15.05.2022
Europapokal

Gekommen, um zu vollenden

Die Eintracht trennt ein Sieg gegen den Rangers FC vom zweiten Europapokaltriumph seit 42 Jahren. Für Traditionalisten das Bilderbuchfinale schlechthin. Superlative gibt es obendrauf. Warum? Darum.

Bekanntlich sind aller guten Dinge immer drei. War diese Redewendung im Mittelalter noch im Rechtswesen von großer Bedeutung, dient sie dieser Tage als die Steilvorlage schlechthin für das anstehende Finale der UEFA Europa League zwischen Eintracht Frankfurt und dem Rangers FC. Das Endspiel am 18. Mai im Estadio Ramón Sánchez-Pizjuán ist das dritte auf europäischer Bühne, das in Andalusiens Hauptstadt Sevilla stattfindet. Für die Hessen ist es nach den Finalspielen gegen Real Madrid CF 1960 und dem Gewinn des UEFA-Pokals 1980 gegen Borussia Mönchengladbach gleichzeitig die dritte Finalteilnahme in einem europäischen Wettbewerb.

Noch dazu kommt es für die Eurofighter vom Main am Mittwoch zum dritten Spiel in dieser Saison auf spanischem Boden, auf dem Frankfurt auch nach dem 2:1 gegen Real Betis Balompié und dem 3:2 gegen den FC Barcelona noch nie als Verlierer den Platz verlassen hat. Und dann kommt es für die Eintracht noch zum dritten Spiel gegen die Schotten in einem europäischen Wettbewerb. In der Spielzeit 1959/60 trafen beide Teams im Halbfinale des Europapokals der Landesmeister aufeinander. Die Eintracht siegte im Waldstadion 6:1 und ging auch aus dem Rückspiel im Ibrox Stadium drei Wochen später mit 6:3 als Sieger hervor. Noch dazu ist die SGE das dritte Team überhaupt, das die UEFA Europa League ungeschlagen gewinnen könnte, zumal sie der erste deutsche Vertreter überhaupt ist, der das Finale in diesem Wettbewerb erreicht hat.

Ein Traum, der in Erfüllung geht.

Kevin Trapp

Über die Bedeutung der Partie für Spieler, Trainer und Staff bedarf es deshalb keiner großen Worte mehr. Jens Petter Hauge beispielsweise beschrieb gegenüber EintrachtTV schlicht, dass er „eine der größten Nächte“ seines Lebens erwarte. Und auch Sebastian Rode, immerhin ein Dutzend Champions-League-Auftritte in seiner Vita stehend, gab zu, dass sich bei ihm zurzeit alles um das Spiel gegen die Rangers drehe: „Da geht man alle möglichen Szenarien durch. Natürlich mit dem Ende, dass man das Ding in die Höhe reckt. Für mich wäre es einer der größten Momente, vielleicht sogar der größte Moment meiner Karriere. So einen internationalen Titel zu holen, dann auch noch mit der Eintracht, einem Verein aus meiner Heimat, das wäre etwas ganz Besonderes.“ Kevin Trapp sprach beim Blick auf das Finale bereits von einem „Traum, der in Erfüllung geht“, weiß aber auch, „dass wir noch ein Spiel haben, um das Ganze zu vollenden.“

Variabel, physisch, torgefährlich

Die Chancen dazu liegen der Einschätzung Glasner nach bei 50:50. Der Fußballlehrer befindet, dass „beide Teams verdient im Finale“ stehen. Vor allem das Auftreten der Schotten im Verlauf der diesjährigen Europapokalsaison habe ihn beeindruckt. „Sie haben mit Dortmund und Leipzig zwei Topteams der Bundesliga völlig verdient eliminiert. Sie spielen unglaublich druckvoll und aggressiv und sind sehr zweikampfstark mit einer klaren Struktur bei eigenem Ballbesitz“, warnt er. Für sein Team gehe es darum, die langen Ballstafetten der Mannschaft von Giovanni van Bronckhorst zu unterbinden und im eigenen Ballbesitz die Lücken zu finden. „Da haben wir schon ein, zwei Ansatzpunkte gesehen. Die Rangers spielen nichts, was es auf diesem Planeten nicht schon einmal gibt.“

Im Spielaufbau habe der Coach bei der Analyse viel Variabilität erkannt. „Mal mit Dreier-oder Fünferkette, teils aber auch mit vier Verteidigern.“ Der bisherige Erfolg gibt „The Gers“, wie sie auch genannt werden, bekanntlich recht. Im laufenden Wettbewerb sind sie die Mannschaft mit den meisten Pässen (6351) und den meisten Zweikämpfen (1410). 126 Schüsse und 33 Großchancen sind noch dazu jeweils der zweithöchste Wert im Wettbewerb, wobei die daraus resultierenden 22 Treffer den Spitzenwert darstellen. Die Eintracht liegt mit 20 Toren direkt dahinter. Logischerweise auch, weil sowohl die SGE als auch die Rangers mit die meisten Partien im Wettbewerb absolviert haben. Verdiente Quantität sozusagen.

Vor acht Monaten ist Eintracht Frankfurt in die Europa-League-Saison 2021/22 eingestiegen – und bis zum Schluss dabei. Noch drei Tage bis zum Finale.

Wichtig ist Oliver Glasner, das hat er auf der am UEFA Open Media Day am Donnerstag untermauert, dass seine Mannschaft, trotz der großartigen und vielleicht einmaligen Chance, die ihr bevorsteht, nicht verkrampft auftritt. Vielmehr wolle er „Eintracht-Frankfurt-Fußball“ sehen mit Lockerheit und Begeisterung wie gegen West Ham United oder den FC Barcelona. „Dann bin ich zuversichtlich, dass es positiv ausgeht.“ Auch wenn sein Keeper gleichermaßen ein schwieriges Spiel auf sich und seine Vorderleute zukommen sieht, versichert dieser, nochmals sämtliche Kräfte zu mobilisieren und alles rauszuhauen.

„Es ist ein Finale, da geht es um alles in einem Spiel. Dementsprechend werden wir auch auftreten. Jeder glaubt daran, dass wir es schaffen können“, so Trapp. So selbstbewusst die Adlerträger das Finale im Visier haben, so stark glauben auch die Rangers an den großen Triumph. „Man muss immer an etwas glauben, sonst kannst du keine großen Ziele erreichen. Und natürlich glauben wir daran, das Finale in Sevilla gewinnen zu können“, beschreibt van Bronckhorst, der am 18. November vergangenen Jahres das Ruder von Liverpool-Legende Steven Gerrard übernommen hatte und mit dem FC Barcelona als Spieler 2006 die UEFA Champions League gewann.

Fanfestival in Sevilla

La Bestia Blanca schickt sich an, zum dritten Mal in diesem Jahr in Spanien Eindruck zu hinterlassen.

Das Endspiel in Sevilla wird wohl als eines der traditionsreichsten Finalduelle dieses Wettbewerbs in die Geschichte eingehen. Die Rangers existieren bereits seit 150 Jahren, die Eintracht feierte im März ihren 123. Geburtstag. Die Fanlager beider Vereine sind groß – und euphorisch. Schon kurz nach dem Abpfiff der Halbfinals schwärmte Präsident Peter Fischer gegenüber RTL: „Tradition gegen Tradition – Weltklasse.“ Auch Axel Hellmann sprach bereits von einem „ewigen Traum“, gegen die Rangers zu spielen, „weil 1960 über allem schwebt“. Der Vorstandssprecher erwartet zu diesem besonderen Anlass um die 100.000 Anhänger der auf dem Papier als Gäste notierten Rangers und ergänzt mit Blick auf die eigene Anhängerschaft: „Wir rechnen mit 40.000 bis 50.000 Fans.“

Überhaupt: „In Sevilla erwarten sie einen Ansturm, den diese Stadt noch nicht erlebt hat. Das wird ein einzigartiges Zusammentreffen der sangeskräftigsten und begeisterungsfähigsten Fans Europas.“ Das emotionale Kräftemessen in Stadt und Stadion ist mit dem auf dem Platz weniger denn je zu trennen. Gipfelnd in mindestens 90 Minuten am Mittwochabend in Andalusien. Ein über Monate oder, je nach Perspektive, Jahrzehnte gereifter Traumzustand, der erst dann in Realität umschlägt, wenn... Na, „wenn wir gewonnen haben“. Um nochmal den Cheftrainer zu zitieren.

Eintracht Frankfurt International.

Gekommen, um zu vollenden.

Zum Spiel

Anstoß: Mittwoch, 18. Mai, 21 Uhr, Finale, UEFA Europa League, 2021/22.
Stadion: Estadio Ramón Sánchez-Pizjuán, Sevilla.
Hörtipp: EintrachtFM sendet ab 20.50 Uhr live.
TV-Hinweis: RTL überträgt ab live ab 20.15 Uhr.