28.09.2025
Historie

„Ich habe ihn geärgert“

Peter Reichel erinnert sich an die Duelle mit Atlético de Madrid vor 50 Jahren, besondere Zweikämpfe, harte Gegenspieler und ein „zähes Ringen“ ums Weiterkommen – das der Eintracht gelang.

Es dauerte bis zur 88. Minute im Achtelfinalrückspiel des Europapokals der Pokalsieger 1975/76, ehe die Entscheidung zugunsten der Eintracht gefallen war. Gegen Atlético de Madrid hatten die Adlerträger einen 2:1-Vorsprung aus dem Hinspiel in der spanischen Metropole mitgenommen, beim Stand von 0:0 in Frankfurt brauchten die Gäste nach alter Auswärtstorregel also mindestens zwei Tore zum Weiterkommen. Peter Reichel war es, der alle Hoffnungen der Madrilenen zunichte machte, zum 1:0 einköpfte und damit das Weiterkommen eintütete. Die beiden K.-o.-Duelle vor ziemlich genau 50 Jahren waren die bisher einzigen Pflichtspielvergleiche gegen Atlético, und es waren besondere Abende für Peter Reichel.

Der 73-Jährige wird ein halbes Jahrhundert später am Montagvormittag dabei sein, wenn die Frankfurter zum Auswärtsspiel aufbrechen und am zweiten Spieltag der Ligaphase in der UEFA Champions League in Madrid zu Gast sind. „Ich freue mich unglaublich auf diese Reise, weil ich mit Atlético natürlich ganz besondere Erfahrungen gemacht habe“, erzählt Reichel.

Morgens Uniprüfung, abends Siegtor

Das Besondere für Reichel: Am Morgen des Rückspiels hatte der Lehramtsstudent an der Uni noch eine Prüfung zu absolvieren. Trainer Dietrich Weise erlaubte, dass Reichel dafür das Trainingslager verließ. Am Abend hatte der Abwehrspieler seinen Anteil daran, dass die Eintracht ins Viertelfinale vorstieß. An seinen Treffer zum 1:0 erinnert er sich noch ganz genau: „Ich habe in der eigenen Hälfte den Ball erobert und dann einen Marathonsprint hingelegt. Der Ball kam über Grabi und Bernd Hölzenbein auf die rechte Außenbahn. Ich wusste genau, dass Bernd bis zur Torauslinie durchgeht und dann in die Mitte flankt. Genau so kam es.“ Dort ist Reichel vor dem herausstürmenden Atlético-Keeper per Kopf am Ball. 1:0, die Eintracht steht im Viertelfinale.

Dabei war das Weiterkommen keineswegs erwartet worden in der Mainmetropole. Atlético de Madrid hatte 17 Monate zuvor im Finale des Europapokals der Landesmeister gegen Bayern München gestanden, verfügte über Weltklassespieler und hatte am Wochenende zuvor den Tabellenzweiten FC Barcelona mit 3:0 besiegt – unter den Augen von Eintracht-Trainer Dietrich Weise und Geschäftsführer Jürgen Gerhardt. Für die Adlerträger war es dagegen zuletzt zumindest in der Bundesliga nicht nach Wunsch gelaufen, fünf Partien ohne Sieg standen zu Buche. In den Pokalwettbewerben hatte sich der amtierende DFB-Pokalsieger jedoch keine Blöße gegeben, war gegen den FC Coleraine aus Nordirland und gegen die Amateure des FV Offenburg mit lockeren Siegen jeweils in die nächste Runde eingezogen.

Ich dachte mir: Das wird ein anstrengender Abend.

Peter Reichel

„Das wird Ihre internationale Reifeprüfung“, hatte Dietrich Weise vor dem Hinspiel gegen Atlético zu Peter Reichel gesagt. Der damals 23-Jährige sollte es in Zeiten von intensiver Manndeckung mit Rubén Ayala zu tun bekommen. „Ein Künstler, der in Madrid und auch in seiner Heimat Argentinien verehrt wurde“, erinnert sich Reichel. „Ich dachte mir: Das wird ein anstrengender Abend“. Aber schon früh hatten die Frankfurter den Eindruck, dass die Favoriten aus Madrid ihren Gegner „nicht so richtig auf dem Radar“ hatten, wie es Reichel beschreibt. Nach 14 Minuten hatte Weltmeister Bernd Hölzenbein den Doppelpack geschnürt, 2:0 für die Eintracht im Estadio Vicente Calderon. „Ich habe das 1:0 aufgelegt. Da habe ich gemerkt, dass es mein Tag wird“, meint Reichel, der auch bei seiner Hauptaufgabe in der Defensive glänzte. „Ayala mochte das gar nicht, dass ihm da ein Jungspund die ganze Zeit hinterhergelaufen ist. Damit habe ich ihn geärgert“.

Doppeltorschütze in Madrid: Bernd Hölzenbein (links).

Karl-Heinz Körbel, der mit seinem Siegtor im DFB-Pokalfinale 1975 gegen Duisburg die Eintracht in diesen Wettbewerb geschossen hatte, musste sich in Madrid mit dem zweiten argentinischen Topstürmer der Gastgeber auseinandersetzen, José Gárate. „Der Sieger trägt immer das Gästetrikot“, ist einem Spielbericht der damaligen Zeit über die Duelle Reichel/Ayala und Körbel/Gárate zu entnehmen. „Das waren beinharte Duelle in einer hitzigen Atmosphäre“, erinnert sich Körbel an das Spiel vor 30.000 Zuschauer und die Zweikämpfe gegen den WM-Teilnehmer von 1974.

Rückspiel: „Zähes Ringen“

Capon verkürzte in der 50. Minute für Atlético, die Eintracht fuhr einen verdienten 2:1-Sieg ein. Diesen vergoldete sie zwei Wochen später mit dem 1:0 im Rückspiel. Reichel: „Es war ein zähes Ringen. Nicht schön anzuschauen für die Zuschauer. Wir haben die körperliche Herausforderung angenommen, dagegengehalten und die technisch starken Madrilenen mit unserer Laufbereitschaft und unserem Einsatzwillen zur Verzweiflung gebracht“, bilanziert Reichel.

Die Eintracht sollte im Europapokal der Pokalsieger noch bis ins Halbfinale vordringen, dort war gegen den West Ham United FC Endstation. Reichel hat unterdessen an Spanien nur gute Erinnerungen. „Wir haben damals oft in Spanien gespielt, auch Testspiele an einem bundesligafreien Wochenende. Ein halbes Jahr nach den Spielen gegen Atlético kam ich genau in dem Stadion zu einem Kurzeinsatz bei einem Länderspiel gegen Spanien, in der EM-Qualifikation“.

Kein Wunder also, dass Reichel und die gesamte Eintracht-Familie 50 Jahre danach mit einem guten Gefühl und wunderbaren Erinnerungen im Gepäck nach Spanien reisen. Auch wenn der Fußball sich natürlich über die Zeit stark verändert hat, gebe es laut Reichel zwei Notwendigkeiten, die immer noch gültig sind. „Du brauchst schnelle Beine und musst schnell im Kopf sein.“ Und vielleicht im richtigen Moment mit den Beinen den Topstürmer bedienen (Reichel auf Hölzenbein im Hinspiel) oder den Kopf hinhalten (Reichel im Rückspiel), um auch 2025 gegen das spanische Topteam zu bestehen.

Jubel über das Weiterkommen nach dem Schlusspfiff des Rückspiels: Links Torschütze Peter Reichel, rechts Torhüter Günter Weinhold.