11.09.2024
Team

„Ein bisschen wie Schach“

Nélson Morgado, Co-Trainer Analyse, gibt Einblicke in die Arbeit des Analyseteams, erklärt die Unterschiede zu anderen Ligen und verrät, wie er Dino Toppmöller von sich überzeugt hat.

Nélson, mit Blick auf die Europa-League-Auslosung in deiner ehemaligen sportlichen Heimat Monaco: Aus welchem Landesverband wird es am schwierigsten, Analysematerial zu erhalten?
Ich denke, wir werden über alle Gegner genügend Informationen bekommen. Vielleicht wird es mit Riga etwas schwieriger, Videos zu erhalten. Aber das ist eine Frage von Tagen. Vor allem, weil sie zuvor zwei Spieltage im Wettbewerb haben. Von daher ist es kein Problem.

Bezogen auf deine Vita folgende Annahme: Von Bundesligaklubs gibt es mehr Daten und Videomaterial. Bist du seltener in fremden Stadien als beispielsweise früher in Luxemburg?
Ich kann bestätigen, dass wir in Luxemburg eine Person hatten, die ein Spiel filmte und ich reiste ins Stadion, um ein zweites Spiel unseres Gegners zu analysieren. Doch angesichts all der Daten und Videos, die wir über den DFB zur Verfügung haben, und Zugängen zu allen Aufnahmen der Bundesliga, ist es tatsächlich meist nicht mehr notwendig, die Spiele der Gegner selbst zu besuchen. Zumindest hält es sich sehr in Grenzen.

Du warst Spieler bei FC Lorentzweiler, UNA Strassen und Young Boys Diekirch in Luxemburg – wie kam es zur ersten Begegnung mit Dino Toppmöller und dem Schritt zum Analysten?

Im Austausch: Nélson Morgado und Chefcoach Dino Toppmöller.

Fußball war schon immer meine Leidenschaft. Als Jugendlicher habe ich Einladungen von Vereinen in Frankreich, Le Havre und Guingamp, sowie von Sporting Lissabon erhalten. Nach meiner Knieverletzung kam die Entwicklung jedoch ins Stocken. In Luxemburg hatte ich wieder viel Spaß am Spiel. Dino Toppmöller bin ich erstmals bei einem Spiel mit Strassen gegen Hamm Benfica begegnet, bei denen er Spielertrainer war. Ich hatte damals schon das Gefühl, dass er nicht nur viele Tore schießt, sondern die Taktik auf sich zugeschnitten hat (lacht). Mit 27 zog ich mir wieder eine Knieverletzung zu, diesmal am anderen Knie, und hörte mit Fußball auf. Hinzu kam die Elternzeit mit meinem Sohn Bryan, währenddessen ich mich viel mit Fußball auseinandersetzte. Ich analysierte Spiele von Real Madrid, beobachtete, wie Barca deren Stärken und Schwächen entgegenwirkte. Ähnlich tat ich es mit ManCity und Arsenal. In mir reiften viele Ideen, mit denen ich auf Trainer in Luxemburg zuging. Dino machte mich schließlich zu seinem Analysten. Um ihn zu überzeugen, zeigte ich ihm einen von mir erstellten Beispielbericht und sagte: „Du brauchst mich nicht, um Meister zu werden. Aber um in den Europapokal zu kommen, würde vielleicht eine gezielte Gegneranalyse die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen.“ Nach einem Jahr hatten wir uns für die Europa League qualifiziert. Damit fing alles an.

2021 wurde AS Monaco auf dich aufmerksam. Der damalige Trainer Niko Kovac ist in Frankfurt in bester Erinnerung. Hattest du dich vor dem Wechsel zur Eintracht bei ihm erkundigt?
Ja, ich hatte mich vorher bei Niko informiert, als die Anfrage von Dino kam, ob ich mich seinem Stab in Frankfurt anschließen möchte. Er hat mir nur Gutes über den Verein, die Fans, das Stadion und die Stadt berichtet. Danach bin ich mit dem Wunsch nach einer Veränderung an Monaco herangetreten und bin stolz darauf, nun für einen großartigen Verein wie die Eintracht zu arbeiten!

Für die qualitative Analyse beobachten wir mindestens vier, fünf Spiele des Gegners.

Nélson Morgado, Co-Trainer Analyse

Seit 2023/24 firmierst du bei Eintracht Frankfurt als Co-Trainer Analyse. Was kann man sich unter diesem Aufgabenprofil – als Leiter des Analyseteams – vorstellen?
Zunächst geht es darum, so viele Informationen wie möglich über unsere Gegner in Erfahrung zu bringen, um die Mannschaft bestmöglich vorzubereiten. Hier unterscheiden wir zwischen quantitativer und qualitativer Analyse. Die quantitative basiert auf physischen Daten jeder Spielphase: offensive Organisation, defensiver Übergang, defensive Organisation, offensiver Übergang, Standardsituationen. Für die qualitative Analyse beobachten wir mindestens vier, fünf Spiele des Gegners und bereiten die Erkenntnisse gebündelt für das Trainerteam auf. Auf dieser Grundlage entstehen Matchplan und Trainingsinhalte.

Du leitest insgesamt vier Analysten an. Wer hat welche Schwerpunkte?
Marco Schuster ist als Chefanalyst für die Gesamtorganisation verantwortlich und stellt außerdem die Verbindung zu den Analysten des Nachwuchsleistungszentrums her. Seine Erfahrungswerte sind eine große Hilfe, wir sind im engen Austausch und können uns gegenseitig Aufgaben abnehmen. Yannick Herkommer übernimmt die erwähnte Gegneranalyse und erstellt einen vollständigen Bericht, den ich für unsere Zwecke filtere. Marco Russ erstellt den Videobericht für Standardsituationen des Gegners – in Kombination mit Stefan Buck. Außerdem erstellt Marco über jeden gegnerischen Spieler ein Videoprofil, das wir unseren Jungs zur Verfügung stellen, um sich bestmöglich auf die möglichen direkten Duelle einzustellen. Maximilian Steiger ist für die Aufzeichnungen unserer Trainingseinheiten und Spiele zuständig, steuert die Drohne und taggt die Einheiten. Das hilft sehr, um die Verhaltensweisen unserer Spieler zu bewerten und in Taktiksitzungen anzuwenden.

Nélson Morgado hat viel Lob für die Lernbereitschaft der Frankfurter Fußballer übrig.

Was sind die größten Herausforderungen, die die Gegner in der Bundesliga in deinen Augen ausmachen?
In erster Linie taktischer Natur. Im Vergleich zur Ligue 1 in Frankreich gibt es in Deutschland viel mehr Varianten. Die Trainer reagieren schneller auf neue Spielsituationen, nicht erst in der Halbzeitpause. Genau das ist der Hintergrund, weshalb unsere Spieler verinnerlichen müssen, nicht allein den Matchplan umzusetzen, sondern sich gegebenenfalls nach 20, 30 Minuten umzustellen. Dahingehend sind unsere Spieler nach einem gemeinsamen Jahr schon viel weiter und reifer, sie verfügen im Vergleich zur Vorsaison über ein ausgeprägteres Spielverständnis.

Wie sieht der Austausch mit anderen Staff-Bereichen aus?
Unsere Arbeit geht weit über Fragen wie Vierer- oder Fünferkette, hoher oder tiefer Block hinaus. Dass wir variabel sein möchten, ist kein Geheimnis. Vielleicht dazu ein Beispiel: Gemeinsam mit dem Trainer- und Athletikstab haben wir das Aufwärmprogramm vor den Spielen angepasst. Die Übungen sind variabler und fördern dadurch die Konzentration und Eigenverantwortung, die wir während der 90 Minuten einfordern. Dazu kommen mannschaftstaktische Verhaltensmuster, die für die Trainingsarbeit infrage kommen sowie inhaltliche Entwicklungspläne für jeden Spieler, der zwei bis drei Punkte umfasst. Bei alledem ist am Ende die Umsetzung der Spieler entscheidend. Sie hören gut zu und bedanken sich nach Einzelgesprächen. Diese Lernbereitschaft imponiert mir.

Bis zur Halbzeitpause stellen wir ausgewählte Clips zusammen.

Nélson Morgado, Co-Trainer Analyse

Was überwiegt: Daten oder Auge?
Grundsätzlich haben Daten im Fußball in den vergangenen Jahren einen hohen Stellenwert erreicht. Sei es beim Scouting oder in der Analyse. Allein darauf verlassen wir uns jedoch nicht. Im ersten Schritt sehen wir die Daten, im zweiten versuchen wir anhand des eigenen Auges die Ursachen der Zahlen herauszufinden. Das hilft bei der Interpretation. Für uns alle – Analysten und Trainer – gilt die Maxime, Lösungen aus derselben Perspektive, also anhand unserer Spielphilosophie, zu erarbeiten.

Wie sieht der Workflow während eines Spiels aus?
Xaver Zembrod und ich beobachten das Spiel von der Tribüne aus und stehen in konstantem Funkkontakt mit Jan Fießer, um unsere Eindrücke aus einem besseren Blickwinkel zu schildern. Bis zur Halbzeitpause stellen wir ausgewählte Clips zusammen, für den Fall, dass uns Anpassungen helfen könnten. In der Regel sehen die Spieler hier vier exemplarische Szenen: zwei defensive, zwei offensive.

Was genießt den höheren Stellenwert: Fokus auf die eigene Spielphilosophie oder Schwachstellen der Gegner?
Es ist wie so oft eine Kombination aus beidem. Priorität hat, unsere eigenen Spielprinzipien zur Geltung kommen zu lassen und gleichzeitig Schwachstellen des Gegners zu finden und auszunutzen. Es kann aber auch sein, dass wir vermuten, dass der Gegner gegen uns anders antreten wird als üblich; dann bereiten wir uns auf mehrere Szenarien vor. Das betrifft beide Teams, es ist ein Wechselspiel, ein bisschen wie Schach – nur dynamischer (lacht).