05.01.2022
Team

Gewichte und GPS

Eintracht Frankfurt geht im physischen Bereich immer modernere Wege. Konkrete Einblicke gewährt Andreas Beck, Leiter Athletik, Prävention und Rehabilitation.

Es war Anfang Dezember, als Oliver Glasner feststellte: „Das ist zu diesem Zeitpunkt einer Saison außergewöhnlich.“ Gemeint war die Tatsache, dass der Cheftrainer kurz vor dem Jahreszenit keinen einzigen Verletzten zu beklagen und auf den gesamten Kader zurückgreifen konnte. Trotz dreier Länderspielperioden, in der Hinrunde insgesamt 24 Pflichtspielen und der nachweislich mit am körperlich aufwendigsten Spielweise der Bundesliga.

Ob geführte Zweikämpfe, intensive Läufe, Sprints, Laufdistanz, Tore wie Gegentreffer in der Schlussviertelstunde – in sämtlichen Bereichen bewegt sich Eintracht Frankfurt mindestens unter den Top Fünf der deutschen Beletage. Gemäß Glasners selbstbezeichneter Lebensweisheit: „Wenn man viel investiert, bekommt man viel zurück. Die Spieler investieren wahnsinnig viel und bekommen jetzt viel zurück.“ Und hier kommt die Abteilung Athletik, Prävention und Rehabilitation ins Spiel, angeleitet seit Sommer 2020 von Andreas Beck, der damals nach acht Jahren bei Borussia Dortmund in seine Heimatstadt zurückgekehrt war.

Auf dem Trainingsplatz nimmt Andreas Beck meist eine beobachtende Rolle ein und widmet sich in erster Linie der Koordination und Konzeption in seinem Bereich.

Angesprochen auf seinen Einfluss auf den physischen Topzustand der Adlerträger stellt der Sportwissenschaftler zunächst klar: „Alle Maßnahmen ergeben sich aus der Spielphilosophie. Die Trainingsinhalte legt der Cheftrainer fest. Wir stehen wie jeder Bereich beratend zur Seite“, betont er das Zusammenspiel aller Seiten, ob Medizin, Analyse – oder eben Athletik.

Andreas Beck bespricht sich im Kraftraum mit Torwarttrainer Jan Zimmermann (l.).

Bezogen auf seine Arbeit gehe es grundsätzlich „um die physische Robustheit der Spieler. Das heißt, dass wir dabei unterstützen, dass sie auch in Spielen, die eine große physische Herausforderung darstellen, die entsprechenden Kapazitäten abrufen können.“ Also zum einen, „im Kraftraum Reserven aufzubauen, die auf dem Feld zur Geltung kommen.“ Wichtig sei hierbei, „dass der ganze Körper in der Kette funktioniert, damit die relativ hohe Belastung gleichmäßig auf den Bewegungsapparat einwirkt.“

Der präventive Ansatz ist nicht zuletzt unabdingbar, „weil sich Fußball gerade auf dem Elitelevel zu einer Ganzjahressportart entwickelt hat. Wir sind in zwei, manche Vereine in drei Wettbewerben vertreten. Spieler, die für ihre Nationalmannschaften aktiv sind, haben neben zusätzlichen Spielminuten auch noch Reisestrapazen.“

Zwischen Prävention und Reizen

Deshalb gelte es, auch weil sich „in vier bis sechs Wochen Vorbereitung keine Grundphysis für ein Jahr“ aneignen lasse, die Belastung dem Spielrhythmus anzupassen. „Wenn es beispielsweise während Englischen Wochen weniger Trainingsmöglichkeiten gibt, jemand weniger zum Einsatz kommt und nicht auf die volle Auslastung kommen kann, setzen wir direkt nach dem Spiel mit gezielten Läufen einen Reiz, um die Arbeitskapazität zu erhalten.“ Während Länderspielpausen wiederum „lassen sich gezielt mehr Reize setzen, als wenn zwei Tage später die Ligapflicht ruft und ein Muskelkater wenig ratsam wäre.“ Andererseits eignen sich die Phasen auch um die aufgestaute Ermüdung, zumindest bei den Spielern, die nicht mit ihren Nationalteams unterwegs sind, abzubauen und Frische für den nächsten Block zu generieren.

Auch ein Innenverteidiger muss in der Lage sein, nach einer Ecke und gegnerischem Konter in der 92. Minute einen 60-Meter-Sprint anziehen zu können, um die Situation zu entschärfen. Auf der anderen Seite wird dieser Spieler aber weniger Meter im Vollsprint zurücklegen als ein Außenbahnspieler.

Andreas Beck, Leiter Athletik, Prävention und Rehabilitation

In diesen ständigen Abwägungsprozess fließt zudem die individuelle Förderung aller Akteure ein. Hierfür hat Beck ein positionsspezifisches Beispiel parat: „Auch ein Innenverteidiger muss in der Lage sein, nach einer Ecke und gegnerischem Konter in der 92. Minute einen 60-Meter-Sprint anziehen zu können, um die Situation zu entschärfen. Auf der anderen Seite wird dieser Spieler aber weniger Meter im Vollsprint zurücklegen als ein Außenbahnspieler.“ Kurzum: Unterschiedliche Aufgaben bringen unterschiedliche Anforderungen mit sich.

Für Andreas Beck und sein Team stellen sich für jedes Spielerprofil unterschiedliche Aufgaben.

Umso entscheidender bei dieser Komplexität, dass der 45-Jährige selbst über ein Team verfügt. „Alleine geht es nicht. Man kann nicht gleichzeitig in der Trainersitzung oder im Kraftraum sein und auf dem Platz das Aufwärmprogramm vorbereiten.“ Für genau diese Aufgaben kann Beck, der vor allem für die Koordination und Konzeption zuständig ist, auf die Unterstützung der Athletiktrainer Markus Murrer, Thomas Pitzke und Martin Spohrer sowie von Rehatrainer Benjamin Sommer vertrauen. „Sie dürfen in ihrem Bereich relativ frei arbeiten“, überlässt der Leiter seinen Kollegen weitgehend freie Hand. Und überhaupt: „Gerade Markus und Martin sind länger dabei und kennen einige Spieler besser als ich. Deshalb wäre es grob fahrlässig, auf ihren Rat zu verzichten. Wir haben es hier mit sehr intelligenten Mitarbeitern zu tun und entwickeln die Dinge gemeinsam.“

Der offene Austausch mit allen Beteiligten hat in den vergangenen Jahren so manche Neuerung mit sich gebracht. Infrastrukturell am offensichtlichsten festzumachen am neuen ProfiCamp im Deutsche Bank Park, das für Beck „einen extremen Mehrwert“ darstellt. „Ich habe, zumindest in Deutschland, noch nichts Vergleichbares kennenlernen dürfen. Die Bedingungen haben einen sehr hohen Aufforderungscharakter. Eintracht Frankfurt hat hier bestmögliche Bedingungen geschaffen, dass die Spieler optimal arbeiten können.“ Heißt: „Viele Räumlichkeiten, angenehme Trainings- und Regenerationsmöglichkeiten.“ Ansporn zur Arbeit gewissermaßen. Wobei Beck feststellt: „Ich möchte eine Lanze für die Spieler brechen, weil sie sich während einer Saison dauernd in einem Status zwischen Muskelkater und Müdigkeit befinden.“

„Die Bedingungen haben einen sehr hohen Aufforderungscharakter“, schwärmt Andreas Beck von den Möglichkeiten im neuen ProfiCamp.

Darüber hinaus verfügt auch der Staff über immer modernere Hilfsmittel. Zu nennen wären erstens die GPS-Tracker, welche die Spieler während jedem Training und Spiel in einer Weste auf Höhe der Schulterblätter bei sich tragen, um Laufdaten auswerten zu können. Exemplarisch sei etwa ein Sensor, der die Beschleunigungs- und Abstoppbewegungen registriert. „Dadurch können wir objektiv besser beurteilen, welche Intensität und Umfänge wir täglich verlangen können.“ Die Verantwortlichen achten genauestens darauf, bestimmte sogenannte Zielparameter zu erfüllen, um im Extremfall drei Spiele pro Woche auf einem hohen physischen Level absolvieren zu können. Und entsprechend die Übungsformen zu gestalten.

CK-Messung gehört zum Arbeitsalltag

Einen weiteren Faktor bildet im Zusammenhang der Belastungssteuerung auch die regelmäßige Untersuchung der Kreatin-Kinase-Werte (CK-Werte), um Muskelverletzungen vorzubeugen. Umgesetzt von der Medizinischen Abteilung und zurate gezogen vom Trainerstab. Beck erklärt: „CK ist ein Parameter, der einen Rückschluss auf die mechanische Belastung der Spieler geben soll. Hier geht es dennoch vor allem darum, die Werte richtig zu interpretieren, um einen sehr guten 360-Grad-Blick zu haben.“ Denn auch wenn die Faustregel, je höher der Wert, desto mehr Zellen sind kaputt, zutrifft, ist gerade im Leistungssport eine individuelle Beobachtung notwendig.

Die Erhebung vielerlei physischer Paramater ist ein laufender Prozess, der langfristig die Interpretation der Werte erleichtern soll.

Nächstes Beispiel: „Bekommt ein Spieler einen Schlag ab, entsteht ein Hämatom, Zellen gehen kaputt und es wird viel CK ausgeschüttet. Das heißt aber nicht automatisch, dass dieser nicht trainieren darf. Kommt ein Spieler aus einer längeren Verletzungspause, war nur kurz im Training und hatte am Wochenende einen Einsatz, benötigt er oftmals mehrere Tage zur Regeneration. Dann können wir sagen, er arbeitet erstmal dosierter.“ Manchmal wiederum sei es auch schwer erklärbar, „wenn jemand gut im Saft steht, ein gleichförmiges Muster an den Tag legt und plötzlich ohne medizinische Auffälligkeiten verhältnismäßig hohe Werte hat.“ Dann sind das Zusammenspiel aller Experten und ebenso Erfahrung wie eine hohe Kenntnis des betreffenden Sportlers gefragt. Also im Idealfall langfristig erhobene Daten und ein möglichst detailliertes Profil. „Es ist eine hilfreiche Zusatzinfo. Dennoch gibt es keine bestimmten Grenzwerte, die uns leiten.“

All jene Maßnahmen zahlen auf das gemeinsame Streben nach stetiger Optimierung ein, wie es Beck abschließend formuliert: „Wir tun unser Bestes, arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen, orientieren uns am aktuellsten Stand der Wissenschaft und machen uns zugleich die Herausforderungen des Rahmenterminkalenders bewusst, um eine möglichst große Verfügbarkeit an Spielern und Kapazitäten zu gewährleisten.“ Das Ergebnis kann sich nicht nur auf dem Platz sehen lassen.