30.05.2023
Historie

„Ich glaube daran, nimm den Hörer in die Hand“

Pokalsiegertrainer Lothar Buchmann erinnert sich an den Triumph 1981, ein Spezialtrainingslager sowie sein besonderes Verhältnis zu Cha, Hölzenbein – und dem Neckarstadion.

Lothar Buchmann, wie häufig werden Sie dieser Tage auf den DFB-Pokalsieg 1981 angesprochen?
Ach, immer wieder, nicht nur wegen des bevorstehenden Finales. Die Leute erinnern sich immer noch. Die Öffentlichkeit möchte natürlich immer wieder Vergleiche. Aber früher und heute kann man nicht miteinander vergleichen. Wenn ich daran denke, auf was für Rasenplätzen wir früher trainiert haben und wie die Plätze heute gepflegt sind, frage ich mich manchmal, wie überhaupt noch Fehlpässe möglich sind. Selbst ich mit fast 87 Jahren schaffe noch einen Pass über 20 Meter (lacht). Wenn es früher geregnet hat, haben wir eben Acht-gegen-acht Handball gespielt, weil wir sonst den Platz umgepflügt hätten. Bei Spielen durfte immer die Heimmannschaft den Ball bestimmen. Bernd Nickel hat meistens entschieden: Knallhart und nicht zu groß, damit er 100-prozentig zu seinen Füßen passt. Seine Schüsse haben Fahrt aufgenommen und sich gedreht wie eine Billardkugel.

Mit Nickel und unter Ihnen gewann die Eintracht 1981 zum dritten Mal den DFB-Pokal – ausgerechnet im Stadion ihres Ex-Klubs VfB Stuttgart.
Ja, aber das war so von mir gewollt! Das Vormittagstraining am Riederwald war zu Ende, ich sollte umgehend ins Büro unseres Managers kommen. Hochgelaufen, zum Schreibtisch. Udo Klug fragt mich: „Der DFB wollte wissen, ob wir in Köln oder Stuttgart spielen wollen. Kaiserslautern ist das egal.“ „Das fragst du noch?“, sagte ich. „Wenn der liebe Gott mir die Chance gibt, ein Finale in Stuttgart zu spielen, dann kann er mich auch nicht verlieren lassen...“ Udo erwiderte: „Du bist unmöglich.“ Ich sagte nur: „Ich glaube daran, nimm den Hörer in die Hand!“. Damit war die Sache erledigt.

Allein auf den lieben Gott haben Sie sich dann doch nicht verlassen.
Die nächste Frage war schnell: Und was machen wir jetzt? Ich habe eine Minute durchgerechnet, wir hatten vier Wochen bis zum Finale. Davor war noch eine Länderspielpause. Deshalb war für mich die Sache klar: Wir machen eine Woche wenig, fahren die ganze Sache runter. Nach dem letzten Spiel vor der Länderspielpause sind wir eine Woche in den Taunus ins Trainingslager gefahren.

Beim Endspiel konnten die Spieler gefühlt gar nicht anders, als Kaiserslautern in Grund und Boden zu rennen.

Lothar Buchmann

Für Bernd Hölzenbein war es im Wortsinn ein Endspiel, danach wechselte er mit Ihrem Einverständnis in die USA.
Genau, er kam mit dem Wunsch auf mich zu, sich noch vor dem Saisonende Fort Lauderdale anzuschließen. Ich konnte das natürlich nicht alleine entscheiden, das war Sache des Präsidenten. Der hat nach ein paar Tagen Bedenkzeit festgelegt: „Wenn wir das Finale gewinnen, kann der Holz sofort aufhören.“ Das habe ich ihm übermittelt, mit dem Zusatz: „Du bist jetzt der entscheidende Mann!“ Denn die ganze Mannschaft war gegen das Trainingslager. Ich musste das alleinverantwortlich durchziehen, hatte aber mit Bernd Hölzenbein den Kapitän auf meiner Seite. Also gab es eine Woche Steigerungsläufe. In der Woche vor dem Finale haben wir lockerer trainiert. Beim Endspiel konnten die Spieler gefühlt gar nicht anders, als Kaiserslautern in Grund und Boden zu rennen. Der Gegner war platt, meine Spieler dagegen spritzig und beweglich. Das Spiel kannst du heute noch verkaufen. Danach hat selbst Hansi Müller mir gratuliert; er habe lange nicht mehr so ein Finale gesehen.

Auf dem Weg dorthin wartete im Viertelfinale – wieder ausgerechnet – der VfB Stuttgart. Inwiefern war das schon eine besondere Konstellation?
Ich weiß noch, dass die Stuttgarter mich angefeindet haben, weil sie der Meinung waren, ich hätte die Stadt Frankfurt überredet, dass der VfB sein Abschlusstraining nicht bei uns im Stadion abhalten dürfte. Das stimmte so nicht, ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung davon. In die Bresche gesprungen bin ich aber halt auch nicht... (schmunzelt). Jedenfalls stand die Partie dann Spitz auf Knopf. In der Halbzeitpause musste ich die Spieler erstmal beruhigen, weil wir 0:1 hinten lagen. Was der Siegtreffer durch Bruno Pezzey in der 90. Minute ausgelöst hat, muss ich niemanden erklären.

Im Halbfinale galt es noch, Hertha BSC auszuschalten.
Vor den Berlinern hatten viele tatsächlich mehr Schiss als vor Stuttgart. Das war ein richtiger Angstgegner, sie haben rausgeschoben bis zur Mittellinie, ihre Abseitsfalle war gefürchtet.

Lothar Buchmann (r.) herzt seinen einstigen Schützling Cha Bum-kun.

Den goldenen Treffer zum 1:0 erzielte schließlich Cha Bum-kun, den Sie bereits in Darmstadt trainiert hatten. Welche Rolle haben Sie beim Wechsel nach Frankfurt gespielt?
Die Verbindung liegt auf der Hand, doch es lief anders, als es auf den ersten Blick vielleicht aussieht. Er kam damals aus Südkorea nach Darmstadt, konnte kein Wort Deutsch. Heute sind wir Freunde. Doch von heute auf morgen musste er zurück, seine Pflicht fürs Militär erfüllen, wir haben ihn bis Sommer nicht gesehen. Als ich später in Stuttgart gearbeitet habe, hat mir Gerhard Mayer-Vorfelder irgendwann um Mitternacht eine Nachricht geschrieben. Die Botschaft hätte angerufen, der Cha wäre wieder im Lande und wollte zu uns. Da man damals aber nur zwei Internationale aufstellen durfte und wir schon zwei starke Nationalspieler hatten, hätten wir einen von drei auf die Bank setzen müssen. Erst als ich in Frankfurt war, hat sich der Kreis geschlossen. Manche Dinge gibt es eigentlich gar nicht, da fällt es mir schwer, an Zufälle zu glauben.

Schon nach dem Halbfinale wurden „Pokalsieger“-Shirts verkauft. War das bezeichnend für den Frankfurter Glauben an den späteren Triumph?
Aus meiner Sicht nicht, damit hatte ich nichts zu tun. Ich stelle den Sekt nicht vorher kalt, den konnten wir immer noch kaufen, wenn das Spiel gewonnen war. In dieser Hinsicht war ich schon immer zu abergläubisch.

Seitdem ist es keinem Eintracht-Team mehr gelungen, in zwei aufeinanderfolgenden Jahren einen Titel zu gewinnen. Warum klappt es diesmal?
Ehrlicherweise ist Leipzig der Favorit, allein wenn ich ihre Auftritte im Viertel- und Halbfinale zu Grunde lege. Sie werden die Eintracht nicht auf die leichte Schulter nehmen, beide Teams sind in der Lage, auf den Punkt da zu sein. Es ist ein Finale. Ein Spiel. Eine Chance. Manche Dinge sieht man nicht kommen, die kann auch ein Trainer nicht beeinflussen. Ein krummes Ding zur falschen Zeit, die andere Mannschaft kommt nicht mehr auf die Beine. Es gibt den Spruch „Angst drückt Kehle zu“. Hier ist auch wissenschaftlich etwas dran. Auf diesem Niveau fließt weniger Blut, weniger Sauerstoff, die Körper sind wie gelähmt. Das ist menschlich, also auch bei Sportlern nicht unnormal.

Ich wollte die Spieler nicht quälen, sondern gewährleisten, dass wir gewinnen.

Lothar Buchmann

Auf die Trainingslehre haben Sie sich schon bei der Planung des Trainingslagers verlassen?
So ist es. Ich hatte keinen Laptop, keine fünf Co-Trainer, aber mein Wissen. Ich konnte alles erklären; weiß, wie der Körper auf Be- und Entlastung reagiert, Kräfte auf- und abbaut. Deshalb war meine Entscheidung damals kein Risiko. Ich wollte die Spieler nicht quälen, sondern gewährleisten, dass wir gewinnen.

Worin sehen Sie die größten Pokalchancen der Eintracht 2023?
Im Detail kann ich das nicht benennen, weil ich nicht mehr jeden Tag auf dem Trainingsplatz stehe (lacht). Als Außenstehender sehe ich die größte Chance bei uns in der Vorwärtsbewegung. Und mit einem Kevin Trapp in Hochform könnte das was werden!

Wo werden Sie das Spiel sehen?
Der Verein hatte mich dankenswerterweise nach Berlin eingeladen. Weil ich aus gesundheitlichen Gründen aktuell nicht gut zu Fuß bin, musste ich leider absagen. Das Spiel werde ich mir am Fernseher natürlich trotzdem nicht entgehen lassen.