Als West Ham United 2016 in sein neues Stadion umzog, waren die Fans am Boden zerstört. Der Upton Park war einzigartig und viel greifbarer als das Olympiastadion Londons. Während die Fans früher durch die Straßen Ostlondons gingen, um zum Spiel zu gelangen, vorbei an den Kneipen und Verkäufern und anderen Besuchern, spazieren sie nun durch ein seelenloses Einkaufszentrum. Früher konnten sie, so nah am Spielfeld sitzend, den Ball förmlich greifen, wenn ein gegnerischer Spieler einen Einwurf ausführte; heute könnten sie fast ein Fernglas gebrauchen, um über die optisch gewöhnungsbedürftige Laufbahn hinauszusehen. Die Fans waren vom Umzug in das neue Stadion also nicht begeistert. Aber um sicherzustellen, dass dieser unvoreingenommen über die Bühne geht, machten die Eigentümer große Versprechungen. Sie sagten nämlich, dass sie damit die nächste Stufe erklimmen würden. Sprich: Champions-League-Fußball, was gleichzeitig der Traum der Fans war.
Und genau darum geht es bei diesem Europa-League-Spiel gegen Eintracht Frankfurt. Die Eigentümer von West Ham wollen endlich ihr Versprechen vom Weltklassefußball einlösen. Und der Verein wird diese Saison nur dann in die Königsklasse einziehen, wenn er diesen Wettbewerb gewinnt. Es war zum Vorteil für Frankfurt, dass sie die Zuschauer im Stadion mit einem frühen Tor verunsicherten. Zudem machten die Gäste in den 90 Minuten den Hausherren das Leben schwer. Trainer David Moyes war enttäuscht von diesem Spiel, ebenso wie die Spieler. Sie haben sich eine ihrer schwächsten Saisonleistungen für jenen Abend aufgespart und wissen, dass sie es im Rückspiel besser machen müssen. Sehr viel besser. Aber wenn man Moyes im Vorfeld zuhört, ist er zuversichtlich, dass West Ham in Deutschland den nötigen Sieg einfahren kann. Er wird vorhaben, was Frankfurt getan hat: Früh zuschlagen und versuchen, die Fans zum Schweigen zu bringen.
David Moyes hat es wahrscheinlich satt, immer wieder auf dieses Jahr angesprochen zu werden. Es ist ihm egal, was damals passiert ist. Er interessiert sich einzig für die Gegenwart.
Kieran Gill
Der Spieler, den Eintracht Frankfurt am meisten fürchten muss, ist Jarrod Bowen. Diejenigen, die vergangene Woche gesehen haben, werden sich an ihn erinnern. Bowen ist derjenige, der in letzter Sekunde den Ball per Fallrückzieher an die Latte schoss. Bowen ist ein gefürchteter Angreifer und wird auf dem rechten Flügel spielen, von wo aus er den alleinigen Stürmer Michail Antonio unterstützen soll. Bowen hat früher in unteren Spielklassen gespielt, weshalb es eine schöne Geschichte ist, dass er sich von ganz unten nach ganz oben gearbeitet hat. Er wurde noch nicht in die englische Nationalmannschaft berufen, was sich aber bald ändern wird. Gareth Southgate wird ihn bei der nächsten Länderspielpause in den Kader berufen. Bowen erzielte am Sonntag bei der 1:2-Niederlage gegen Arsenal sein zehntes Premier-League-Tor in dieser Saison und wird sich gute Chancen ausrechnen, das zu schaffen, was Trevor Brooking im Jahr 1976 im Europapokal der Pokalsieger für West Ham gelang: die Eintracht aus dem Wettbewerb zu schießen. Wenn es jemandem gelingen kann, dann diesem trickreichen 25-Jährigen.
Ich brauche die Fans von Eintracht Frankfurt nicht an die Geschichte dieses Spiels von 1976 zu erinnern. Wir alle wissen, was damals passiert ist. Einige Tage vor dem Hinspiel im London Stadium wurde ich auf das Trainingsgelände von West Ham in Romford eingeladen, um Mervyn Day, Pat Holland und Keith Robson zu interviewen. Drei Spieler, die vor 46 Jahren bei diesem berühmten Spiel dabei waren. Sie sahen sich die Höhepunkte an und schwelgten in Erinnerungen, insbesondere darüber, wie nass es war. Die Tatsache, dass die Eintracht das Hinspiel mit 2:1 gewonnen hatte, sorgte dafür, dass die Anspielungen auf 1976 nicht abreißen wollten. Trainer David Moyes hat es wahrscheinlich satt, immer wieder auf dieses Jahr angesprochen zu werden. Es ist ihm egal, was damals passiert ist. Er interessiert sich einzig für die Gegenwart.
Wer auf dem Feld nicht alles gibt, kommt unter Moyes nicht zum Zuge. Das ist nicht verhandelbar.
Kieran Gill
Moyes ist ein netter Mann, mit dem man sehr gut auskommt. Es gibt nicht viele Premier-League-Trainer, die Fußballjournalisten zu einem Weihnachtsdrink einladen. Moyes aber hat genau das vor der COVID-19-Pandemie getan. Bei Manchester United hat es für ihn nicht geklappt, aber diese Enttäuschung hat er mittlerweile überwunden. Seine Zeit als Trainer von West Ham hat sich wie eine echte Erlösungsgeschichte angefühlt. Er arbeitet für einen Verein, der sein Potential noch nicht komplett ausgeschöpft hat. West Ham ist ein schlafender Riese am Rande eines europäischen Finales. Nachdem Moyes seine Chance als Trainer von United, dem wahrscheinlich größten Verein der Welt, nicht genutzt hatte, hat er viele Bewunderer dafür gewonnen, wie er West Ham verbessert hat. Sein 4-2-3-1-System mit einem sehr talentierten Mittelfeldduo, Declan Rice und Tomas Soucek, basiert auf harter Arbeit. Wer auf dem Feld nicht alles gibt, kommt unter Moyes nicht zum Zuge. Das ist nicht verhandelbar.
Abschließend tut es mir sehr leid, was den beiden Radio-Kommentatoren passiert ist, die in London während der Übertragung auf der Pressetribüne von hinten angegriffen wurden. Es ist gut, dass West Ham die Schuldigen identifiziert und versprochen hat, unbefristete Sperren zu verhängen, sobald die Ermittlungen zu den Vorfällen mit Tim Brockmeier und Philipp Hofmeister abgeschlossen sind. Der englische Fußball wird leider immer noch von ein paar Unverbesserlichen beherrscht.