14.05.2021
Historie

„Ich bin der Eintracht sehr dankbar“

Tranquillo Barnetta wechselte 2013 leihweise von Schalke nach Frankfurt. Ein Gespräch über das Duell seiner Ex-Klubs, weshalb es bei einem Jahr geblieben ist und ein Privatduell mit Cristiano Ronaldo.

Quillo, schön dass du dir die Zeit nimmst, ausgerechnet am Vatertag [das Gespräch fand am Donnerstag statt; Anm. d. Red.].
Überhaupt kein Problem! Der Vatertag steht bei uns in der Schweiz ohnehin nicht so hoch im Kurs wie der Muttertag. Und mit dem Bollerwagen durch die Gegend zu ziehen, wäre aktuell ja ohnehin schwierig (lacht).

Das heißt, du hältst dich seit deinem Karriereende 2019 wieder in der Heimat auf?
Überwiegend ja. Ich genieße das Heimatleben, die Zeit mit meinen Kindern und spiele seitdem den Hausmann. Das erfüllt mich ungemein und ich bin froh, dass ich mir den Luxus erlauben kann, nicht direkt etwas anderes machen zu müssen. Gefühlt habe ich trotzdem mehr Arbeit als zu meiner Zeit als Profifußballer (schmunzelt). Aktuell leben wir für drei Monate in der Nähe von Bochum, weil meine Frau dort ein berufliches Projekt betreut.

Ich hatte Cristiano Ronaldo perfekt im Griff, trotzdem hat er zwei Tore erzielt...

Tranquillo Barnetta

Also räumlich gar nicht so weit entfernt von Gelsenkirchen, wo am Samstag deine Ex-Klubs Schalke und Frankfurt aufeinandertreffen. Was erwartest du für ein Spiel?
Angesichts der aktuellen Situation sehe ich die Eintracht zweifelsfrei im Vorteil. Schalke wird zwar trotz des sicheren Abstiegs versuchen, sich so gut wie möglich zu verabschieden. Aber die Eintracht weiß, worum es geht. Vielleicht geht’s 2:0 aus, ich rechne auf jeden Fall mit einem Sieg für Frankfurt.

Wie hast du die Entwicklung der Eintracht in den vergangenen Jahren wahrgenommen?
Seitdem ich nicht mehr selbst aktiv bin, habe ich zwar etwas Abstand vom Fußball generell. Dennoch ist mir nicht entgangen, was sich in Frankfurt in den vergangenen Jahren bewegt hat. Es ist sehr erfreulich, wie sich der Klub zu einer festen Größe entwickelt und vorne festgesetzt hat. Ich hoffe, dass er sich mit dem Einzug in die Champions League belohnen kann. Ich kenne Adi Hütter nicht persönlich, weiß aber, dass er schon in der Schweiz gute Arbeit geleistet hat, weshalb der Erfolg mit der Eintracht für mich nicht komplett überraschend kam.

Eidgenossen auf dem Weg nach Porto: Tranquillo Barnetta und Pirmin Schwegler.

Hast du noch Kontakt nach Frankfurt?
Nicht mehr wirklich. Das ist ganz normal, dass es sich etwas verläuft, wenn sich die Wege trennen – wie in jedem Beruf. Mit Pirmin Schwegler besteht ein gewisser Austausch. Und dadurch, dass ich selbst noch mit Trappo und Seppl [Trapp und Rode; Anm. d. Red.] zusammengespielt habe, interessiert es mich weiterhin, wie es ihnen ergeht.

Du bist für die Saison 2013/14 per Leihe von Schalke nach Frankfurt gewechselt. Mit welchen Gedanken blickst du auf das Jahr am Main?
Es war zwar nur ein Jahr, aber dafür ein sehr intensives. Für mich persönlich war es eine super Zeit, weil ich gerade eine schwere Verletzung hinter mir hatte und mir Armin Veh die Möglichkeit gegeben hat, wieder in einen Rhythmus und auf mein altes Niveau zu kommen. Zwar lief es in der Bundesliga durchschnittlich, dafür konnten wir international einige Glanzlichter setzen. Spiele wie in Bordeaux mit abertausenden unserer Fans waren einfach unglaubliche Erfahrungen.

Unter Armin Veh zurück zu alter Stärke: Tranquillo Barnetta.

Hättest du dir deshalb nicht vorstellen können, länger hierzubleiben? Denn von außen wirkte es, als hätten sich die Vereine nicht über eine Weiterbeschäftigung einigen können.
Ganz genau weiß ich das selber nicht. Mir wurde damals klar gesagt, dass der Transfer auf ein Jahr befristet sei, damit ich mit möglichst vielen Spielen wieder mein altes Level erreichen könne. Deshalb ergab sich erst gar keine große Gelegenheit, sich über etwas anderes Gedanken zu machen. Grundsätzlich hätte ich mir gut vorstellen können, länger zu bleiben. Ich bin der Eintracht sehr dankbar, dass sie mich damals ausgeliehen hat, zumal das Anfang September auf den letzten Drücker zustande kam. Gott sei Dank hatte ich danach auch auf Schalke ein tolles Jahr.

Unter anderem hast du 2015 in der Champions League im denkwürdigen Achtelfinalrückspiel bei Real Madrid in der Startelf gestanden.
Das war wirklich verrückt. Wir haben im Bernabéu 4:3 gewonnen und hätten nur ein weiteres Tor schießen müssen, um weiterzukommen [0:2 im Hinspiel; Anm. d. Red.]. Ich erinnere mich noch gut, dass ich als alleiniger Rechtsaußen gegen Cristiano Ronaldo gespielt habe. Ich hatte ihn perfekt im Griff, trotzdem hat er zwei Tore erzielt (lacht)...

Mann gegen Mann: Tranquillo Barnetta 2015 gegen Cristiano Ronaldo.

Auf was dürfte sich die Eintracht und ihr Umfeld freuen, wenn es tatsächlich mit der Königsklasse klappen sollte?
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass der ganze Verein und seine Fans allein die Europa League zu einem großen Fest gemacht haben, obwohl die Gegner erst in der K.-o.-Phase namhafter wurden. Deshalb kann man sich ausmalen, was in der gesamten Region los wäre, vor allem, wenn wieder Zuschauer in die Stadien dürfen sollten. Aus Spielersicht träumt jeder davon, diese Hymne zu hören. Das sind einfach Gänsehautmomente.

Was hättest du entgegnet, wenn dir damals jemand erzählt hätte, dass dein damaliger Verein Schalke sechs Jahre später absteigen würde?
Es wäre sicher sehr unglaubwürdig gewesen, vor allem, weil die Champions-League-Teilnahmen keine Eintagsfliegen waren. Schalke hat regelmäßig in der Spitzengruppe der Bundesliga mitgemischt. Wie es so weit kommen konnte, ist aus der Ferne schwer zu beurteilen. Aber die Ursachen liegen sicher nicht allein in der aktuellen Spielzeit. Schwierig wird es immer, wenn man sich weiterhin als Champions-League-Klub wahrnimmt, aber die Realität anders aussieht. In jedem Fall tut mir das weh, weil ich weiß, welche Bedeutung Schalke für die gesamte Region hat. Ein Abstieg ist für jeden Verein schwer, aber für diesen, mit dem großen Umfeld und den vielen Menschen, die dahinterstehen, ganz besonders. Vom Verlust für die Bundesliga ganz zu schweigen. Nichtsdestotrotz wünsche ich ihnen den baldigen Turnaround, dass sie die Zweite Liga annehmen und in ein, zwei Jahren den Wiederaufstieg packen.

Kommen wir abschließend nochmal zu dir. 2015 bist du für eineinhalb Jahre nach Philadelphia gewechselt. Welche Erfahrungen hast du in den USA gemacht?
Das alles aufzuzählen, würde sicher den Rahmen sprengen (lacht). Aber es war auf jeden Fall eine coole Erfahrung, auch um eine andere Sichtweise zu gewissen Dingen zu erlangen. Beispielsweise haben sich die Spieler an Spieltagen immer erst anderthalb Stunden vor dem Anpfiff zusammengefunden – was es in Deutschland vielleicht so nur noch in der Kreisliga gibt. Das wäre für viele Europäer sicher ein Kulturschock, hat aber bestens funktioniert. Auch die immer positive Einstellung der Fans hat mir gefallen. Sie standen immer hinter einem, Auspfeifen gab es nicht. Unabhängig von Sieg oder Niederlage hieß es am Ende immer: „Great Game!“