20.02.2024
Historie

Frankfurt und Saint-Gilloise

Welchen historischen Bann die SGE im Hinspiel gebrochen hat, wie Royale das Prädikat „königlich“ erhielt, warum István Sztani beinahe zum ersten Eintracht-Belgier geworden wäre und Union-Experte Willian Pacho.

Saint-Gilles ist eine von 19 Gemeinden der zweisprachigen Region Brüssel-Hauptstadt und war bis Ende des 18. Jahrhunderts als Obbrussel bekannt. Nach Gründung des Königreichs Belgien 1830 entwickelte sich das Dorf mit nur rund 200 Bewohnern zu einer Vorstadt der neuen Hauptstadt Brüssel mit zahlreichen Handwerks- und Industriebetrieben. Mit über 64.000 erreichte die Einwohnerzahl in den 1920er Jahren ihren Höchststand. 2023 lag sie bei 49.323.

Der Verein Union Saint-Gilloise

Das Wappen von Royale Union Saint-Gilloise

Die am 1. November 1897 gegründete Union Saint-Gilloise ist beim Belgischen Fußball-Verband mit der sogenannten Stamnummer Zehn registriert. Diese ist in Belgien sehr wichtig, denn je kleiner sie ist, desto älter ist der Verein. So muss sich der 1908 gegründete Rekordmeister RSC Anderlecht mit der 35 zufriedengeben. Zum 25-jährigen Bestehen erhielt der Klub 1922 das Prädikat „königlich“ und heißt seitdem „Royale Union Saint-Gilloise“. 1898 wurden die ursprünglichen Vereinsfarben Schwarz-Weiß nach Beitritt zum nationalen belgischen Sportverband UBSSA in Blau-Gelb geändert.

Nach drei Jahren in der regionalen Meisterschaft der Provinz Brabant stieg USG 1901 in die oberste Spielklasse auf und gehörte dieser bis 1949 ununterbrochen an. 1904 gelang die erste Meisterschaft, der bis 1935 zehn weitere Titel folgten. Von 1904 bis 1907 war Saint-Gilloise viermal, von 1933 bis 1935 dreimal in Folge Champion de Belgique. 1913 und 1914 wurde außerdem der belgische Pokal geholt.

Die Mannschaft der 1930er Jahre ging als Union 60 in die Annalen ein, da sie von Januar 1933 bis Februar 1935 in 60 Meisterschaftsspielen in Folge ungeschlagen blieb. Bis 1964 war USG belgischer Rekordmeister, bevor sie der mittlerweile 34-malige Meister Anderlecht ein- und 1966 überholte. Der Club Brügge zog 1996 gleich und 1998 vorbei und steht aktuell bei 18 Meisterschaften. Auch in der belgischen Nationalmannschaft hinterließ Saint-Gilles seine Spuren. Im Team, das 1920 in Antwerpen Olympiasieger wurde, standen sieben Akteure von USG, im WM-Aufgebot 1934 fünf. Rekordnationalspieler ist Oscar Verbeeck, der von 1914 bis 1924 insgesamt 27 Mal das Trikot der Roten Teufel trug.

Das Stadion

Da Saint-Gilles nur eine Fläche von 2,52 Quadratkilometern hat, war USG von Anfang an gezwungen, in der Nachbarschaft zu spielen. 1919 wurde das in der südwestlich angrenzenden Gemeinde Forest/Vorst gelegene Stade du Parc Duden in Anwesenheit des belgischen Kronprinzen mit einem Freundschaftsspiel gegen den Milan FC eröffnet. 1926 wurde die seit 2010 unter Denkmalschutz stehende Haupttribüne im Art-Déco-Stil errichtet und das Fassungsvermögen von 25.000 auf 35.000, später 44.000 erweitert. Seinen heutigen Namen Stade Joseph Marien erhielt das Stadion 1933, nachdem der seit 1921 amtierende Vereinspräsident Joseph Marien bei einem Spiel gegen den Daring Club Brüssel nach einem Herzinfarkt verstarb.

Das Stade Joseph Marien während eines Spiels in den 1930er Jahren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte USG nicht mehr an die Erfolge der Vorkriegszeit anknüpfen. Mehr als ein dritter Platz 1956 sollte nicht mehr herausspringen. Immerhin stehen bis 1965 fünf Teilnahmen am Messepokal zu Buche, wobei 1958/60 sogar das Halbfinale gegen Birmingham City erreicht wurde. 1973 verabschiedete sich Saint-Gillois mit dem vierten Abstieg der Vereinsgeschichte für 48 Jahre aus der höchsten Spielklasse. Bis 2021 folgten 19 Jahre in der Zweit-, 27 in der Dritt- und 1981 bis 1983 zwei Jahre in der Viertklassigkeit.

Die Haupttribüne des Stadions von Saint-Gilloise von außen im Jahr 2020.

Auch das Stadion verfiel langsam. 1976 kam das Ende für die Leichtathletiklaufbahn und die baufälligen Hintertortribünen. Nachdem das Fassungsvermögen 2010 auf 5500 reduziert und das Stadion 2016 bei der Ligareform für nicht zweitligatauglich erklärt worden war, musste USG für zwei Jahre ins König-Baudouin-Stadion in Heysel ausweichen. Kein Vergleich zu den goldenen Dreißigern, als das Stadion eines der größten in Belgien war. Heute liegt die Kapazität bei 9400, doch trotz – oder gerade wegen – der Erfolge der vergangenen Jahre scheinen die Tage gezählt, da das Stadion „für die Bedürfnisse des modernen Fußballs nicht mehr geeignet“ und für das „Überleben des Klubs“ der Umzug in eine zeitgemäße Spielstätte notwendig sei, wie den Ausführungen auf der USG-Homepage zu entnehmen ist. Zwar reicht es aktuell noch für die Heimspiele in der belgischen Liga, im Europapokal muss USG jedoch ins Stadion des RSC Anderlecht ausweichen. So auch bei dem Gastspiel der Eintracht am vergangenen Donnerstag.

Eintracht und Belgien, Union und Deutschland

Mit dem Einstieg des Engländers Tony Bloom, Mehrheitseigner und Vorsitzender des Premier-League-Klubs Brighton & Hove Albion, gelang ab 2018 die sportliche Wende. Trotz Corona kehrte USG 2021 ins belgische Fußballoberhaus zurück und etablierte sich sofort in der Spitze. 2022/23 spielten die Königlichen in der Europa League gegen den 1. FC Union Berlin und Bayer Leverkusen.

Europapokalpartien der Eintracht gegen belgische Klubs

SaisonWettbewerbStufeGegnerErgebnisse
1988/89Europapokal der PokalsiegerViertelfinaleKV Mechelen0:0 (H), 0:1 (A)
1991/92UEFA-Pokal2. RundeKAA Gent0:0 (A), 0:1 (H)
2019/20Europa LeagueGruppenphaseStandard Lüttich2:1 (H), 1:2 (A)
2021/22Europa LeagueGruppenphaseRoyal Antwerp FC 1:0 (A), 2:2 (H)
2023/24Europa Conference LeagueKnockout Round Play-offRoyale Union Saint Gilloise2:2 (A)

Die Eintracht hat seit 1957 insgesamt 23 Spiele gegen zehn belgische Klubs bestritten: Standard Lüttich (7), KAA Gent, Royal Antwerp FC (je 3), RFC Lüttich, Royal Beerschot VAV, KV Mechelen (je 2),  RSC Anderlecht, Club Brügge, KFC Lommelse SK (1). Dazu kam 1980 ein 2:4 gegen die Nationalmannschaft im Heysel-Stadion. Der Eintracht-Vorgänger Victoria unterlag bereits 1907 zusammen mit Germania 94 dem Racing Club Brüssel mit 1:3. Im Europapokal gab es bisher acht Spiele (2 Siege, 3 Unentschieden, 3 Niederlagen). Nach dem 2:2 vergangene Woche in Anderlecht ist übrigens ein kleiner Bann gebrochen: Erstmals erzielte die SGE in einem K.-o.-Duell mit einem belgischen Klub einen Treffer.

Aktuelle Adlerträger, die in Belgien tätig waren, und deren RUSG-Bilanz

  • Willian Pacho (Royal Antwerp FC): Acht Spiele, vier Siege, zwei Unentschieden, zwei Niederlagen.
  • Dino Toppmöller (RE Virton): Vier Spiele, drei Niederlagen, ein Unentschieden.
  • Niels Nkounkou (Royal Standard Club de Liège): Drei Spiele, zwei Unentschieden, eine Niederlage.
  • Tuta (KV Kortrijk): Zwei Spiele, ein Sieg, ein Unentschieden.
  • Aurélio Buta (Royal Antwerp FC): Zwei Spiele, ein Sieg, ein Unentschieden.

Auch auf Spielerebene herrscht Flaute, denn bei der Eintracht hat bis heute kein einziger Belgier gespielt! Als man István Sztani, der 1959 nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft zu Standard Lüttich gewechselt war, die belgische Staatsbürgerschaft anbot, um einen Ausländerplatz freizumachen, lehnte dieser dankend ab und kehrte 1965 zur Eintracht zurück. Der Grund: Sztani hätte in Belgien Wehrdienst ableisten müssen...