01.12.2020
Team

Dem Schicksal keine Chance

Dass die Eintracht vergleichsweise wenige Verletzungen zu beklagen hat, ist ein Ergebnis echter Teamarbeit und gewissenhafter Prävention. Die medizinische Betreuung im Portrait.

Berlin, Olympiastadion, 25. September. Die neunte Minute am zweiten Bundesliga-Spieltag im Duell der Hertha mit der Eintracht. Jordan Torunarigha kann am eigenen Fünfmeterraum in allerhöchster Not gegen Filip Kostic zur Ecke klären. Der Serbe ist allerdings mit voller Wucht in seinen Gegenspieler gekracht und muss behandelt werden. Der leitende Mannschaftsarzt Prof. Dr. med. Florian Pfab MBA HCM eilt aufs Feld und bewertet die Lage. Es wird schnell klar, dass es für den Flügelflitzer nicht weitergeht. Pfab und Kostic begeben sich langsam vom Rasen, die medizinische Betreuung ist in solchen Momenten besonders gefordert.

Pfab wechselte zu Beginn der Spielzeit 2019/20 vom FC Ingolstadt nach Frankfurt und trieb mit seinem Team die Umstrukturierung der medizinischen Abteilung bei der Eintracht seitdem maßgeblich voran. Sportvorstand Fredi Bobic lobte unlängst: „Ich sehe uns im medizinischen Bereich mittlerweile so aufgestellt, wie ich es mir vorstelle.“ Der 44-jährige Pfab erarbeitete sich mit seinem Team in der Vergangenheit den Ruf, speziell gegen Muskelverletzungen vorbeugend zu arbeiten. Gemeinsam mit Christian Haser MSc MBA HCM leitet er die Abteilung und sagt mit Stolz: „Ich bin dankbar, in so einem menschlich und fachlich hervorragenden Umfeld arbeiten zu dürfen.“ Der gebürtige Münchner führt bei den Profis auch das Team der Mannschaftsärzte, zu dem neben dem schon seit vielen Jahren emsig für die Eintracht tätigen Dr. Herwig Gabriel seit dieser Saison auch Dr. Henning Ott gehört. Der im Profisport bekannte Orthopäde und Unfallchirurg ist einer der Gründergesellschafter des Sporthologicum im Frankfurter Westend und wirkte zuvor im Bereich Profifußball unter anderem bei der TSG Hoffenheim.

Risiko schnellstmöglich einschätzen

Kostic erleidet in Berlin ein Trauma mit starker Krafteinwirkung auf sein Innenband. „Bei der Untersuchung auf dem Spielfeld geht es in erster Linie darum, das Risiko für den Spieler schnellstmöglich einzuschätzen. Speziell bei Kopfverletzungen oder strukturellen Körperverletzungen muss man besonders vorsichtig sein“, erklärt Pfab. „Bei Filip war trotz seiner hervorragenden Athletik bei der hohen Krafteinwirkung während des Zweikampfes eine strukturelle Verletzung des Innenbandes sehr wahrscheinlich, auch wenn sich diese auf dem Spielfeld durch die hohe generelle Anspannung und der kaum vorhandenen Zeit schwer untersuchen ließ. In späteren, auch bildgebenden Untersuchen zeigte sich die Partialruptur.“

Dass sich Fußballer verletzen, gehört wie in allen Sportarten zum Berufsrisiko. Die Verletztenquote bei der Eintracht befindet sich in jüngster Vergangenheit jedoch auf einem sehr niedrigen Niveau. Pfab sieht hier im großen Kontext einen Hauptgrund. „Das Risiko für die meisten Verletzungen ist durch entsprechend gute interdisziplinäre Prävention beeinflussbar“, sagt der Leiter des MedZentrum Residenz in München. „Wir können nur gemeinsam auf diesem hohen Niveau arbeiten. Es muss eine gute Interaktion mit und zwischen dem Trainerteam, Athletikteam, der medizinischen Abteilung und natürlich dem Spieler selbst geben.“

Enger Austausch mit Andreas Beck

Von Berlin nach Frankfurt in den Deutsche Bank Park. Es ist 7.30 Uhr, ein ganz normaler Trainingstag bei der Eintracht. Die medizinische Abteilung hat sich zur gemeinsamen Besprechung zusammengefunden. Danach folgt ein ausführliches Meeting im kleineren Kreis mit dem leitenden Physiotherapeut Christian Haser MSc. MBA und Benjamin Sommer (Medizinische Rehabilitation) mit der Athletikabteilung, in dem die medizinischen Themen in die athletische Belastungssteuerung einfließen und Trainingsprotokolle ergänzt werden. Die Athletiktrainer unter der Leitung von Andreas Beck übernehmen Bereiche wie Ausdauer- und Krafttraining sowie diverse Messungen. Gemeinsam wird auch die Rehabilitation von verletzten Spielern und dessen gestrafften Ablaufplan besprochen. Wie groß ist das Risiko, wie ist die Abwägung zwischen der möglichst schnellen Rückkehr des Spielers ins Mannschaftstraining und später in den Spielbetrieb sowie der nachhaltigen Gesundheit? Sommer arbeitet hier im Kraftraum und bietet ein auf den neuesten Stand der Rehabilitation abgestimmtes, funktionelles Kräftigungs- und Mobilisationsprogramm an. Bei Filip Kostic führte dies vor der Länderspielpause zur Entscheidung, dass ein Kurzeinsatz in Stuttgart möglich ist – und zu diesem kam es auch.

Besonders eng ist unterdessen Benjamin Sommers Austausch mit dem Team von Andreas Beck, seit dieser Saison Leiter Athletik, Prävention und Rehabilitation. Zu den Athletiktrainern zählen Andreas Biritz, Markus Murrer und Martin Spohrer. Der gebürtige Frankfurter Beck und der Heidelberger Spohrer haben unter anderem eine Vergangenheit bei Borussia Dortmund, der Österreicher Biritz arbeitete bereits in Grödig und Bern mit Adi Hütter zusammen, Landsmann Murrer war fast ein Jahrzehnt in Diensten der Salzburger Eishockeyprofis.

Koichi Kurokawa: Die „gute Seele“

Ein paar Räume weiter werden parallel zu den morgendlichen Meetings individuell auf die Spieler abgestimmte Getränke vorbereitet, die vor, während und nach dem Training eingenommen werden. Zusätzlich erhält jeder Spieler täglich durch spezielle Laboranalysen auf ihn abgestimmte Nahrungsergänzungsmittel. Die Physiotherapeuten Patrick Kux, Koichi Kurokawa und Niklas Mazeczek übernehmen dies ebenso wie die Vorbereitungen für ihre ordinäre Arbeit, beispielsweise die Behandlungsräume einrichten und Therapiematerialien bereitstellen. Ajdin Hrustic, Evan Ndicka und Tuta sind an diesem Tag die ersten Spieler, die nach einem am Vortag abgestimmten Zeitplan behandelt werden. Dieser wird auf Grundlage der Befunde und der Belastung des Vortages der Spieler von Patrick Kux erstellt. Die Therapeuten legen zudem funktionelle Verbände an, kontrollieren die Statik der Spieler und versorgen kleinere Blessuren.

Wenig später steht das Mannschaftstraining im Deutsche Bank Park an. Koichi Kurokawa beobachtet die Einheit mit Argusaugen und schaut, ob sich die Adlerträger rund und der Aufgabe entsprechend bewegen. Bei jeder kleineren Blessur ist er sofort zur Stelle und leistet Erste Hilfe. Die Verantwortlichen nennen das dienstälteste Abteilungsmitglied gerne die „gute Seele“, der den Spielern jeden Wunsch von den Lippen abliest. Heute muss der Japaner nicht eingreifen, auch wenn die Intensität auf dem Platz wie immer hoch ist.

Jährliche notfallmedizinische Schulung

Kurokawa sowie die gesamte medizinische Abteilung der Eintracht werden jährlich durch das Team um Prof. Dr. Miriam Rüssler und Prof. Dr. Johannes Frank (Lehrstuhl für Orthopädie und Unfallchirurgie bei der Uniklinik Frankfurt; Leitung Prof. Dr. Ingo Marzi) speziell hinsichtlich fußballspezifischer Verletzungen sowie Erstmaßnahmen am Unfallort notfallmedizinisch geschult, um immer adäquate und schnelle Hilfe leisten zu können. Im Hintergrund steht ein breites und hochkompetentes medizinisches Netzwerk zur Verfügung. Beispielsweise werden gut funktionierende Kooperationen zu mehreren Abteilungen wie insbesondere Radiologie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Augenheilkunde, Arbeitsmedizin und Innere Medizin gepflegt. Auch die BG Unfallklinik und regionale Größen wie Prof. Dr. Michael Rauschmann, Prof. Dr. Gian Salzmann, die Pharmacie Raphaël und das Sanitätshaus Förster stehen tatkräftig zur Seite.

Dazu kommt mit Prof. Dr. Dr. Winfried Banzer der neue wissenschaftliche Leiter innerhalb der medizinischen Abteilung der Eintracht. Banzer war früher Studiendekan und Lehrstuhlinhaber Sportmedizin an der Goethe-Universität in Frankfurt und bringt seinen reichen Erfahrungsschatz sowie Netzwerk ein. Bei speziellen klinischen und wissenschaftlichen Fragestellungen kooperiert die Eintracht mit Professoren und internationale Topspezialisten. Innerhalb der Eintracht-Familie ist die Verzahnung mit dem Nachwuchsleistungszentrum bereits intensiv, bei den Frauen befinden sich die Strukturen im Aufbau.

Neue Herausforderungen durch COVID-19

Das Training im Deutsche Bank Park neigt sich dem Ende hin. Präventive, diagnostische und therapeutische Maßnahmen stehen nun für die Spieler auf dem Programm. Dazu gehört auch die gesunde und sportlergerechte Versorgung. Hier sind Koch Stephan Eisler, Konditormeisterin Andrea Simon und Michaela Lügenbiehl aus der Küche und gefragt, die zum Beispiel speziell mit Protein angereicherte Muffins oder zuckerarmes Gebäck zubereiten. Diese werden den Spielern zur Verfügung gestellt. Die Kicker sollten hiermit freilich, um das volle Leistungspotenzial ausschöpfen zu können, beim Thema Ernährung ebenso ihren Beitrag leisten wie mit ausreichend Schlaf und wenig Stress. Um das arg in Anspruch genommene Fußwerk kümmert sich unterdessen Fußpflegerin Gabriele.

Eine besondere und weit über die normale Dienstzeit hinausgehende Herausforderung ist für die medizinische Abteilung das Thema COVID-19. Hier lassen sich hervorragende und qualitativ hochwertige Kooperationen aufzeigen. Das Institut für klinische Forschung, das Pneumologikum, das Klinikum der Universität Frankfurt, die Labordiagnostiker von Bioscientia und das Gesundheitsamt Frankfurt sind bei allen medizinischen, organisatorischen und rechtlichen Fragestellungen immer tatkräftig, unkompliziert und kompetent zur Stelle. Die hygienischen Maßnahmen rund um den Trainings- und Spielbetrieb werden reibungslos umgesetzt, auch aufgrund der „enormen Unterstützung der sportlichen Leitung, des Trainerteams, des Teammanagements, der Medienabteilung, der Rechtsabteilung und der Spieltagsorganisation“ (Pfab). Sportdirektor Bruno Hübner meint dazu: „Professor Pfab hat uns gerade durch die schwierige Coronazeit mit all ihren besonderen Anforderungen sehr kompetent geführt und tut dies immer noch.“

Filip Kostic absolvierte nach seinem Kurzeinsatz in Stuttgart bei der serbischen Nationalmannschaft im Play-off-Finale der EURO-Qualifikation eine knappe Stunde, kehrte dann vorzeitig nach Frankfurt zurück und war als Adlerträger gegen Leipzig von Beginn an wieder ein belebendes Element. „Seine hervorragende Athletik hat den Heilungsprozess begünstigt“, weiß Pfab. Die medizinische Abteilung sowie die Zusammenarbeit mit den anderen sportlichen Bereichen der Eintracht haben daran zweifellos ihren Anteil.