umgekehrt rate ich den Frankfurtern, weiter fest an sich zu glauben. Der schwierige Spagat für die Eintracht wird es sein, Eden Hazard aus dem Spiel zu nehmen, aber zugleich nicht die anderen Einzelkönner zu vernachlässigen. Chelsea wird versuchen, ein Auswärtstor zu erzielen, Frankfurt muss das verhindern. Die Voraussetzungen würden sich weiter verbessern, falls Kanté nicht auf der Sechs spielt, wo Sarri-Liebling Jorginho meist den Vorzug erhält. In jedem Fall ist es ein Vorteil, dass Frankfurt einen Tag länger Pause hatte.

Deshalb glaube ich unter dem Strich an die Eintracht. Mit diesem Publikum im Rücken, auf das sich auch meine englischen Medienkollegen freuen dürfen, wird Frankfurt das Hinspiel gewinnen. An der Stamford Bridge wird mit Unterstützung der Fans ein Auswärtstor gelingen, das für den Finaleinzug reicht.