07.07.2014
Eintracht

Glückwunsch, Grabi!

„Schwarz - weiß wie Schnee, das ist die SGE“ – vor jedem Heimspiel wird das Lied im Stadion gespielt und der Hit von Tankard ist neben dem Klassiker „Im Herzen von Europa“ sicher die Hymne der Eintracht.

Jeder Fan weiß: Wenn „Schwarz – weiß wie Schnee“ kommt, muss ich auf meinem Platz sein, denn unmittelbar nach den letzten Klängen von Tankard wird das Spiel angepfiffen. Einer, der zwar nicht lauthals mitsingt, sieht trotzdem zu, dass er rechtzeitig zur Hymne auf seinem Platz sitzt: Jürgen Grabowski. Und dann staunt er immer wieder aufs Neue, wie der fast 50.000 Kehlen zählende Chor die Zeilen singt: „Wir haben die Eintracht im Endspiel gesehn, mit dem Jürgen Grabowski“.

„Natürlich läuft mir da jedes Mal ein Schauer über den Rücken, wenn ich das höre. Zumal viele der Fans mich ja nie haben live spielen sehen, weil sie viel zu jung sind“, sagt Jürgen Grabowski. Aber Jürgen Grabowski ist im kollektiven Gedächtnis der Eintracht so fest verwurzelt, dass sein Name bei den Fans bekannt ist wie die Vereinsfarben. Bei den alten Fans ist er das „Denkmal“, er ist aber auch Ehrenspielführer der Eintracht, Weltmeister, Europameister, Pokalsieger und UEFA-Cup-Sieger. Als im vergangenen Jahr gemeinsam mit der VgF die „Säulen der Eintracht“ gewählt wurden, siegte er mit großem Vorsprung. Auch bei der HR-Wahl „Hessens größte Fußballer“ hieß der Sieger Grabowski. Und selbst als „Die größten Hessen“ gekürt wurden, lag Jürgen Grabowski mit Platz 13 ganz weit Vorne, vor ihm finden sich Namen wie Johann Wolfgang von Goethe, Anne Frank und Joschka Fischer. Bei all diesen Auszeichnungen bleibt Grabowski für die Fans aber vor allem eins: der „Grabi“.

Als Kind hatte Grabi mit der Eintracht zunächst gar nicht viel zu tun. Als 10-jähriger erlebte er das „Wunder von Bern“ vor einem kleinen Fernseher, wegen der vielen Lauterer Nationalspieler war er Fan des 1. FC Kaiserslautern. „Richtig klick gemacht hat es erst nach der Meisterschaft der Eintracht 1959 und den darauffolgenden Europapokalauftritten“, erinnert er sich heute.

Als Grabi begann, die Eintracht zu bewundern, war er selbst schon ein bewunderter Nachwuchsfußballer. Mit 8 Jahren hatte er beim SV Biebrich 1919 das Fußballspielen begonnen, dem Verein, in dem sein Vater schon ein guter Verteidiger war. Mit 16 Jahren wechselte er zum FV Biebrich 02, und da war ihm längst klar, dass er am Ball besser war als viele Andere. „Ich habe Tore gemacht, wurde auch von anderen Eltern gelobt und wurde immer wieder ausgezeichnet.“ Seine Eltern unterstützten Jürgen bei seinem Hobby, ohne ihn unter Druck zu setzen. „Mein Vater hat mich wohlwollend gefördert, ohne den Ehrgeiz, den man heute manchmal bei Eltern sieht. Er hat mich einfach spielen lassen“ erinnert sich Grabi. Das der Junge nur Fußball im Kopf hatte, darüber mussten sich die Eltern keine Gedanken machen, denn auch in der Schule zeigte Jürgen gute Leistungen. „Ich war immer einer der besten Schüler, habe hinten links gesessen, da saßen die Guten. Die Fußballbegeisterung hat meine schulischen Leistungen nicht behindert.“ Auf den talentierten Spieler aus dem kaum 40 Kilometer von Frankfurt entfernten Wiesbaden, wurde natürlich auch die Eintracht aufmerksam. „Wir haben mit der A-Jugend von Biebrich 02 alles gewonnen und ich habe Hessenauswahl gespielt. Bei einem Spiel bei Preußen Frankfurt waren dann einige Herren von der Eintracht vor Ort: Ernst Berger, Ivica Horvat, Rudi Gramlich und Paul Oßwald, die haben Interesse an mir gezeigt.“ So kam Jürgen Grabowski 1965 zur Eintracht und er schlug gleich ein. Bereits in der ersten Saison absolvierte er 27 Bundesligaspiele, in denen er zehn Tore schoss. So ein Talent blieb auch dem Bundestrainer nicht verborgen, am 4. Mai 1966 debütierte Grabi im Trikot der Nationalmannschaft – in Dublin gab es einen 4:0-Sieg gegen Irland. Im gleichen Jahr reiste Jürgen Grabowski mit zur Weltmeisterschaft in England, 1970 spielte er bei der Weltmeisterschaft in Mexico, und weil er so oft eingewechselt wurde, erwarb er sich den Ruf als „bester Einwechselspieler der Welt“. Beim fast verloren geglaubten Viertelfinalspiel gegen England war er wesentlich für den Umschwung auf die Siegerstraße verantwortlich. Beim Jahrhundertspiel gegen Italien spielte er von Beginn an und war einer der Besten. Er schlug die Flanke, die in letzter Sekunde zum Ausgleichstor durch Schnellinger führte.

1970 klappte es noch nicht mit dem Titel, aber 1972 wurde Jürgen Grabowski Europameister. Er gehörte zur Truppe, die am 29. April 1972 erstmals im legendären Wembley-Stadion mit 3:1 gegen England gewann. Im Halbfinale gegen Belgien bot Grabi eine tolle Leistung, im Finale kam er nicht zum Einsatz. Den EM-Titel 1972 erlebte er leider nicht auf dem Spielfeld, zwei Jahre später war er dann aber voll dabei. Bei der WM 1974 in Deutschland war er als Leistungsträger (fast) nicht mehr wegzudenken. Jürgen absolvierte 6 Spiele, erzielte im Zwischenrundenspiel gegen Schweden das wichtige 3:2 und war bei drei legendären Partien dabei: Beim 0:1 gegen die DDR (sicher kein Highlight, aber historisch bedeutsam), bei der Wasserschlacht gegen Polen in Frankfurt und beim Finale in München. An seinem 30. Geburtstag feierte Grabowski mit Deutschland den Weltmeistertitel. Direkt danach erklärte er seinen Rücktritt aus der Nationalelf. Trotz mehrfacher Versuche, ihn zur Rückkehr in die Nationalelf zu bewegen, blieb Grabi dabei. Und auf den ersten Blick erscheint es verwunderlich, dass Grabowski in der Rückschau die WM 1970 noch schöner in Erinnerung hat als den Titelgewinn 1974. „Mexiko war ein ganz tolles Erlebnis. Wir waren so weit weg von der Heimat, die Menschen waren uns gegenüber sehr freundlich, als Erlebnis war war Mexiko einfach unschlagbar. 1974 gab es gerade nach der 0:1-Niederlage gegen die DDR schon auch unschöne Stunden, da ist nicht alles super gelaufen.“

In den folgenden Jahren konzentrierte er sich voll auf die Eintracht. Bereits wenige Wochen nach den Feierlichkeiten rund um den Weltmeistertitel 1974 stand Grabi , der 1970, 1971, 1972 und 1973 in die „Kicker-Bundesliga-Elf des Jahres“ gewählt worden war, wieder auf dem Balkon des Römers. Das Endspiel um den DFB-Pokal wurde aus Terminnöten erst nach der WM gespielt. Grabi feierte mit dem 3:1 gegen den HSV den ersten Pokalsieg. 1975 verteidigte die Eintracht den Titel mit einem 1:0 über den MSV Duisburg. In diesen Zeiten machte der Spruch „Frankfurts Stolz, der Grabi und der Holz“ die Runden, gerne auch verwendet als „Deutschlands Stolz, der Grabi und der Holz“. Und die Fans sangen erstmals das Lied „Wir haben die Eintracht im Endspiel gesehn, mit dem Jürgen, mit dem Jürgen… Schwarz - weiß wie Schnee, das ist die SGE, wir holen den DFB-Pokal und wir werden Deutscher Meister.“

Meister wurde Jürgen Grabowski mit seiner Eintracht nicht, aber 1980 gewann er den UEFA-Cup. Und es ist tragisch, dass er, der über Jahre der Kopf der Eintracht-Mannschaft war, in den Finals gegen Borussia Mönchengladbach nicht mitwirken konnte. Im Frühjahr 1980 war Grabi in einem Ligaspiel gegen Gladbach böse gefoult worden. Die Verletzung bedeutete sein Karriereende. Als seine Kameraden am Abend des 21. Mai 1980 den UEFA-Cup gewannen, musste er in brauner Lederjacke auf der Ersatzbank mitfiebern.

Das Publikum zeigte damals aber schon ein feines Gespür. Als Bernd Hölzenbein den UEFA-Cup nach Abpfiff unter dem Jubel der 60.000 in Empfang nahm, forderten diese lautstark „Grabowski, Grabowski, Grabowski“. Bernd übergab den Pokal als erstes an den verletzten Kapitän, eine Geste, die bis heute im Frankfurter Fangedächtnis bleibt.

Am 12. November 1980 bestritt Jürgen Grabowski vor 45.000 Zuschauern sein Abschiedsspiel im Waldstadion – natürlich gegen die Deutsche Nationalmannschaft, für die er 44 Länderspiele (fünf Tore) absolviert hatte. Nach seiner Karriere arbeitete er 11 Jahre im Verwaltungsrat des Vereins mit, noch 18 Jahre kickte er für die Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft. Bereist zum Ende seiner Laufbahn hatte Jürgen Grabowski eine Versicherungsagentur eröffnet, die er bis 2009 betrieb.

Insgesamt absolvierte Jürgen Grabowski 441 Bundesligaspiele für die Eintracht, in denen er 109 Tore erzielte. Ob er den Verein denn nie verlassen wollte? „Doch, ich war einig mit Bayern München und wollte an die Säbener Straße wechseln. Robert Schwan von Bayern hat bei Rudi Gramlich angerufen, um alle Details zu klären. Da hat Gramlich in seiner gewohnt bestimmten Art gesagt: ´Das kommt gar nicht in Frage, sie bleiben hier.´ Im Nachhinein war ich ihm dafür sehr dankbar, ich weiß nicht, ob ich mich in München wohlgefühlt hätte. Ich war immer sehr heimatverbunden.“

So blieb Grabi bei seiner Eintracht und wurde zu einer Legende. Heute antworten kleine Kinder im Museum auf die Frage nach dem größten Eintrachtspieler oft ganz selbstverständlich mit „Jürgen Grabowski“. Im Fanshop wird bei Trikotkäufen immer wieder der Name „Grabowski“ über der Rückennummer gefordert. Alte Fans schwärmen mit leuchtenden Augen von den Zeiten mit „Grabi und Holz“. Tausende singen im Stadion voller Inbrunst, dass sie „die Eintracht im Endspiel gesehn (haben), mit dem Jürgen Grabowski“, obwohl sie tatsächlich viel zu jung dafür sind. Und Jürgen Grabowski? Der geht ganz leise einige Minuten vor Anpfiff auf seinen Platz und hört sich den Chor an. Und freut sich über diese Würdigung!

Heute feiert Jürgen Grabowski seinen 70. Geburtstag. Die ganze Eintrachtfamilie gratuliert von Herzen!