23.03.2019
Interview

„Geh! Geh dort hin!“ – Goncalo Paciencia im großen Interview

Er kam mit Vorschusslorbeeren, traf im Pokal, verletzte sich und nahm in der Rückrunde einen neuen Anlauf. Jetzt spricht der Comebacker der vergangenen Wochen.

Goncalo, dein erstes Tor in der Commerzbank-Arena ist gar nicht lange her. Was bedeutet dieses erste Bundesligator für dich?
Es bedeutet mir eine Menge, weil es mein erstes Tor für die Eintracht, mein erstes Tor nach meiner langen Verletzung und mein erstes Tor in unserem Stadion war. Wenn ich an meine Zeit während meiner Verletzung denke und nun sehe wie die Dinge für mich laufen, macht mich das sehr glücklich. Das Tor war ein unglaublicher Moment für uns alle.

Würdest du es als eines deiner emotionalsten Tore bezeichnen?
Ich glaube, ich habe bisher nicht viele Spiele bestritten, die bis zur 96. Minute gelaufen sind. Der gesamte Spielverlauf war unglaublich. Zuerst führen wir, dann macht Hoffenheim zwei Tore und schließlich gewinnen wir in letzter Minute noch das Spiel – das war großartig.

Wie viele Nachrichten hast du am Abend erhalten?
Unzählige. Meine Familie und alle meine Freunde haben gemeinsam mit mir lange auf diesen Moment gewartet. Auch für sie war es unglaublich, sie haben sich riesig für mich gefreut.

Das Toreschießen hast du ja in die Wiege gelegt bekommen. Dein Vater Domingos ist eine Porto-Legende und hat über 100 Tore für den Klub geschossen. Was hast du von ihm mitgegeben bekommen?
Mein Vater und ich haben fußballerisch nicht viel gemeinsam. Er ist ein wenig kleiner und auch schmächtiger als ich, daher unterscheidet sich unsere Spielweise. Trotzdem hat er mir natürlich viel geholfen. Er hat mir gezeigt wie ich mich auf dem Platz zu bewegen habe und hat auch immer viel mit mir gesprochen.

Und worin unterscheidet ihr euch?
Mein Vater ist verdammt schnell, wirklich verdammt schnell und er hat seine Stärken im Tempodribbling. Ich dagegen bin technisch stärker und bin durch meine Größe auch robuster als er.

Dein jüngerer Bruder Vasco spielt wie einst Luka Jovic bei der U23 von Benfica Lissabon. Was ist dein Bruder für ein Spielertyp und wäre er einer für die Eintracht?
Mein Bruder ist vor Kurzem von Porto zu Benfica gewechselt, um sich zu verbessern und neue Herausforderungen anzugehen. Für meinen Vater und mich war das zuerst ein komisches Gefühl, weil wir beide sehr viele Jahre für Porto gespielt hatten und Benfica ein großer Rivale von Porto ist. Wir werden sehen, ob es ihn vielleicht einmal zur Eintracht verschlägt. Zuerst muss er aber viel trainieren und sich verbessern.

Mit bereits acht Jahren hast du in Porto das Fußballspielen gelernt. Was macht den Klub in deinen Augen so besonders?
Porto ist einer der größten Klubs in Portugal, der auch auf europäischer Bühne schon einige Titel gewonnen hat. In meiner Kindheit habe ich jedes Spiel von Porto gesehen – natürlich auch, weil mein Vater dort gespielt hat. So habe ich auch die großen Spiele gesehen, als Porto mit José Mourinho und seinem starken Team die Champions League und den UEFA-Cup gewonnen hat. Es ist ein großer Klub, der, ähnlich wie die Eintracht, verrückte Fans hinter sich weiß. Jetzt bin ich aber in Frankfurt, weshalb all meine Gedanken der Eintracht gelten.

Du wurdest Meister mit Porto. Stammspieler warst du bei deinem Heimatverein aber selten. Warum hast du dich für einen Wechsel entschieden?
Während meiner Zeit in Porto habe ich als junger Spieler wenig Perspektive gesehen. Deshalb habe ich nach neuen Herausforderungen in Portugal gesucht, um Spielminuten sammeln zu können. So kamen insgesamt vier Leihgeschäfte zustande – drei davon innerhalb Portugals bei Académica Coimbra, Rio Ave FC und Vitória Setúbal und eines bei Olympiakos Piräus. Speziell meine Zeit bei Olympiakos war eine gute Erfahrung, weil ich mich zum ersten Mal außerhalb meiner Heimat zurechtfinden musste. Als 19-Jähriger war es anfangs etwas schwierig für mich alleine zu wohnen, aber es war dennoch eine wertvolle Zeit.

Was hat dein Vater damals zu dir gesagt, als du ihm mitgeteilt hast: Ich gehe zu Eintracht Frankfurt?
Er sagte mir: „Geh! Geh dort hin!“ Zum damaligen Zeitpunkt kannte er den Klub und auch die Bundesliga natürlich schon. Deshalb sagte er mir, dass ich nicht zögern solle, weil die Eintracht ein großer Klub sei und er mich bereit für diese Herausforderung sehe.

Warum genau hast du dich für einen Wechsel zu Eintracht Frankfurt entschieden?
Ich glaube, es war einfach an der Zeit Porto zu verlassen. Ich habe dort meinen großen Traum vom Gewinn der Portugiesischen Meisterschaft mit meinem Heimatsklub verwirklichen können. Es war ein tolles Gefühl, mit dem Klub, von dessen Stadion ich nur wenige Meter entfernt gewohnt habe und für den auch mein Vater jahrelang gespielt hat, den Titel zu gewinnen und diesen anschließend gemeinsam mit meinen Freunden zu feiern. Als mir mein Berater jedoch von dem Interesse der Eintracht erzählte, musste ich nicht lange überlegen, ob ich gehe oder nicht. Eintracht Frankfurt ist ein großartiger Verein. Ich habe damals das DFB-Pokalfinale gegen Bayern München gesehen und war sofort fasziniert – das war wie bei meinem Tor gegen Hoffenheim (lacht). Ich glaube, jeder aus Europa, wenn nicht sogar aus der ganzen Welt, kennt die Eintracht. Der Klub ist in einer großen Stadt beheimatet und spielt dazu noch in einer großen Liga – das waren gute Gründe für meinen Wechsel zur Eintracht. Doch allem voran waren natürlich auch die Fans einer der ausschlagebenen Gründe. Ich habe sie damals in der Europa League live im Stadion erleben dürfen, als die Eintracht zu Gast war. Wie sie damals durch die Straßen der Stadt gezogen sind, das war der Wahnsinn.

Dein Anfang war alles andere als einfach: Neuer Klub, neues Land und dann hast du dir auch noch den Meniskus gerissen. Wie sehr hat dich das mitgenommen?
Ich habe in meiner Karriere schon viele Verletzungen gehabt, doch ich habe immer versucht, meine Verletzungen zu akzeptieren und immer positiv zu denken. Das ist natürlich schwierig, besonders, wenn man seine Mannschaftskameraden sieht, wie sie Woche für Woche voller guter Laune ihre Siege feiern und man selbst aber aufgrund der Verletzung nicht dabei sein kann. Natürlich freut man sich auch als verletzter Spieler über jeden Sieg seines Teams, aber man möchte trotzdem das Gefühl haben, ein wichtiger Teil der Mannschaft und des Klubs zu sein – dieses Gefühl habe ich während meiner Verletzung nicht gespürt. Das war hart für mich, aber glücklicherweise hatte ich immer die richtigen Leute um mich herum: die Spieler, die Trainer, die Betreuer und die Ärzte. Das hat es mir ein wenig leichter gemacht, mit der Verletzung umzugehen.

Du bist ja generell ein sehr optimistischer Mensch. Inwiefern hat dir das während deiner Verletzungen geholfen?

Man muss die Situation einfach akzeptieren. Wenn du das nicht tust, kann es Ewigkeiten dauern, bis du wieder auf dem Platz stehen kannst. Ich dachte mir deshalb, dass ich mich gut von meiner Verletzung erholen muss. Ich habe mir auch all unsere Spiele angeschaut, um Kraft zu tanken. Wenn die Mannschaft gut spielt und die Mehrheit ihrer Spiele gewinnt, gibt dir das für der Reha einen zusätzlichen Motivationsschub, weil du unbedingt ein Teil des Teams sein und endlich wieder auf dem Platz stehen möchtest.

Du und Timothy Chandler seid in dieser Zeit gute Freunde geworden. Wie ist diese entstanden?
Wir haben in der Reha viel Zeit miteinander verbracht. Er ist ein super Typ, der genauso positiv eingestellt ist, wie ich. Seit meiner Ankunft hier in Frankfurt hat er mich immer super unterstützt. Er hat immer ein Lächeln auf den Lippen und ist sehr hilfsbereit. Das ist mir sehr wichtig, aber auch ihm ist es wichtig, dass ich so ticke wie er. Wir lachen viel zusammen und machen ab und zu auch mal Blödsinn (lacht).

War das 3:2 gegen Hoffenheim gerade deswegen so schön, weil es auch das Ende dieser Leidenszeit bedeutete?
Das hoffe ich. Das ist für mich wie ein Neustart. Alle Leute wissen über meine Leidenszeit Bescheid, doch jetzt ist meine Zeit gekommen. Ich habe jetzt die Möglichkeit, ein Teil der Mannschaft sein und ihr zu helfen zu können. Das ist das, was ich seit meiner Ankunft wollte und darüber bin ich sehr glücklich.

Du hast auf der Stürmerposition mit Haller, Jovic und Rebic große Konkurrenz. Was kannst du von den Jungs lernen?
Ich glaube, ich kann von allen Spielern aus der Mannschaft etwas lernen. Jeder Einzelne hat besondere Eigenschaften, von denen ich persönlich etwas mitnehmen kann, um weiter dazulernen zu können – das ist das Besondere am Fußball. So haben auch unsere Stürmer alle ihre eigenen Fähigkeiten, die sie besonders auszeichnen. Luka zum Beispiel ist ständig davon besessen Tore zu schießen. Egal in welcher Situation er ist, er versucht immer ein Tor zu erzielen. So etwas habe ich bis jetzt bei keinem anderen Spieler gesehen. Einfach unglaublich. Sébastien ist ein ruhigerer Typ. Auch er hat mir viel geholfen und er ist ein toller Kerl. Ihn zeichnet vor allem seine körperliche Präsenz auf dem Platz aus. Rebic hat einen ungeheuren Einsatzwillen. Er ist dauerhaft am Arbeiten und hört niemals auf zu rennen. Das ist unglaublich.

Was ist Goncalo Paciencia für ein Stürmertyp? Du ähnelst ja den Dreien in deiner Spielart nicht wirklich, oder?
Ehrlich gesagt spreche ich nicht gern über mich. Ich glaube aber, dass ich anders bin. Ich bin technisch begabt und auch robust. Ich bin nicht so schnell wie Rebic oder Luka, aber ich habe meine eigenen Eigenschaften, die mich auszeichnen. Ich hoffe, dass ich meine Spielweise an die Vorstellungen des Trainers anpassen kann – zumindest werde ich es versuchen (lacht).

Du hast in einem Interview gesagt, du würdest dein Leben auf dem Platz lassen. Symbolisiert das auch ein wenig deinen Spielstil?
Ich bin zwar nicht für meine Grätschen bekannt, aber trotzdem glaube ich, dass man als Spieler alles geben sollte und genau das versuche ich in jeder Sekunde umzusetzen.

Das hören die Fans natürlich sehr gerne. Eine Frage zu den Fans – hast du zuvor einen Support wie hier in Frankfurt erlebt, Goncalo?
Definitiv nicht! Das Heimspiel in der Europa League gegen Donetsk war der Wahnsinn. Die letzten Minuten des Spiels waren unglaublich. Ich erinnere mich noch daran, wie ich nach dem Spiel zu meiner Familie und meinen Freunden sagte: „Diese Fans sind der Hammer! Sie hören einfach nie auf zu singen. Sie sind verrückt.“ Wir Spieler auf dem Platz spüren diese Unterstützung, das ist enorm leistungsfördernd für uns.

Warum läuft es deiner Meinung nach in dieser Saison bei Eintracht Frankfurt so rund?
Ich glaube, alle Menschen in diesem Verein machen eine super Arbeit. Der Erfolg resultiert aus der guten Organisation des Klubs, denn wenn du keine gute Organisation innerhalb des Klubs hast, schaffst du es als Mannschaft langfristig nicht erfolgreich zu sein. Darüber hinaus verfügt unsere Mannschaft natürlich über enorme Qualität. Wir haben eine sehr ausgeglichene Mischung aus erfahrenen Spieler, wie Marco Russ, Makoto Hasebe, David Abraham oder Jonathan de Guzman, und uns jungen Spielern. Das ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg, weil wir Jungen uns immer an die erfahreneren Spieler wenden und ihnen vertrauen können. So wissen wir immer, was wir tun und lassen sollten.

Was hältst du in dieser Saison noch für möglich?
Ich glaube, das Geheimnis besteht darin, nicht darüber zu sprechen, was noch möglich sein könnte. Wir spielen unser Spiel, gewinnen es, feiern für einen Tag und dann gilt es weiter zu arbeiten, um sich auf das nächste Spiel vorzubereiten – das ist unser Geheimnis. Ich höre nicht auf die Leute, die sagen, dass wir es vielleicht in die Champions League schaffen oder die Europa League gewinnen können. Ich denke, wir müssen von Woche zu Woche denken und dann wird man am Ende sehen, was die Zukunft für uns bereithält.

Kommen wir vom Fußballerischen zum Privaten: Was macht Goncalo Paciencia, wenn er nicht auf dem Platz steht?
Ich bin ein Mann für das Sofa. Ich bin meistens zuhause und schaue mir Filme oder Serien an. Ich lese auch gerne Bücher. Manchmal fahre ich auch in die Stadt, um ein bisschen spazieren zu gehen, aber ich bin keiner, der ständig unterwegs ist. Ich genieße meine Zeit zuhause auf meiner Couch.

Du liest sehr gerne. Was liest du denn am liebsten? Und hast du eine Buchempfehlung?
Ich lese hauptsächlich portugiesische Bücher von preisgekrönten Autoren, wie zum Beispiel Fernando Pessoa.

Als du in Frankfurt angekommen bist, waren der Zopf und die langen Haare ein Merkmal. Warum hast du sie abgeschnitten?
Das war ursprünglich gar nicht geplant. David Abraham hat mich ein wenig auf den Arm genommen. Als ich mit David beim Friseur war, sagte David mir, dass der Friseur mir bloß die Haare waschen wolle, doch in Wahrheit schnitt er mir einen Großteil meiner Haare ab. Danach sahen meine Haare schlimm aus und sie waren nicht mehr zu retten. Deswegen ließ ich sie mir kurz schneiden. Vielleicht werde ich sie mir in den nächsten Monaten aber nochmal länger als beim letzten Mal wachsen lassen (schmunzelt).

Welchen Eindruck hast du von der Stadt Frankfurt und wo gehst du gerne hin?
Ich finde, Frankfurt hat eine gewisse Ähnlichkeit zu meiner Heimatstadt in Portugal. Im Zentrum findet man alles was man braucht und es ist alles sehr einfach gehalten. Anders als während meiner Zeit in Griechenland bei Olympiakos Piräus ist der Verkehr in Frankfurt etwas ruhiger. Mir gefällt es sehr gut hier und ich genieße die Zeit in dieser großen Stadt.

Hast du schon Apfelwein oder Handkäs‘ mit Musik probiert?
Auf dem Weihnachtsmarkt hat Timmy mich Apfelwein probieren lassen. Er war ganz gut, aber ich glaube nicht, dass das mein Lieblingsgetränk wird. Eigentlich trinke ich keinen Alkohol, aber vielleicht greife ich zum Saisonende noch einmal zu (lacht).

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