Einordnung: Ausgepresst
Bildhafter hätte Oliver Glasner den Auftritt von Eintracht Frankfurt beim 1. FC Union Berlin am Samstagabend nicht veranschaulichen können. „Die Spieler haben alles rausgepresst, was noch drin war. Aber die Zitrone war leer“, erkannte der Cheftrainer sichtbare Verschleißerscheinungen bei seinen Mannen. Nicht nur nach der emotionalen wie körperlichen Extremerfahrung aus Barcelona keine drei Tage zuvor, sondern grundsätzlich, „nach fünf Spielen in 14 Tagen, in denen die Jungs 120 Kilometer abgespult haben“, wie der Österreicher vorrechnete. Ganz so viele waren es an der Alten Försterei zwar nicht, 117,68 Kilometer bedeuteten aber dennoch den sechsthöchsten Wert am 30. Spieltag. Überhaupt: „Es ist generell sehr viel passiert, viele Spieler hatten ihr erstes Spiel oder Tor für die Nationalmannschaft.“ All jene Eindrücke zu verarbeiten, benötige Zeit. „Aber davon blieb zuletzt wenig, weil ein Spiel das nächste gejagt hat. Was der eine oder andere bisher abgerissen hat, ist mega.“
Zahl des Spiels: 6
Um seine Schützlinge trotzdem physisch und psychisch in bestmöglicher Verfassung aufzustellen, griff der Coach so tief in die Rotationskiste wie nie zuvor, seit der 47-Jährige am Main angeheuert hat. Sechs Wechsel in der Startelf waren die meisten in der bald neunmonatigen Amtszeit. „Es ist schwierig, wenn die halbe Mannschaft neu ist, so noch nicht zusammengespielt hat, die eine Seite nicht im Rhythmus ist und der anderen die nötige Frische fehlt“, erläuterte Glasner den schwierigen Abwägungsprozess und betonte zugleich: „Ich bin sehr zufrieden mit den Spielern und ihrem Engagement.“ Beispielhaft gewann Goncalo Paciencia in seiner ersten Begegnung von Beginn an seit dem 24. Oktober 2021 28 Zweikämpfe, die mit Abstand meisten in der Hauptstadt. Kurzum: „So überragend wir es als Mannschaft in Barcelona gemacht haben, war es diesmal als Mannschaft zu wenig.“
Gerade in der ersten halben Stunde, die die Adlerträger nicht nur nach Ansicht von Christopher Lenz „verschlafen“ haben. „Dann rennen wir dem wir dem 0:2 hinterher. Diesen Vorwurf müssen wir uns machen“, so der wiedergenesene Linksverteidiger nach der erstmaligen Rückkehr an die alte Wirkungsstätte. Zur Wahrheit des Spielverlaufs gehört dann nämlich auch, dass auf der Gegenseite ein Kontrahent stand, der nicht nur im DFB-Pokalhalbfinale vertreten ist, sondern von den vergangenen 31 Bundesligaheimspielen einzig gegen Bayern München und Borussia Dortmund verloren, mit dem 13. Saisonsieg einen neuen Vereinsrekord aufgestellt und die wenigsten Kontergegentore der Beletage zugelassen hat: eins.
Insofern gewissermaßen das komplette Gegenteil etwa zum Kraftakt im Camp Nou, als die Adlerträger aus 25 Prozent Ballbesitz ein Chancenplus erzielten, in Köpenick aber mit 56 Prozent Spielanteilen kaum Gefahr entwickeln konnten.
Geschichte des Spiels: Debütant Grahl
Was für Jens Grahl auch damit zu tun hatte, dass „der letzte Punch und etwas die Körner gefehlt“ hätten. Der nominell dritte Torhüter kam aufgrund einer Bänderdehnung im Handgelenk, die sich Kevin Trapp am Donnerstag zugezogen hatte, in den Genuss seines ersten Bundesligaeinsatzes seit dem 14. Mai 2016. „Ich bin froh, dass ich nach sechs Jahren wieder spielen durfte“, bekannte der Sommerneuzugang nach seinem Pflichtspieldebüt für Frankfurt. „Am Anfang wurden wir von Union überrascht“, sah auch der Routinier den frühen Doppelschlag als einleitende Ursache für das 0:2. Dass ausgerechnet Grahls Ex-Kollege aus Hoffenheimer Zeiten Grischa Prömel das mit 1,2 Prozent unwahrscheinlichste Tor des Wochenendes gelang, tat zum Stolperstart sein Übriges.
Ausblick: „Volle Kraft voraus“
Dass die Adlerträger danach längst nicht gefallen sind, bekräftigen sie hinterher ebenso verbal. Nach zwei freien Tagen geht es ab Mittwoch an die Vorbereitung auf den nächsten Konkurrenten TSG Hoffenheim. „Wir blasen kein Trübsal, sondern freuen uns auf die nächsten fünf Spiele innerhalb von zwei Wochen“, so Glasner, der die Partie „akzeptieren und das eine oder andere korrigieren“ möchte. Dann heißt es im Stadtwald wieder: „Volle Kraft voraus!“ Denn trotz der verschlechterten Tabellensituation werden Glasner und sein Gefolge „kein Spiel abschenken, sondern mit der uns auszeichnenden Intensität und Konzentration wieder so auftreten, dass wir gewinnen.“ Die Aussagen sind deckungsgleich mit denen der Akteure. „Wir wollen dranbleiben, alles raushauen und gewinnen“, legt sich Grahl ebenso fest wie Lenz: „Gegen Hoffenheim holen wir drei Punkte.“