22.12.2020
Eintracht

„Die Einheit macht uns stark“

Fredi Bobic spricht im Interview über Höhen und Tiefen, den Transfermarkt, die Sommerzugänge und die Nachfolge von David Abraham.

Fredi, die Liga geht in die kurze Weihnachtspause. Zunächst etwas allgemein: Wann hast du letztmals eine solch ausgeglichene und von Überraschungen geprägte Saison erlebt?
Das ist in der Tat schon einige Zeit her. Man könnte also sagen, Corona hat auch gute Dinge ausgelöst. Denn es hat mit Sicherheit mit den Pandemiefolgen zu tun. Dem FC Bayern München merkte man zum Beispiel gerade in den letzten Spielen des Jahres an, dass die Spieler überhaupt keine Sommerpause hatten. Da waren die Akkus schlichtweg leer.

Inwieweit spielt Corona mit rein, dass es so viele Unentschieden gibt und auch der Heimvorteil statistisch gesehen deutlich nachgelassen hat?
Es ist eine andere Art Fußball, der in diesen Zeiten gespielt wird. Dass wir, die wir normal sehr von unseren Fans leben, die uns ja unglaublich pushen, in dieser Saison im heimischen Deutsche Bank Park noch ungeschlagen sind, passt eigentlich nicht ins Bild.  

Blicken wir konkret auf unsere Eintracht. Wie fällt deine Zwischenbilanz nach 17 Punkten aus 13 Bundesligaspielen aus?
Ich bin zufrieden. Natürlich hatten wir Höhen und Tiefen, natürlich ärgert uns der eine oder andere Punkt, den wir liegengelassen haben. Und natürlich könnten wir in der Tabelle ein paar Plätze besser stehen. Aber diese Saison ist nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Ich sage aber voller Überzeugung: Trainerteam und Mannschaft machen eine gute Arbeit.

Unsere Kabine war schon immer eine unserer besonderen Stärken.

Sportvorstand Fredi Bobic

Inwieweit ist bei uns in deinen Augen der Effekt zu spüren, erstmals seit Jahren weite Teile des Kaders zusammengehalten zu haben?
Das hilft sicherlich, weil in einer gewachsenen Truppe einige wenige Zugänge sich schneller zurechtfinden, als wenn sich das gesamte Gefüge neu entwickeln muss. Unsere Kabine war aber schon immer eine unserer besonderen Stärken, weil die Stützpfeiler wie David Abraham, Makoto Hasebe oder Timothy Chandler, aber ebenso Kevin Trapp, Sebastian Rode und Bas Dost das Konstrukt im Gleichgewicht halten.

David Abraham wird Mitte Januar den Verein verlassen. Einer der designierten Nachfolger ist Tuta, von dem Martin Hinteregger kürzlich in höchsten Tönen gesprochen hat, unter anderem weil er sich so schnell entwickelt hat, obwohl er „das erste Mal Schnee in diesem Winter gesehen hat“. Wie beobachtest du ihn?
Ich bin sehr zufrieden mit seiner Entwicklung, von der wir immer überzeugt waren. Junge Spieler, vor allem wenn sie von einem anderen Kontinent zu uns kommen, brauchen eine gewisse Zeit. Tuta ist nach Daichi Kamada und Aymen Barkok der nächste Beweis, dass unser Konzept, jungen Spielern nochmals bei anderen Vereinen Spielpraxis zu ermöglichen, stimmt. Als nächstes wird das Dejan Joveljic unterstreichen. 

Zuletzt haben auch unsere Sommerzugänge Aymen Barkok nach dessen Ausleihe und Amin Younes ihre Einsatzzeiten bekommen und überzeugen können. Wie bewertest du ihre Entwicklung?
Bei Aymen konnten wir diese Geschwindigkeit der Entwicklung vielleicht nicht erwarten, weil er in Düsseldorf auch bedingt durch Verletzungen nicht so performt hat, wie wir uns das erhofft hatten. Nun ist er fit, ist wieder zu Hause, was ihn besonders pusht, und gibt Gas. Dass er weiterhin in seinen Leistungen Schwankungen unterliegen wird, ist vorauszusehen und völlig verständlich. Aber er ist auf einem sehr guten Weg, muss den aber gezielt weitergehen und darf nicht abheben. Amin Younes bringt genau das ein, was wir in ihm gesehen haben: Routine aufgrund seiner Auslandserfahrung, Spielwitz und Führungsstärke.

Wir beobachten den Markt wie gewohnt mit großer Ruhe.

Sportvorstand Fredi Bobic

Wer war für dich bisher die positive Überraschung der Saison?
Ich möchte aus dem Gesamtgefüge niemanden herausheben. Denn genau diese Einheit ist es, die uns stark macht.

Das Wintertransferfenster öffnet in Deutschland am 2. Januar. Wie werden die Aktivitäten von Eintracht Frankfurt aussehen?
Wir beobachten den Markt wie gewohnt mit großer Ruhe und schauen, ob etwas möglich ist. Das ist in erster Linie eine wirtschaftliche Frage. Eine Notwendigkeit sehe ich nicht unbedingt. Eher vielleicht, dem einen oder anderen Spieler, der derzeit hintenansteht, den Weg zu einer anderen Chance zu ermöglichen.

Im Januar 2002 bist du vom BVB nach Bolton verliehen worden und hast damit selbst erlebt, wie es ist, keine Winterpause zu haben. Kannst du aus eigener Erfahrung berichten, wie schwer eine verkürzte Winterpause ist, weil nur wenige Mannschaftseinheiten vor dem ersten Spiel möglich sind?
Mir wird die Bedeutung der Winterpause zu hoch gehängt. Andere Sportler, ob im Handball, Eishockey oder eben – wie erwähnt – der englischen Premier League spielen auch durch. Über die Feiertage wird ein bisschen durchgepustet. Wenn man in einer normalen Saison einen ausreichenden Sommerurlaub hatte, ist das schon okay. Wir sollten da auch auf andere Berufe schauen.

Im Sommer soll die neue UEFA Conference League an den Start gehen, für die der DFB einen Startplatz erhält. Hast du dich damit schon auseinandergesetzt?
Und jedes Jahr ein neuer Wettbewerb. Das ist fast wie Weihnachten. Nein, damit habe ich mich noch nicht eingehend beschäftigt. Wir haben aktuell genug Themen, die uns umfassend auslasten.

Wie läuft aktuell der Austausch mit dem Nachwuchsleistungszentrum, dessen Spielbetrieb durch die Coronapandemie erneut zum Erliegen gekommen ist? Fürchtest du, dass ein Jahr Entwicklungsmöglichkeit verloren geht?
Das sind zwei unterschiedliche Fragen. Der Austausch ist eng und konstruktiv. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Folgen der Pandemie insbesondere im Nachwuchsbereich des Sports allgemein mit voller Wucht zuschlagen und uns sehr umfassend beschäftigen werden. Aber auch hier: Das ist nicht nur im Sport so, auch die Schüler haben bundesweit mit Sicherheit nicht den Stoff gelernt, der vorgesehen war.

Was war für dich aus Eintracht-Sicht die Szene oder der Moment des Jahres?
Es ist nicht dieser eine Moment. Ich nehme aus 2020 als besondere Erinnerung die Geschlossenheit und die Fairness mit, mit der Liga und Vereine die schweren Monate angegangen sind. Das war so nicht selbstverständlich.