12.05.2020
Historie

„Ich war nur der Vollstrecker“

Vor genau 30 Jahren sicherte die Eintracht Bundesligarang drei und stellte erstmals den Torschützenkönig. Ein Rückblick auf und ein Gespräch mit Jörn Andersen.

Die Saison 1989/90 war eine besondere für die Frankfurter Eintracht. Nachdem die Adlerträger Mitte der 1980er Jahre im Mittelmaß versunken waren und im Jahr zuvor in der Relegation dem Abstieg nur knapp von der Schippe gesprungen waren, beendeten die Adlerträger die Saison überraschend auf Tabellenplatz drei. Großen Anteil an diesem Erfolg hatte Stürmer Jörn Andersen. Dem Norweger gelang es in jener Spielzeit, mit 18 Treffern als erstem ausländischem Spieler in der Bundesligahistorie die Torjägerkanone zu ergattern. Das war zuvor ebenso wenig einem Spieler der Eintracht gelungen – nicht mal Bernd Hölzenbein, der 1976/77 mit wesentlich mehr Treffern (26) keine Chance gegen Dieter (34) und Gerd (28) Müller hatte.

Seinen Erfolg krönte Andersen am letzten Spieltag, als er am 12. Mai 1990 in der 90. Minute zum 3:1 gegen den 1. FC Köln traf und damit seinen Vorsprung noch ausbaute. Zwar reichte der Sieg nicht mehr, um in der Tabelle am zweitplatzierten Gegner vorbeizuziehen. Dennoch bedeutete dies die beste Platzierung seit 15 Jahren, nur fünf Mal in 50 Bundesligaspielzeiten beendete die Eintracht eine Saison so weit oben – und nie weiter oben. Dadurch konnten die Mannschaft und vor allem Jörn Andersen in der Saison 1989/90 Geschichte schreiben.

„Der typische Strafraumspieler“

Auch der heutige Markenbotschafter Uwe Bein, damals in seiner ersten Saison am Main mit neun Toren zweitbester Torjäger der Eintracht, erinnert sich gerne an seinen Mitspieler zurück, dem er mit seinen tödlichen Pässen einige Treffer aufgelegt hatte. „Ich habe aus Flachs immer zu ihm gesagt: Jörn, ich habe dich so oft angeschossen, damit der Ball ins Tor ging, da konntest du nur Torschützenkönig werden. Er war der typische Strafraumspieler. Die Chancen, die er vorne bekommen hat, hat er auch verwertet. Wir haben immer versucht, ihn so anzuspielen, dass er den Ball entweder reingeköpft oder -geschossen hat“, erzählt Bein, der 1989/90 zu insgesamt zehn Buden auflegte. „Jörn hat vielleicht nicht immer technische Kunststücke vollbracht. Aber wenn er das Tor gesehen hat, wollte er den Ball auch verwandeln. Er war ein sehr ruhiger Mensch, mit dem jeder sehr gut auskommen konnte. Außerdem war er ein richtiger Mannschaftsspieler, den nichts aus der Ruhe bringen konnte.“

Andersen habe damit auch den Weg für Norweger in der Bundesliga einfacher gemacht. Das sagt Jan Aage Fjörtoft, Landsmann und später auch am Main Torjäger. „Torschützenkönig in der großen Fußballnation Deutschland zu werden ist eine klasse Leistung. Dazu noch als erster Ausländer und im Jahr des Weltmeistertitels für Deutschland – unglaublich! Jörn ist ein super Typ, den ich immer wieder gerne treffe“, erzählt Eintrachts Markenbotschafter und Kolumnist Fjörtoft, der in einigen Partien an der Seite des vier Jahre älteren Andersens für Norwegen stürmte.

Jörn Andersen ist mit einer Französin verheiratet, hat seit 1993 die deutsche Staatsangehörigkeit und ist Vater eines Sohnes sowie einer Tochter. Sohn Niklas spielte bis 2018 beim Oberligisten SSVg Velbert, hat aber auch ein Bundesligaspiel auf dem Buckel – für Werder Bremen ausgerechnet gegen Eintracht Frankfurt. Vater Andersen war als Spieler und ist seit dem fließenden Übergang im Jahr 2001 als Trainer ein Wandervogel. Auf dem Platz stand er unter anderem für Nürnberg, Dresden, den Hamburger SV, Düsseldorf und in den meisten Spielen die Eintracht. An der Seitenlinie dirigierte er Teams in Nord- und Südkorea, der Schweiz, Griechenland, Österreich und in Deutschland. Mit dem 1. FSV Mainz 05 stieg er in die Bundesliga auf.

„Jörg Berger hat mich geprägt“

Anlass genug, den historischen Held selbst zu Wort kommen zu lassen. Im Interview spricht Andersen über seine Erinnerungen an die Saison 1989/90, seine Begegnungen mit Adi Hütter und seinen aktuellen Aufenthaltsort.

Jörn, wie geht es dir und wo lebst du derzeit?
Mir geht es den Umständen entsprechend gut! Meine Familie und ich sind gesund. Zurzeit befinde ich mich zu Besuch bei meinen Kindern in Düsseldorf. Seit Anfang des Jahres lebe ich aber wieder in Deutschland und habe meine Heimat jetzt in Regensburg.

1989/90 war ein besonderes Jahr für die Eintracht und auch für dich. Was ist dir in Erinnerung geblieben?
Definitiv vieles. Ein Jahr zuvor haben wir gegen den Abstieg gespielt. Da mussten wir in der Relegation gegen Saarbrücken antreten. Dann wurde die Mannschaft mit neuen Spielern wie Uwe Bein und Ralf Falkenmayer verstärkt. Mit dieser Mannschaft haben wir an der Spitze mitgespielt und sind am Ende der Saison sogar Dritter geworden. Ich bin außerdem Torschützenkönig geworden. Es war ein tolles Jahr für die Mannschaft und auch für mich.

Am 12. Mai 1990 fand der letzte Spieltag der Saison statt. Kannst du dich erinnern, wie die Torjägertabelle vor diesem Tag aussah?
Ja, daran kann ich mich schon erinnern. Es waren einige Spieler, die um den Titel gekämpft haben, Stefan Kuntz von Kaiserslautern oder auch Roland Wohlfahrt von den Bayern. Ich habe gegen Köln noch in der letzten Minute ein Tor gemacht. Mit den 18 Treffern hat es in der Saison zum Torschützenkönig gereicht.

Damit warst du der erste ausländische Spieler, der die Torjägerkanone in der Bundesliga gewinnen konnte. 
Für mich war das sehr überraschend, denn ich wusste nicht, dass ich der erste ausländische Spieler bin, dem das gelungen ist. In der Bundesliga haben vor mir bereits viele tolle Spieler und Stürmer aus dem Ausland gespielt: Kevin Keegan, Cha Bum-kun unter anderem bei der Eintracht, Allan Simonsen und viele mehr. Und die haben das alle nicht geschafft. Ich war froh und auch stolz, dass ich das als erster geschafft habe. Die Kanone steht seit zehn Jahren im Eintracht-Museum. Momentan ist sie ausgeliehen, vielleicht möchte ich sie irgendwann zurückhaben (lacht). Den Goldenen Schuh habe ich aber noch zu Hause, bei mir auf dem Kamin.

Im Jahr zuvor hast du in 20 Bundesligapartien lediglich zwei Treffer erzielen können. Was hat den Ausschlag zu deiner Erfolgsserie mit 18 Toren gegeben?
Wir haben mit Jörg Berger einen neuen Trainer bekommen. Seine Art zu trainieren hat mich sehr geprägt. Er hat großen Wert auf Physis und Taktik gelegt. Generell hat er als Trainer gut zu mir gepasst. Außerdem hat der Verein auch neue Spieler geholt, die mich vorne mit Pässen gefüttert haben, unter anderem Uwe Bein, Ralf Falkenmayer, Heinz Gründel und Stefan Studer. Diese Umstellungen waren der Grund, warum wir in diesem Jahr eine solch gute Saison gespielt haben und ich so viele Tore schießen konnte. Am Ende war es eine Mannschaftsleistung. Ich war nur der Vollstrecker, so wie später Anthony Yeboah oder Alex Meier.

Verfolgst du die Eintracht heute noch?
Auf jeden Fall verfolge ich das Geschehen um die Eintracht. Es hat sich viel geändert. Aber ich kenne noch einige Leute, die auch heute bei der Eintracht tätig sind. Charly Körbel ist dem Verein natürlich treu geblieben und auch Fredi Bobic kenne ich.

Kennst du den aktuellen Trainer Adi Hütter persönlich?
Ja, Adi kenne ich zufällig. Wir waren beide Trainer in Salzburg, er beim FC und ich bei Austria. Österreich ist klein, da kennt man sich. Das ist ähnlich wie in Norwegen. Wir haben uns in Salzburg ein paar Mal gesehen, zumal die Trainingsgelände unserer Mannschaften nicht weit voneinander entfernt lagen.

Du hast viele Stationen als Trainer erlebt. Was hast du als nächstes geplant?
Zuletzt war ich in Nord- und Südkorea als Trainer tätig. Seit Ende des vergangenen Jahres bin ich zurück in Deutschland und warte hier auf die nächste Herausforderung.