25.04.2020
Interview

„Eine Seite hat gejubelt, die andere...“

Dragoslav Stepanovic verrät den Ursprung von „Lebbe geht weider“, wie er anhand Zeitungsartikeln Englisch gelernt hat und wie er Eintracht-Trainer wurde.

Stepi, wie geht es dir in diesen Zeiten?
Ich habe das Glück, dass ich direkt an einem Wald wohne. Daher gehe ich jeden Morgen erstmal eine Runde spazieren. In meinem Keller stehen noch ein Fahrrad und ein Laufband und meine Frau gibt mir täglich neue Aufgaben, die im Garten erledigt werden müssen – der Zettel wird immer länger (lacht). Außerdem verbringe ich natürlich auch viel Zeit vor dem Computer und vor dem Fernseher. Langweilig wird es mir nicht, aber jeder Fan merkt jetzt, wie sehr der Fußball fehlt.Seit einigen Jahren bist du Markenbotschafter der Eintracht – was sind deine Aufgaben?
Ich bin bei jedem Heimspiel im Stadion, gehe in verschiedene Logen und beantworte die Fragen der Gäste. Die meisten fragen mich, warum der Trainer Spieler XY aufgestellt hat und nicht lieber einen anderen einwechselt (lacht). Nein, ich bin einfach hauptsächlich für den Kontakt zwischen der Eintracht und den Fans zuständig. Oftmals beantragen große Firmen, bei einem Training dabei zu sein und dann führe ich sie auf dem Gelände herum. Es gibt sehr viele Dinge, die anfallen und ich bin immer wieder froh, dass ich überall hingehen und Leute begeistern kann.Hast du in Frankfurt deine Heimat gefunden?
Die erste Fußballstation meines Lebens im Ausland war Frankfurt, meine Familie und ich haben uns hier immer sehr wohlgefühlt. Wir waren überall in Europa und auf der Welt unterwegs, aber es hat uns jedes Mal zurück nach Frankfurt verschlagen. Wie kam es 1976 zu deinem Wechsel zur Eintracht?
Die Eintracht stand damals auf dem 14. Platz und hat auf der linken Verteidigerposition dringend einen neuen Spieler gesucht. Dann ist der damalige Trainer Hans-Dieter Roos auf mich aufmerksam geworden und hat mich zu einem Probetraining eingeladen. Er hat einfach die Bälle hochgeschlagen und ich wusste gar nicht, was ich damit machen soll (lacht). Aber am Ende war er zufrieden und ich bekam einen Vertrag. Darüber war ich sehr glücklich. Roos wurde dann allerdings vier Spiele später entlassen. Es folgte Gyula Lóránt, unter dessen Leitung wir zwar das erste Spiel verloren, danach aber bis zum Saisonende in 21 Partien ungeschlagen blieben. Das war eine ganz tolle Zeit. Ich kann mich noch genau an seine erste Kabinenansprache vor dem Spiel in Bremen erinnern: „Wenn wir nicht auf jedes Tor und auf jeden Punkt aufpassen, dann werden wir am Ende nicht Meister“, hat er allen Ernstes gesagt. Damals standen wir auf dem 16. Platz und er sprach von der Meisterschaft – da haben wir Spieler gelacht. Nach der Niederlage in Bremen haben wir noch 14 Mal gewonnen und sieben Mal Unentschieden gespielt – zweimal zu viel. Denn am Ende haben uns zwei Punkte gefehlt, um die Schale zu gewinnen.Hast du dir als Trainer etwas von Gyula Lóránt abgeguckt?
Die Offensive war mir am wichtigsten. Unter Lóránt haben wir immer mehr Wert auf das Spiel nach vorne gelegt und wenn du das als Spieler so mitbekommst, dann übernimmst du das auch als Trainer.In dieser Saison habt ihr auch in München gewonnen. Kannst du dich daran noch erinnern?
Natürlich! Ich habe ein sehr gutes Spiel gemacht. Damals habe ich auf der Sechs gespielt und Uli Hoeneß auf der Acht. Er hat eine Ecke ausgeführt, ich habe den Ball abgefangen und bin im Konter direkt auf Franz Beckenbauer zugelaufen. Der hat laut gerufen und gefragt, warum mich niemand deckt. Dieses System, das Dettmar Cramer damals spielen ließ, war schon ein wenig veraltet. Das haben wir ausgenutzt und 3:0 gewonnen. Bayern hatte es aber immer schwer gegen uns, auch als Trainer habe ich zwei Mal gegen sie gewonnen. Trotzdem haben die Bayern das erreicht, was keiner anderen deutschen Mannschaft gelungen ist. Aber wir haben mit Adi Hütter einen Trainer, der es mit der Eintracht noch ganz weit bringen kann. Wie hast du den Pokalsieg 2018 erlebt?
Was in jener Saison bei der Eintracht passiert ist, das gab es noch nie. Irgendwoher kam ein riesiges Selbstbewusstsein, sodass man ganz viele Leute nach Berlin eingeladen hat. Es sind unfassbar viele Menschen mit Zügen und Autos angereist. Und dann haben wir gewonnen – das war einfach pure Freude. Da habe ich gesehen, was wir 1992 verpasst haben. Die ganze Stadt war auf der Straße und hat die Mannschaft gefeiert. Ich wusste, dass Mijat Gacinovic schnell ist, aber dass die Bayern so langsam sind, das wusste ich nicht. Schade, dass Mats Hummels jetzt nicht mehr dort spielt, im kommenden Halbfinale hätten die Laufduelle gegen ihn sicher gut getan (lacht). Du hast den Traum vieler Fußballer gelebt, einmal auf der Insel zu spielen. Wie war deine Zeit bei Manchester City?
Der damalige Trainer von Manchester City Malcom Allison wollte mit einem Libero spielen. Ein Freund von mir hat ihn dann auf mich aufmerksam gemacht und Allison hat gesagt: „Das ist mein Mann.“ City hat jahrelang mit einer Viererkette gespielt, bis er mich als Libero gestellt hat. Irgendwann rief mich ein Freund an und erzählte mir, dass in der Zeitung stehen würde, ich sei beim nächsten Spiel Kapitän. Da habe ich zu ihm gesagt: „Bist du bescheuert? Ich kann kein Wort Englisch.“ Am Spieltag sagt mir Allison fünf Minuten, bevor wir aus der Kabine gehen, dass ich heute als Kapitän auflaufe. Da ist mir das Herz in die Hose gerutscht, aber ich habe es natürlich gemacht. Auch wenn ich die Sprache nicht konnte, habe ich viel auf dem Platz organisieren und zeigen können. Ich habe das dann ein paar Spiele gemacht, bis ich mich leider verletzt habe. Wie hast du dich dann damals mit deinen Kollegen unterhalten?
Heutzutage wird für die Spieler alles organisiert, damit sie die Sprache in Ruhe lernen können. Ich habe mir das damals mithilfe von Zeitungsartikeln selbst beigebracht, indem ich mir die Berichte zu unseren Spielen durchgelesen habe. Ich wusste, was in der Partie passiert ist und so konnte ich mir zusammenreimen, welche Wörter die verschiedenen Aktionen beschreiben. Diese Artikel habe ich an die Wand geklebt und jeden Morgen beim Frühstück nochmals gelesen. So habe ich die Sprache gelernt, aber es hat sich auch keiner kaputtgelacht, wenn ich mal ein Wort falsch ausgesprochen habe. Sie haben mir sogar geholfen. Damals sprach keiner meiner Mitspieler Deutsch, deshalb hatte ich auch keine andere Wahl, als Englisch zu lernen. Als du zurückgekommen bist, hast du deine Trainerkarriere gestartet.
Meine Knie haben irgendwann nicht mehr mitgemacht, deshalb musste ich meine Profikarriere beenden. Zeitgleich kam Branko Zebec zur Eintracht, den ich schon gut kannte. Ich wollte sein Co-Trainer werden, aber er hat mir erklärt, dass ich erst den Fußballlehrer machen muss. Darauf hatte ich damals eigentlich keine Lust, aber er hatte natürlich Recht. Ich muss mich bei Branko dafür bedanken, dass er mich in die Schule geschickt und mir den richtigen Weg gezeigt hat. Wie bist du dann zur Eintracht gekommen?
Ich war damals Trainer bei Eintracht Trier und wir haben erstmals seit zehn Jahren wieder in Worms gewonnen. Dann ist die Oma meiner Frau in Frankfurt von der Treppe gefallen und wir mussten zurück, um sie zu pflegen. Irgendwann habe ich den Anruf von Bernd Hölzenbein bekommen und er hat gefragt: „Stepi, kannst du Trainer bei der Eintracht werden?“ Ich dachte erst, er will mich verarschen. Natürlich wollte ich das machen, also habe ich mit meiner Frau gesprochen und sie hat mich sofort darin bestärkt. Ich bin am nächsten Morgen ins Stadion gefahren und habe den Vertrag gleich unterschrieben. Dann kam ich raus und da standen hunderte Menschen, die noch nicht wussten, wer der neue Trainer ist. Als sie mich gesehen haben, hat die eine Seite gejubelt, die andere Seite war gar nicht zufrieden. Mir hat das aber nichts ausgemacht. Dann kam das erste Spiel gegen Wattenscheid 09 und wir haben 4:0 gewonnen. Anschließend haben wir mit einem 3:0-Sieg in Dortmund nachgelegt. Das war ein toller Einstand. Am Ende der Saison standen wir auf einem UEFA-Pokalplatz und die nächste Saison lief wunderbar. Welche Erinnerungen hast du an die Saison 1991/92?
Das war eine tolle Saison. Ein Spieler der Stuttgarter Kickers hat uns damals das Attribut „Fußball 2000“ gegeben, nachdem wir 6:1 gegen sie gewonnen hatten. Unsere Mannschaft hat damals einfach super zusammengepasst. Ich glaube, das war die beste Mannschaft, die die Eintracht jemals hatte. Was uns gefehlt hat, war ein Titel. Ich werde nie den Satz von Axel Hellmann vergessen, dass Eintracht-Fans immer leiden müssen, weil wir sehr oft ganz oben waren, ohne einen Titel zu holen. Ich bin aber stolz, dass die Eintracht so tolle Fans hat. Wenn ich diese ganzen Choreografien sehe, da geht mein Herz auf.Hattest du deine Kneipe noch während deiner Zeit bei der Eintracht?
Ja, die hatte ich noch! Ab und zu war ich auch dort, aber das machte schnell die Runde und ich musste mich verstecken. Denn ein paar Leute haben mich immer mal wieder gesucht, da sie wussten, dass ich oftmals ein paar Stunden in der Kneipe verbracht habe. Wenn sie mich nicht gesehen haben, sind sie aber direkt wieder gegangen. Da habe ich gemerkt: Man geht nur in eine Kneipe, wenn man jemanden kennt und viele Menschen sind nur wegen mir gekommen. Ich konnte aber nicht jeden Tag da sein.Bekommst du noch viele Autogrammanfragen?
Zu Beginn meiner Zeit bei der Eintracht hatte ich keine Autogrammkarten. Als ich irgendwann gemerkt habe, dass viele Fans gerne meine Unterschrift hätten, habe ich mir welche besorgt. Auch heute sagt meine Frau mir immer wieder, dass neue Anfragen gekommen sind. Die erfülle ich natürlich gerne. Ich habe die Autogrammkarten auch immer dabei. Wenn also jemand eine Unterschrift haben möchte, dann bekommt er die auch!Was hat dir der Fußball im Leben bedeutet?
Alles! Fußball ist das A und O in meinem Leben. Ich bin nicht ein einziges Mal zu spät zum Training gekommen, weil ich mich immer drauf gefreut habe. Ich durfte die ganze Welt sehen, bei tollen Vereinen spielen und tolle Vereine trainieren.Welche Hobbys hast du neben dem Fußball?
Ich habe versucht, Programmieren zu lernen – also Webseiten zu erstellen. Das war vor langer Zeit mal ein Traum von mir und den setze ich jetzt um. Früher hatte ich nie die Zeit dafür, aber jetzt bin ich Rentner und da kann ich das endlich mal angehen. Trotzdem ist Fußball einfach das Größte für mich und auch mit meiner Botschafterfunktion bin ich gut beschäftigt. Außerdem wollte ich schon immer mal die Jugend koordinieren und die Trainingseinheiten schreiben. Wenn meine Erfahrung irgendwann mal benötigt werden sollte, dann wäre das ein Job, den ich wahnsinnig gerne machen würde.Deinen Spruch „Lebbe geht weider“ kennt jeder. Kannst du uns dazu noch etwas erzählen?
Meine Mutter hat immer gesagt, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Diese musst du aber so schnell wie möglich finden, denn das „Lebbe geht weider“ und wartet nicht auf dich. Dem Motto bin ich immer gefolgt, ich habe nie gejammert. Auch vor der Niederlage bei Hansa Rostock am letzten Spieltag der Saison 1991/92 habe ich der Mannschaft gesagt: „Egal was kommt, wir werden hinterher nicht weinen und irgendwen beschimpfen.“ Das habe ich auch in der Halbzeit nochmal wiederholt. Leider haben wir das Spiel und den Titel verloren und deshalb habe ich den Spruch später auf der Pressekonferenz von mir gegeben. Mittlerweile ist der Spruch überall bekannt. Wenn ich zum Beispiel in München bin, kommen Leute auf mich zu und sagen: „Ich weiß nicht, wie Sie heißen, aber Sie haben gesagt ‚Lebbe geht weider‘“ (lacht)...