08.10.2021
Team

„Ganz wichtig, wie wir auftreten“

Oliver Glasner im großen Interview. Was der Cheftrainer mit Gegenpressing, Leidenschaft, Antrieb, Siegen, der Nordwestkurve, Erkenntnissen und Roger Federer verbindet.

Oliver, was reizt dich an der Aufgabe Eintracht Frankfurt?
Der Deutsche Bank Park als Stadion an und für sich ist natürlich schön, vor allem wenn er mit so vielen Fans wie möglich gefüllt ist. Ich konnte die Stimmung mit den Fans bereits als Trainer des VfL Wolfsburg live erleben. Ein großer Anreiz war für mich die Tradition von Eintracht Frankfurt. Das ist ein Klub, der einen sehr gut klingenden Namen im deutschen Fußball hat. In den Gesprächen darüber, wie wir die Zukunft der Eintracht gestalten möchten, sind wir schnell auf einen Nenner gekommen. Das Gesamtpaket hat einfach super gepasst.

Was muss passieren, dass der Trainer im Mai 2022 sagt, dass es eine gute Saison war?
Wir sollten relativ viele Spiele gewonnen haben. Und das nicht nur in der Bundesliga, sondern im besten Fall auch in der Europa League. Im DFB-Pokal sind wir leider schon ausgeschieden. Auf der einen Seite geht es natürlich um die Tabellenplatzierung. Aber für mich ist immer ganz wichtig, wie wir auftreten, welchen Fußball wir spielen und ob man sieht, dass sich einzelne Spieler und wir als Mannschaft in eine positive Richtung entwickeln. Wenn wir das sehen, gepaart mit möglichst vielen Punkten, sitze ich sehr entspannt hier und blicke auf eine sehr gute Saison zurück.

Oliver Glasner sieht sich nach über 100 Tagen mit dem Adler auf der Brust genau an der richtigen Stelle: Der Trainerbank im Deutsche Bank Park.

Hast du schon einen Lieblingsplatz im Stadion?
Der Lieblingsplatz wird bestimmt der vor der Fankurve nach einem Sieg sein. Wenn das passiert, haben wir relativ viel gewonnen.

Welcher Verein wäre dein Lieblingsgegner im Deutsche Bank Park?
Der FC Liverpool.

Was ist das Geheimnis hinter deiner Arbeit?
Ich erzähle den Spielern oft, dass es wichtig ist, seinen Beruf mit großer Leidenschaft, Begeisterung und Freude anzugehen. Fußball ist für mich mein Beruf, mit dem ich mein Geld verdiene. Aber eigentlich ist es meine große Leidenschaft. Ich denke, das spürt man und merkt man mir an. Das ist die Grundvoraussetzung. Zweitens meine feste Überzeugung, dass du viel zurückbekommst, wenn du für eine Sache viel investierst. Das ist nicht nur im Beruf so, sondern auch in der Familie und im Freundeskreis. Wenn du deine Freundschaften pflegst, bekommst du etwas zurück. Lässt du sie liegen, löst sich das über die Jahre auf. Ähnlich ist es im Beruf. Wenn du bereit bist, viel an Leidenschaft, Zeit und Demut zu investieren, bekommst du viel zurück. Ich denke, diese Einstellung zieht sich bei mir als roter Faden durch.

Ich erzähle den Spielern oft, dass es wichtig ist, seinen Beruf mit großer Leidenschaft, Begeisterung und Freude anzugehen.

Cheftrainer Oliver Glasner

Bisher haben wir oft den ruhigen Oliver Glasner erlebt. Gibt es auch einen emotionalen und lautstarken?
Bei dem einen oder anderen Training merkt man, wenn ich unzufrieden bin. Die Einstellung ist mir immer sehr wichtig. Es muss nicht jeder Tag perfekt sein und alles gelingen. Ich möchte dennoch bei jedem Spieler das Gefühl haben, dass er an dem Tag alles gibt. Ist das nicht der Fall, kann ich auch mal laut und ungemütlich werden. Im Fußball ist es etwas schwer, da wir alle drei Tage spielen und zwischen Siegen und Niederlagen leben. Für mein eigenes Leben versuche ich ein gutes Mittelmaß meiner Emotionen zu finden.

Kommen wir zu deinen Anfängen als Cheftrainer. Hattest du ein Ereignis, an welchem du festmachst, dass du Trainer werden wolltest oder war es ein Prozess?
Ich habe als Spieler schon häufig wie ein Trainer gedacht. Allerdings hatte ich den Trainerjob nicht in meiner Zukunftsplanung. Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert, während ich gespielt habe. Ich wollte nicht sieben Jahre studiert haben, um dann Trainer zu werden. Ich bin eher zufällig in den Trainerkurs gerutscht. Meine Frau hat damals gesagt, dass ich den Kurs machen solle, weil ich in der langen Winterpause in Österreich nichts zu tun hatte. Sie sagt bis heute, dass es der größte Fehler war, den sie je begangen hat. Seitdem bin ich an den Wochenenden nämlich nicht mehr zu Hause. Ich habe danach nebenbei begonnen, die U10 bei uns im Dorf zu trainieren, weil mein ältester Sohn dort gespielt hat. Dort habe ich gemerkt, dass das, was ich den Spielern sage, ankommt. Das war zwar kein Leistungsfußball. Aber aus zehn bis zwölf Kindern sind irgendwann 25 geworden. Da habe ich gemerkt, dass die Kinder gerne kommen. Der Rest war ein schleichender Prozess. Ich bin froh, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe.

Meine Frau sagt bis heute, dass es der größte Fehler war, den sie je begangen hat.

Cheftrainer Oliver Glasner

Vor zehn Jahren hattest du einen schweren Unfall beim Fußball. Du bist mit einem Gegenspieler zusammengeprallt, zunächst sah es „nur“ nach einer leichten Gehirnerschütterung aus. Nach der nächsten Trainingseinheit stellte sich heraus, dass sich im Gehirn ein Blutgerinnsel gebildet hatte. Du musstest notoperiert werden. Wie hat diese Erfahrung deine Haltung zum Fußball verändert?
In der täglichen Arbeit tatsächlich nicht, ich war schnell wieder im Hamsterrad drin. Ich habe viele Aufgaben täglich zu bewältigen und meinen Fokus auf dem Hier und Jetzt. In seltenen Momenten, in denen ich mit mir selbst nicht zufrieden bin, rufe ich mir dieses Erlebnis wieder ins Gedächtnis und denke daran, dass es auch schon schlimmere Phasen gab als eine Niederlage oder Ähnliches. Die Erfahrung hat mich vor allem darin bestätigt, Bescheidenheit und Demut vorzuleben und meine Lebenseinstellung bestärkt.

Was machst du in deiner Freizeit, die als Cheftrainer eines Profiklubs sicher rar ist?
Ich versuche, die Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Ich war in Frankfurt auch schon auf dem Golfplatz. Da ist das Handy für die Dauer von neun Loch, also zwei Stunden, auch mal aus. Ich bin dann mit meinem Spiel beschäftigt, da bleibt wenig Platz für andere Gedanken. Bevor ich einschlafe, lese ich abends gerne, um ein wenig herunterzukommen. Für andere Dinge bleibt ansonsten wenig Zeit.

Welche Mannschaft oder welcher Spieler hat dich mit seinem Spielstil geprägt?
Wie es bei vielen der Fall ist, prägen dich in deinem ganzen Leben Menschen, die du kennenlernst. Auch ich habe viele Trainer und Mitspieler, die mich geprägt haben. Am Ende meiner aktiven Spielerkarriere, als ich schon 37 Jahre alt war, war Jürgen Klopp mit Borussia Dortmund sehr erfolgreich. Das waren die Jahre 2010 bis 2012. In diesem Zeitraum habe ich auch meinen Trainerkurs absolviert. Damals habe ich mich immer mehr mit dem Thema beschäftigt und es gab den neuen Ansatz mit dem Spruch „Gegenpressing ist der beste Zehner“, den Jürgen Klopp bis heute predigt. Meine Zeit bei Salzburg mit Ralf Rangnick und Roger Schmidt, als ich Assistenztrainer war, hat mich ebenso geprägt. Ich habe gesehen, dass man mit einem aggressiven und aktiven Spielstil sehr erfolgreich sein kann und auch die Spieler verbessern kann. Das war sicherlich die prägendste Zeit in meiner Karriere.

Oliver Glasner steht mit seinen Spielern stets im Austausch, wie hier mit Makoto Hasebe.

Was muss ein Trainer tun, um die Mannschaft für sich zu gewinnen?
In Deutschland gibt es nicht grundlos den Fußballlehrer. Das trifft es meiner Meinung nach sehr gut. Die besten Lehrer sind nicht die, die am meisten wissen, sondern die, die ihr Wissen den Schülern am besten vermitteln und für die Inhalte begeistern können. So sehe ich es auch als Fußballlehrer. Also nicht abhängig davon, welche Ideen wir in unseren Köpfen haben, sondern welche wir den Spielern weitergeben können. Es braucht aber auch eine gute Mischung zwischen Vertrauen und Respekt. Dabei ist nicht jeder Tag gleich. Manchmal versuche ich, mitten in der Gruppe zu agieren, manchmal aber auch von außen die Dinge mit einer gewissen Distanz zu betrachten. Was die Spieler immer von mir bekommen und worauf sie sich 100-prozentig verlassen können, ist Ehrlichkeit. Und das in beide Richtungen. Ich gebe Rückmeldungen sowohl wenn ich mit etwas nicht zufrieden bin. Und genauso, wenn ich mit etwas sehr zufrieden bin. Über allem steht immer der mannschaftliche Erfolg. Es ist mir ganz wichtig, dass jeder bei der Eintracht alles dem Erfolg der Mannschaft unterordnet.

Mit Jesse Marsch, Marco Rose, Adi Hütter, Gerardo Seoane, Bo Svensson, Urs Fischer und dir gibt es gleich sieben aktuelle Bundesligatrainer, die bereits in Österreich oder der Schweiz gearbeitet haben. Worin siehst du die Gründe, dass viele von dort den Schritt nach Deutschland schaffen?
Vorteilhaft ist natürlich die Sprache, auch wenn es eigentlich mehrere verschiedene Sprachen sind. Zudem sind wir auch sehr günstige Trainer. In Österreich und in der Schweiz ist man für deutsche Verhältnisse als Trainer eher unterbezahlt. Und natürlich ist es sportlich reizvoll, in der deutschen Bundesliga zu arbeiten. Hier hat der Fußball nochmal einen wesentlich höheren Stellenwert als in den beiden anderen Ländern.

Sieht als Oberösterreicher alles andere als eine Sprachbarriere: Oliver Glasner.

Dein Hochdeutsch ist sehr gut. Siehst du das genauso?
Wenn du zwei Jahre in Norddeutschland lebst, musst du hochdeutsch sprechen, sonst versteht dich niemand. In Frankfurt ist das etwas einfacher, weil die Nähe zu Bayern gegeben ist. Ich komme aus Oberösterreich, mein Dialekt ist dem bayerischen Dialekt relativ ähnlich. Deswegen versteht man mich hier auch mit meinen österreichischen Worten.

Welcher Spieler oder Sportler beeindruckt dich am meisten oder hat dies in der Vergangenheit getan?
Im Fußball gibt es viele, aber ich schaue auch gerne über den Tellerrand hinaus. Für mich sind prägende Persönlichkeiten in anderen Sportarten Michael Jordan, den ich sehr verfolgt habe, und die aktuell drei großen Namen im Tennis: Novak Djokovic, Roger Federer und Rafael Nadal. Die Frage, die ich mir häufig stelle, ist, was diese Sportler antreibt. Sie spielen über zehn bis 15 Jahre auf absolutem Topniveau. Da ist es nicht das Geld, das sie antreibt. Es ist die Liebe zum Sport, das Comeback nach einem schweren Rückschlag, der Glaube an sich selbst und die Bereitschaft, viel zu investieren, um wieder an die Spitze zu kommen. Ich denke, dass man sich davon viel abschauen kann. Sie sind für mich prägende Persönlichkeiten im Sport, von denen man die Einstellungen und die Liebe zum Sport mitnehmen kann.

Und im Fußball?
Lionel Messi und Cristiano Ronaldo spielen bereits über zehn Jahre auf Topniveau und absolvieren mit den zusätzlichen Länderspielen über 60 Partien im Jahr. Sie investieren ganz viel und sind immer bereit, weil sie den Fußball so lieben. Diese Leidenschaft für die jeweilige Sportart ist für mich das größte, das du in deinem Beruf haben kannst.

Dieses Gespräch erschien als erstes als Titelgeschichte der Septemberausgabe der „Eintracht vom Main“.

Am Donnerstag, 7. Oktober, sind exakt 100 Tage seit der offiziellen Vorstellung von Oliver Glasner als neuem Cheftrainer von Eintracht Frankfurt vergangen. Wie passend, dass der Österreicher das Cover der Jubiläumsausgabe der „Eintracht vom Main“ ziert. Dieses Interview erschien als erstes in dem 50. Klubmagazin von Eintracht Frankfurt. Hier erhalten Leser nicht nur Einblicke in das Leben von Oliver Glasner, sondern auch die Ziele von Siegfried Dietrich, die Planungen der Turnabteilung und viele weitere exklusive Inhalte.