17.05.2020
Bundesliga

Stadionsprecher Niedzwiedzki: „Das System funktioniert“

Dienst nach Vorschrift genießt normalerweise einen abwertenden Zusammenhang. Um den Bundesligabetrieb aufrechtzuerhalten, ist es der einzig mögliche Arbeitsansatz. Ein Erfahrungsbericht.

Bartosz Niedzwiedzki kennt die Spieltagsabläufe rund um die Eintracht wie nur wenige. Seit 2016 als Moderator von EintrachtTV, in dieser Saison als EintrachtFM-Kommentator und seit der Spielzeit 2017/18 als Stadionsprecher, erstmals ohne seinen vormaligen Kollegen André Rothe ausgerechnet beim DFB-Pokalfinale 2018 in Berlin. Am Samstagabend wurde er Zeuge des gegenteiligen Extrems.

Von Bartosz Niedzwiedzki

Man musste kein Prophet sein, um zu wissen, dass diesmal alles anders sein würde. Und doch gab schon die Anreise zum Stadiongelände einen Vorgeschmack auf die besonderen Umstände des Bundesliganeustarts. Die Mörfelder Landstraße war wie leergefegt, Feierabendfeeling wenige Stunden vor Beginn meines Arbeitstages. Wo sich sonst tausende rot-schwarz-weiß gekleidete Adlerträger bei Bratwurst und Bier vor den Toren und Fanartikelständen vergnügen, herrschte eine ungewöhnliche Leere. Komisch einerseits, vorbildlich andererseits. Die notwendigen Auflagen sehen es vor, dass maximal 300 Zuschauer das Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach im Stadion verfolgen dürfen – es sollte keiner weniger, aber eben auch keiner mehr werden.

Entsprechend tröpfchenweise treffen die involvierten Personen am Parkplatz 9 ein, ich etwa drei Stunden vor Anpfiff. So weit, so üblich. Am Eingang dann die nächste Abweichung unserer gewohnten Realität: Es gilt, absprachegemäß ein vierseitiges Eintrittsformular wahrheitsgetreu zu unterschreiben. Bin ich selbst COVID-19-positiv? Hatte ich in den vergangenen 14 Tagen Kontakt zu einer nachgewiesen infizierten Person? Hatte ich mich in diesem Zeitraum in einem vom Robert Koch-Institut als Risikogebiet definierten Land aufgehalten? Dreimal Nein! Danach Fiebermessen, 37,3 Grad, nach Meinung des Kollegen leicht erhöht, aber alles im Rahmen. „Hatte mich zuletzt länger in der Sonne aufgehalten“, schmunzle ich. Heiß auf Fußball sozusagen.

Um auch im weiteren Verlauf auf Nummer sicher zu gehen, erhält jede akkreditierte Person einen Abstandsmesser. Blinkt dieser Rot, gelten die vorgeschriebenen 1,50 Meter als unterschritten, hält dieser Zustand länger als fünf Sekunden an, fängt der KINEXON-Sensor an zu piepsen. Was nur ein Mal vorkommt, als ich während der Regiebesprechung den Regieplan erhalte, was der Sensibilisierung für das eigene Verhalten sicher nicht abträglich ist. Klar ist somit auch: Das System funktioniert! So wie sich überhaupt jeder der Anwesenden extrem diszipliniert präsentiert, auch wenn das zwangsläufig zu merkwürdigen Bildern führt: Maskierte Auswechselspieler auf den Sitzen des Business-Bereichs, eine Handvoll Journalisten auf der Pressetribüne, nur halb so viele anwesende Kollegen bei der Regiebesprechung wie normalerweise, von der Klangkulisse ganz zu schweigen. Wir haben uns oftmals dabei ertappt, wie wir unterbewusst mit den Spielern mitgefiebert haben, unser kräftiger Applaus bei Hintis Rettungstat war kaum zu überhören. Überspitzt formuliert: Kreisligaatmosphäre in der WM-Arena.

Regulierte Lautstärke

Vor diesem Hintergrund bedurfte es auch beim Soundcheck gewisser Anpassungen, sprich: Lautstärkeregulierung der Durchsagen, der Werbejingles und natürlich der Tormelodie, die wir diesmal bewusst etwas zeitversetzt ausspielen wollten, um den Zusehern vor den Bildschirmen zumindest den Jubel der Spieler nicht zu nehmen. Gewissermaßen Sicherheitsabstand im doppelten Sinne.

Natürlich hätten wir uns alle einen früheren und vor allem spielentscheidenderen Treffer gewünscht. Nichtsdestotrotz hatte das Tor von André Silva etwas Erlösendes, weil es nach 90 Minuten gegen Basel und 80 gegen Gladbach das erste ohne Heimpublikum gewesen ist. Sicher lässt sich diskutieren, inwieweit es dafür dann einer Durchsage benötigt. Auf der anderen Seite stellt sich diese Frage bei niederklassigen Spielen mit einer vergleichbaren Besucherzahl auch nicht. Und da sich unter den 300 Zuschauern, wenn auch wenige, Medienvertreter befanden, betrachte ich das nicht weniger als Servicepflicht wie nicht zuletzt bei Auswechslungen, bei denen es neuerdings durchaus unübersichtlich zugehen kann. Insgesamt zehn Wechselmöglichkeiten, teilweise beide Teams zusammengenommen vier auf einmal – da können nicht nur Journalisten im Eifer des Gefechts mal den Überblick verlieren, sondern auch ich, der ansonsten in Nähe der Trainerbank vorab Bescheid kriegt, nun aber in der Regiebox auf der Gegentribüne untergebracht ist.

Außerdem muss man, auch wenn man es natürlich nicht hofft, auch bei einer geringen Anzahl Anwesender immer für einen medizinischen Notfall und die entsprechende Kommunikation gewappnet sein. Was zum Glück nicht der Fall war, aber meinen Erfahrungen nach schon gewesen ist. Überhaupt bewies dieser Samstagabend, dass Eintracht Frankfurt hinsichtlich medizinischer Prävention bestens vorbereitet war und ist. So neuartig und gewöhnungsbedürftig das Konzept der DFL auch sein mag: Es ist nicht nur in der Theorie notwendig, sondern auch in der Praxis umsetzbar, sofern jeder die Ausnahmesituation annimmt.

Und das ist wohl die wichtigste von vielen gestrigen Erkenntnissen: Es ist eindeutig möglich, die kommenden sechs Wochen ebenso verantwortungsvoll zu gestalten und damit die Grundlage dafür zu schaffen, in Zukunft umso größere Fußballfeste erleben zu dürfen.