27.10.2021
Team

Der Krieger

Wie Tuta privat tickt, zeigt er beim Drehtermin mit EintrachtTV. Und spricht währenddessen über seine Kindheit, seine Tattoos, Deutschland, David Abraham und seine Karriere.

Lucas, wie fühlst du dich hier in Frankfurt, in Deutschland?
Gott sei Dank haben ich und meine Frau es nun geschafft, uns gut einzuleben. Natürlich sind manche Dinge noch etwas ungewohnt. Hier ist alles ganz anders als in Brasilien. Mittlerweile fühlen wir uns viel wohler als zu Beginn. Wir lernen viel mehr von Deutschland kennen, reisen durchs Land und schauen uns andere Orte an. Wenn wir frei haben, also in der Länderspielpause, dann reisen wir immer ein wenig. Wir fühlen uns wohl, haben einige Freunde, nicht nur innerhalb des Klubs, sondern auch außerhalb. Ich glaube, dass uns das sehr geholfen hat.

Was gefällt dir an Deutschland und was nicht?
Es dauert natürlich eine Weile, bis man sich an die Kälte gewöhnt. Für mich und meine Frau ist das sehr schwierig, weil es dir ein wenig die Energie nimmt. Aber mittlerweile können wir damit umgehen. Ich glaube, dass es abgesehen davon nichts gibt, was wir nicht mögen. Wir möchten neue Dinge erleben, deswegen gibt es nicht viel, was uns stört. Ich mag Deutschland sehr, denn es ist ein sehr gut organisiertes Land. Dazu werden wir überall herzlich empfangen und die Menschen sind sympathisch. Für uns ist es noch etwas schwierig, weil wir nicht gut deutsch sprechen. Wir schlagen uns mit Englisch durch, aber die Menschen verstehen, dass wir noch nicht so gut Deutsch sprechen und verhalten sich deswegen überall noch aufmerksamer.

Seit Januar 2019 ist Tuta in Europa, gerade 19 Jahre alt war er bei seinem Transfer aus der Jugend des São Paolo FC. Nach einer Leihe nach Belgien ab Sommer 2019 ist er seit etwas mehr als einem Jahr zurück in Frankfurt. Richtig sesshaft ist er hier vor wenigen Wochen geworden, denn Tuta ist kürzlich mit seiner Frau Victoria in ein Haus gezogen. Dort angekommen, zeigt Tuta die Räumlichkeiten. Im Wohnzimmer steht eine Spielkonsole. „In letzter Zeit habe ich viel mit meiner Frau gespielt, sie wird immer besser“, lacht er. Dann geht’s ins Esszimmer.

Du hast gerade ein Buch in der Hand. Was hat es damit auf sich?
Oft nehmen wir es beim Frühstück zur Hand. Hier suchen wir uns täglich das Bibelwort des Tages heraus.

Wir suchen uns täglich das Bibelwort des Tages raus.

Tuta

In der Küche scherzt Tuta: „Hier liefere eine Show ab!“, lacht er laut und revidiert sogleich. „Das war nur Spaß. Meine Frau kocht. Sie macht das beste Risotto der Welt!“ Dann zeigt er seine Hunde Maia und Britt. „Maia ist die Jüngere, ein wenig Verrücktere. Britt ist ruhiger und geduldiger.“ Zeit, über seinen Namen zu sprechen. Und natürlich die Hunde.

Man nennt dich Tuta, aber dein richtiger Name ist Lucas Silva Melo. Jemand hat dich so aufgrund einer Ähnlichkeit mit einem anderen Spieler genannt. Mit welchem und wie kam das?
Das fragt mich jeder. Das hat vor langer Zeit schon begonnen. Ich habe damals ein Sichtungstraining in São Paulo absolviert. Einer der Trainer hat mich angeschaut und fand, dass ich Ähnlichkeiten mit einem Ex-Spieler dieses Klubs hatte, der Tuta heißt. Er hat mich also zu sich gerufen: „Komm her, Tuta, hier ist dein Trikot, auf geht’s!“ Seither nennen mich meine Verwandten und Freunde Tuta, Dann blieb das so. Außer meine Frau, sie mag das nicht. Zu Hause nennt sie mich Lucas. Für sie klingt es wie eine Figur, eine Rolle. Mir gefällt es aber. Im Fußball ist das anders und vor allem in Brasilien ist das gängig. Die meisten Fußballer haben dort einen Spitznamen. Ich finde das cool.

Was machst du außerhalb des Fußballfelds?
Wenn ich nach dem Training nach Hause komme, esse ich gemeinsam mit meiner Frau zu Mittag und wir verbringen Zeit miteinander. An Tagen, an denen ich sehr müde bin, entspanne ich mich, spiele etwas oder schaue mir ein Fußballspiel an. Sonst gehen wir sehr oft mit den Hunden raus. Manchmal verschlägt es uns auch in die Stadt, zum Shopping oder ins Restaurant.

Ich habe ein Tattoo, das bedeutet Krieger. Mein ganzes Leben war so, denn ich habe immer gekämpft.

Tuta

Du hast sehr viele Tattoos. Eines mit betenden Händen, ein paar Flügel im Nacken und noch weitere. Was bedeuten sie?
Nicht hinter allen steckt irgendein Sinn. Manche habe ich machen lassen, als ich noch fast ein Kind war. Der Name meiner Mutter war das erste. Eines wurde nicht gut. Eigentlich sollte es einen Löwen darstellen, aber es wurde irgendein anderes Tier. Mein Lieblingstattoo ist eines, das ich vor kurzem auf meinem Arm habe stechen lassen. Das hat einen tieferen Sinn, es bedeutet nämlich Krieger. Mein ganzes Leben war so, denn ich habe immer gekämpft. Mit diesem Tattoo identifiziere ich mich. Ich habe auch ein paar religiöse. Darunter sind auch welche, die mich repräsentieren, da ich sehr religiös bin.

Die Hunde sind mittlerweile bereit für einen Spaziergang. Victoria und Tuta bereiten alles vor. Dann geht’s hinaus ins Grüne.

Du hast zwei Hunde, Britt und Maia. Woher kommt diese Leidenschaft?
Uns haben Haustiere immer sehr gefallen. Als meine Leihe in Belgien zu Ende war und ich wieder zurückgekehrt bin nach Frankfurt, kam Victoria aus Brasilien nach. Wir dachten, dass es doch schön wäre, wenn wir einen Hund hätten. Das Leben als Fußballer ist turbulent, man reist viel. Meine Frau ist dadurch oft allein zu Hause. Für sie war das also sehr gut, denn so hatte sie Gesellschaft. Aber es hat uns beiden geholfen, wir sind oft mit unseren Hunden unterwegs.

Du bist am 4. Juli 1999 in São Paulo geboren und in Brasilien aufgewachsen. Wie verlief deine Kindheit?
Ich bin in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Meine Kindheit war sehr vom Fußball geprägt. Ich bin immer einem Ball hinterhergelaufen und wollte immer spielen. Als Kind war das nur ein Spiel, das mir sehr viel Spaß gemacht hat. Meine Mutter hat mich immer gefragt, ob es das ist, was ich später machen möchte. Daraus entstand der Wunsch, Fußballprofi zu werden. Durch den Fußball habe ich auch viele meiner Freunde von heute kennengelernt. In meinem Leben dreht sich also eigentlich alles um Fußball.

Ich habe gehört, dein Vorbild war Ronaldinho. Hast du auch ein Trikot von ihm?
Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, für alle jungen Brasilianer ist Ronaldinho ein Vorbild. Alle träumen davon, eines Tages so zu sein wie er. Natürlich hatte auch ich ein Trikot von ihm von der Nationalmannschaft. Wenn ich früher zum Kicken auf die Straße ging, habe ich das Trikot getragen und mich dann gefühlt wie er. Brasilianer möchten immer Stürmer wie Rivaldo oder Ronaldo sein. Wenige möchten Verteidiger sein und wahrscheinlich niemand Torhüter.

Wie wurdest du dann also Verteidiger?
Am Anfang wollte ich auch lieber offensiv spielen, auf irgendeiner Position ab dem Mittelfeld oder weiter vorne, wo man nicht so viel laufen muss. Aber mit der Zeit habe ich mich entwickelt. Als ich zum São Paulo FC kam, habe ich ein paar Spiele gemacht. Ein Trainer hat die Situation aber anders gesehen und meine Qualitäten erkannt. Ich war damals physisch schon weiter und groß. Er meinte, dass ich weiter hinten besser aufgehoben wäre.

Früher wollte ich offensiv spielen, wo man nicht so viel laufen muss.

Tuta

Als du damals in der Jugendmannschaft von São Paulo gespielt hast, hättest du dir vorstellen können, einmal Fußballprofi zu werden?
Ich habe davon geträumt, alle jungen Spieler träumen davon. Aber sich das vorzustellen, ist das eine. Dass es wirklich passiert, war unvorstellbar. Wenn ich heute darauf zurückschaue, ist es immer noch unglaublich.

Verfolgst du immer noch die Spiele deines Jugendklubs?
Das ist aufgrund der unterschiedlichen Zeitzonen schwierig. Wenn ich die Gelegenheit habe, schaue ich mir am nächsten Tag Videos oder die Highlights an. Ich drücke immer die Daumen und spreche mit meinen ehemaligen Teamkameraden. Ich bin sehr dankbar für alles, was sie für mich getan haben. Der São Paulo FC bleibt immer in meinem Herzen.

Brasilien ist und bleibt in Tutas Herzen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, sich ein bisschen Brasilien nach Deutschland zu holen, dann sicherlich in einem brasilianischen Café in der Frankfurter Innenstadt. Tuta und Victoria setzen sich, bestellen einen Kaffee und eine Kleinigkeit zu Essen. Zeit, über die Phase zu reden, als einen jungen Fußballspieler aus Brasilien eine Anfrage aus dem fernen Deutschland erreichte.

Wie war es, als dein Berater dich angerufen und dir erzählt hat, dass Eintracht Frankfurt Interesse an dir hat – ein deutscher Klub fernab der Heimat?
Das war ein besonderer Moment. Ich war mitten in einem Wettbewerb, es war ein Tag vor einem wichtigen Pokalspiel, dem Halbfinale in der Copa São Paulo, einem der größten Wettbewerbe in Brasilien. Das Angebot klang interessant für mich. Wir haben uns also am Abend getroffen und er begann zu erzählen, dass es ein ausländischer Klub sei, der mich schon länger beobachtete. Ben Manga hatte bereits Spiele von mir gesehen. Mein Berater zeigte mir das Angebot und sagte mir, dass wir uns zusammensetzen und entscheiden müssen, was ich für meine Zukunft möchte. Das hat mich erstmal umgehauen, ich wurde sehr emotional und habe meine Mutter angerufen. Ich habe auch Victoria angerufen, wir kannten uns erst eine kurze Zeit und es war alles noch frisch. Es passierte also vieles auf einmal, das war schon sehr außergewöhnlich.

Das hat mich erstmal umgehauen. Ich wurde sehr emotional und habe meine Mutter angerufen.

Tuta

Tuta kommt im Januar 2019 nach Deutschland, der damalige Chefscout und heutige Direktor Profifußball Ben Manga wird schon damals von den Medien als „Perlentaucher“ bezeichnet. Die Eintracht investiere in junge Spieler, in denen Potential schlummert, heißt es beispielsweise in der Frankfurter Rundschau. Manga solle junge, hungrige Akteure finden, die bezahlbar und jung sind und eine gewisse Klasse mitbringen. „Investitionen in die Zukunft“, nennt die FR die Transfers von Tuta und Almamy Toure, der ebenso in jener Transferperiode verpflichtet wird und seinerzeit 22 Jahre alt ist. Tuta ist zu diesem Zeitpunkt gerade 19. Die Eintracht überwintert auf Rang sechs und erreicht wenig später das Halbfinale in der UEFA Europa League. Schwierig also für den jungen Brasilianer, sofort Fuß zu fassen. Nur zwei Mal wird Tuta in der Rückrunde in den Kader berufen und bleibt ohne Pflichtspielminute.

Du hast zum Einstieg angedeutet, dass manche Dinge in Deutschland immer noch ungewohnt für dich sind. Wie schwer war es, dich in einem neuen Land mit einer anderen Sprache und Kultur einzugewöhnen?
Ich glaube, nur wenige können sich in einem Alter von 18 oder 19 Jahren vorstellen, ihr Leben so zu ändern. Für alle Spieler aus Brasilien ist es in Europa zunächst schwer, weil das Leben und die Kultur so anders sind. Für mich war das auch so. Als ich hier ankam, waren Victoria und ich noch am Anfang unserer Beziehung. Das war auch nicht so einfach. In den ersten sechs Monaten lernten wir die Stadt und den Klub kennen. Die Mannschaft hat zu diesem Zeitpunkt toll gespielt. Im Sommer 2019 haben wir uns mit den Verantwortlichen zusammengesetzt und gesehen, dass ich Spielpraxis brauche.

Du wurdest dann nach Belgien verliehen, zu einem kleinen Klub nach Kortrijk.
Ich hatte damals ein Gespräch mit Adi Hütter und sagte ihm, dass ich spielen muss, um Selbstvertrauen zu gewinnen. So entschloss ich mich also zusammen mit meinen Beratern für einen Wechsel. Belgien war der beste Ort, um mich weiterzuentwickeln und eben das Selbstvertrauen zu gewinnen.

Gespielt hast du aber zunächst gar nicht.
Als ich ankam, hatte das Team schon einen anderen Rhythmus und die Meisterschaft begonnen. Es war also schwierig, denn der Trainer sah mich als einen noch sehr jungen Spieler an. Fast vier Monate kam ich nicht zum Einsatz, habe aber viel trainiert. Dabei habe ich viele Dinge gelernt. Man muss geduldig sein, an sich arbeiten und bereit sein, wenn sich die Gelegenheit bietet. Diese ergab sich, nach einer Länderspielpause im November gegen Anderlecht. Ein großes belgisches Team. Ich spielte von Beginn an, wir holten ein Unentschieden. Das hat mir einige Türen geöffnet, diese Früchte ernte ich heute.

Wie bewertest du insgesamt deine Zeit in Belgien?
Sicherlich war es zunächst wieder keine einfache Situation, in einem neuen Land mit einer neuen Sprache. Aber ich glaube, dass sich alles gelohnt hat. Gemeinsam mit Victoria habe ich einige Dinge ausgehalten und viel gelernt. Das sind für uns wichtige Lehren gewesen.

Nach dem Ende der Leihe zum KV Kortrijk geht es zurück in die Mainmetropole. Im Sommer 2020 nimmt er das Training in der Mainmetropole wieder auf. Vor Weihnachten spielt Tuta zwei Mal von Beginn an, muss aber dabei unter anderem bei seinem Startelfdebüt ein bitteres 0:5 in München schlucken. In der Rückrunde 2021 ist er gesetzt, nachdem David Abraham nach Argentinien zurückkehrt. Die Medien sprechen fortan vom „designierten Abraham-Nachfolger“, der bis zum Saisonende 20 Einsätze und etwas über 1500 Minuten Spielzeit verzeichnet.

Wer hat dir am meisten bei deiner Entwicklung in Frankfurt geholfen?
David Abraham. Er war ein Kapitän auf und neben dem Feld. Das bewundere ich sehr und strebe das auch für mein Leben und meine Person an. Er hat immer den Teamkameraden geholfen und auch mir viele Ratschläge gegeben, wie ich mich orientieren kann und was wir tun müssen, um der Mannschaft zu helfen. Da er Spanisch spricht, hat das vieles erleichtert. Aber auch Stéphane, unser Dolmetscher. Er ist immer hilfsbereit und hat viele Probleme für mich gelöst.

Was ist mit Evan? Du nennst ihn liebevoll „Vater“.
Das ist nur ein Spaß unter uns.

Wer hilft dir in Phasen, in denen es nicht so gut läuft, nicht den Kopf hängen zu lassen?
Meine Frau war und ist immer an meiner Seite. Sie hat gesehen, dass ich mich immer reingehauen habe. Andere haben mir gesagt, wo ich mich verbessern solle, auch wenn ich das manchmal nicht hören wollte. Sie war für mich in Belgien und auch in der ganzen Zeit immer sehr wichtig, da sie mein Ausgleich ist.

Welche Bedeutung hatte der 2:1-Sieg in München für dich?
Ich glaube, das war eines der wichtigsten Spiele für mich. Aufgrund der Tatsache, dass ich wenig gespielt hatte und nicht zur Stammelf gehörte, aber dann endlich ran durfte. Es war wie ein Neubeginn, als wäre es das erste Spiel meiner Laufbahn. Ich glaube, das war der größte Sieg meiner Karriere. Weil wir einfach so unfassbar lange nicht bei den Bayern gewonnen und sie zuletzt außergewöhnliche Ergebnisse erzielt hatten.

Dieses Gespräch erschien als erstes als Titelgeschichte der Oktoberausgabe der „Eintracht vom Main“. In der 51. Ausgabe des Klubmagazins von Eintracht Frankfurt erhalten Leser nicht nur Einblicke in das Leben von Tuta, sondern lässt ebenso wenig den Frauen- und Nachwuchsfußball außer Acht. Ein besonderer Fokus gilt auch der Handballabteilung.