Es ist nach den zurückliegenden Wochen und Monaten sicher nicht die neueste Erkenntnis, dass die Adler über Nerven wie Drahtseile verfügen. Doch mit welcher Unbeirrbarkeit die Hessen am späten Samstagnachmittag den nächsten Champions-League-Vertreter nach Donetsk, Dortmund und Leipzig in die Schranken wiesen, setzte der bisherigen Entwicklung die Krone auf, wie selbst der leidtragende Gästetrainer Julian Nagelmann hinterher neidlos anerkannte: „Eine Mannschaft, die solche Spiele gewinnt, landet in meinen Augen am Ende auch oben.“ Zumindest stellen 40 Punkte nach 24 Saisonspielen die beste Bilanz seit 26 Jahren dar und sorgen pünktlich zum meteorologischen Jahreszeitenwechsel im Stadtwald für schönste Frühlingsgefühle. Ausgelöst und gleichermaßen personifiziert durch Goncalo Paciencia, der mit seinem Siegtreffer in der sechsten Minute der Nachspielzeit das Zünglein an der Waage spielte und die Commerzbank-Arena mitten in der Faschingswoche in ein Tollhaus verwandelte. Zahlenzauber am Rande: Zum 2019 nun schon neunten ungeschlagenen Match am Stück trugen mit Neuzugang Almamy Toure 29 Frankfurter Profis aus 19 verschiedenen Nationen bei, während der Mittelstürmer mit der Nummer 39 über 49.000 Zuschauer in Ekstase versetzte – einen Tag nach dem 59. Geburtstag von Co-Trainer Armin Reutershahn.
Dessen 49-jähriger Chefcoach Adi Hütter mochte in der Analyse zwar nicht auf die Euphoriebremse treten, zeigte aber sachlich und reflektiert die Entwicklungen und Unwägbarkeiten jener rasanten Achterbahnfahrt mit drei wechselnden Führungen auf und wog ab: „Für die Zuschauer war es ein tolles Bundesligaspiel. Es ging rauf und runter, es gab viele Torchancen“, was in solchen Fällen aber selten ein Genuss für die Trainer sei, wie auch Kollege Nagelsmann anmerkte: „Das war für die Zuschauer vielleicht schön anzusehen, für uns als Trainer eher nicht.“ Wieder Hütter: „Mit dem Beginn des Spiels war ich zufrieden, vor dem Seitenwechsel haben wir allerdings den Faden verloren.“ Doch zumindest der Geduldsfaden wollte nicht reißen, weshalb ganz zum Schluss der Knoten platzte. Namentlich eben durch den eingewechselten Rekonvaleszenten Paciencia, was im Spanischen nichts anderes als Geduld bedeutet.
Nichts zu teilen
Dass daneben zwischenzeitlich auch etwas Glück eine Rolle spielte, mochte Hütter gar nicht verhehlen. Gleichzeitig betonte der Österreicher aber auch die großartige Mentalität seiner Schützlinge, die sich selbst nach dem Ausgleich in der vorletzten Minute der regulären Spielzeit nicht mit einem Punkt begnügte: „Die Mannschaft wollte diese Partie unbedingt gewinnen, das war eindrucksvoll zu sehen.“ Womit letztlich sowohl der siegreiche Trainer als auch das scheinbar buchstäblich unschlagbare Publikum komplett auf ihre Kosten gekommen waren. „Sowas gibt‘s nur hier“, war auch der schon international gestählte Kevin Trapp vom Schlussspektakel angetan. Weshalb am Ende selbst die mit elf Unentschieden als Remiskönige geltenden Gäste mit komplett leeren Händen abreisten. Was insofern ungewöhnlich ist, weil die Kraichgauer nach dem 1:2 gegen die SGE im Hinspiel in der Bundesliga einzig den Rückrundenstart gegen die Bayern verloren hatten. Die übrigen Niederlagen setzte es im DFB-Pokal gegen Leipzig sowie in der Champions League, wo unter anderem zwei Mal Manchester City sowie ein gewisses Shakhtar Donetsk die Oberhand behielten.
Wie die Ukrainer im Hinspiel der Zwischenrunde kassierte auch die TSG in Frankfurt einen Platzverweis, aus dem es die Adler diesmal schafften, Profit zu schlagen. Die Gelb-Rote Karte gegen seinen früheren Spieler in Bern Kasim Adams bezeichnet auch Hütter als „Knackpunkt.“ Zumal die Gäste etwa durch einen Lattentreffer von Adam Szalai die mögliche Vorentscheidung verpassten.
Blaues Wunder
Als Folge der Überzahl agierte die Eintracht fortan mit einer Viererabwehrkette, sodass nach dem reaktivierten Sechser Makoto Hasebe auch Filip Kostic in der verbleibenden halben Stunde auf seiner gelernten Position als linker offensiver Mittelfeldspieler ran durfte. Unabhängig von den Feldbereichen gehörte der Serbe auch gegen Hoffenheim zu den absoluten Antreibern: 15 gewonnene Zweikämpfe, acht Flanken, vier Schüsse, 38 Sprints und 75 Ballkontakte waren allesamt teaminterne Topwerte. Auch Landsmann Mijat Gacinovic gilt es an dieser Stelle hervorzuheben, der mit 12,9 Kilometern die größte Strecke aller Akteure auf dem Rasen abspulte. Und nicht zu vergessen Flügelpendant Danny Da Costa mit 106 intensiven Läufen, was mit Abstand Bestwert war. Was umso bemerkenswerter erscheint, weil Da Costa bisher jedes Pflichtspiel in dieser Runde absolviert hat, und davon gab es wettbewerbsübergreifend immerhin 34 – das kommt schon Anfang März einer kompletten Bundesligasaison gleich.
Dabei geht das an Highlights nicht arme Spieljahr gefühlt erst richtig los. Für einen sowieso: „Jetzt haben wir Blut geleckt, das soll noch nicht das Ende der Fahnenstange sein“, ließ Paciencia, der Held des Tages, wissen. Denn das nächste blaue Wunder nach Hoffenheim steht schon in den Startlöchern: Am Donnertag schlägt die FC Internazionale Milano in der Mainmetropole auf.