Einordnung: Effizient ohne Ende
Seit Oliver Glasner am Main am Ruder ist, ist es nicht unüblich, dass der Cheftrainer bei öffentlichen Auftritten die eigene wie die gegnerische Spielweise en detail zu erläutern vermag. Je nach Ausgangslage mit mehr oder weniger offenen Karten. Dem war auch während der obligatorischen Pressekonferenz am Abend vor dem Halbfinalhinspiel im London Stadium so, als der Fußballlehrer seine Blitzanalyse vor dem Aufeinandertreffen mit dem West Ham United FC schließlich auf einen Nenner brachte: „Es wird um Effizienz gehen.“
Gesagt, getan, so der Eindruck nach den ersten 90 Minuten der Vorschlussrunde der UEFA Europa League. „Wenn wir viel Raum haben, können wir sehr schnell umschalten“, erklärte der Österreicher eine der zelebrierten Stärken der Hessen, die längst kein Betriebsgeheimnis mehr ist, aber gegen die nicht weniger vertikal veranlagten Hammers umso deutlicher herausstach. 14:8 Torschüsse und 46:23 Angriffe pro London errechneten die UEFA-Statistiker am Donnerstagabend. Doch das Resultat sprach am Ende mit 1:2 für die Gäste.
Eine Ausbeute, die Glasner nicht zuletzt daran festmachte, „konzentriert und mutig“ aufgetreten zu sein. Die Sequenz, bevor Kamada den Pfosten traf und damit beinahe an die Spitze der Europa-League-Torjägerliste, an der aktuell drei andere Akteure mit je sechs Buden stehen, gesprungen wäre, sei für den 47-Jährigen „symbolhaft“ gewesen.
In diesem Zusammenhang sei es in den Augen des Coachs dennoch „besser gewesen, wenn wir aktiv geblieben wären“, um nicht wie in der Schlussphase nochmal unter Dauerdruck zu geraten. Entsprechend standen dem Alutreffer des Japaners drei derer aufseiten des Gastgebers gegenüber. Am heftigsten schepperte es in der Nachspielzeit, als Jarrod Bowens Fallrückzieher an die Unterkante der Latte krachte. „Ich habe nicht viel mitbekommen, den Ball noch an den Rücken bekommen und nur gehofft, dass er nicht über die Linie kullert oder bei einem Gegenspieler landet“, gab Kevin Trapp, schon vor der Pause mit einer Glanztat gegen Bowen, jenen Moment wieder.
Geschichte des Spiels: Rekordmann Trapp
Dem Schlussmann war diese Fügung bewusst, bekräftigte aber zugleich: „Wir haben uns dieses Glück erarbeitet.“ Was auf lange Sicht mehr denn je für den Nationalkeeper gilt, der bei nun 35 Einsätzen in der UEFA Europa League steht, mehr als jeder andere deutsche Spieler in diesem Wettbewerb.
Dass die Adler nun in 18 der vergangenen 19 internationalen Partien nicht ohne Gegentor blieben, kann nicht nur dem 31-Jährigen einerlei sein. Denn auf der anderen Seite gelang Frankfurt in 18 der zurückliegenden 20 Europapokalbegegnungen mindestens ein eigener Treffer. Dass diese Kaltschnäuzigkeit auch im eigentlich olympischen Tollhaus gegen 57.000 Engländer zutage trat, war dem 31-Jährigen eine besondere Erwähnung wert: „Es war laut, aber wir haben es geschafft, das Stadion still zu bekommen.“ Mit dieser Kulisse abgebrüht umzugehen, hob ebenso Glasner hervor, der „unser Positionsspiel und Lösungen unter Gegnerdruck“ honorierte. Namentlich nannte er unter anderem Djibril Sow, 91 Prozent Passquote, und Kamada, der 90 Prozent seiner Zuspiele an den Mann brachte.
Zahl des Spiels: 49
Gleichzeitig mahnte Glasner an, dass seine Schützlinge am Ende „zu häufig zurück zu Kevin gespielt“ hätten. „Ich sehe den Ball am liebsten in der gegnerischen Hälfte.“ Und am allerliebsten im gegnerischen Gehäuse. Wie unmittelbar nach dem Anpfiff, als Frankfurt mit dem zweiten Offensivzug durch Ansgar Knauff in Führung ging. 49 Sekunden waren da gerade auf der Uhr, früher als jemals zuvor ein Eintrachtler in der Europa League.
Nicht nur, weil der Winterneuzugang wie im Hinspiel gegen Barca den Dosenöffner gab, stand der Rechtsaußen hinterher im Mittelpunkt. „Wir geben ihm ein paar Ratschläge, trainieren das eine oder andere. Aber das meiste kommt von ihm selbst“, lobte Glasner, der nach der formidablen Kopfballeinlage schmunzeln musste: „Im Abschlusstraining zählen Ansgars Kopfballtore doppelt, weil er auf diese Weise eigentlich nie trifft.“ Aber umso mehr, wenn es zählt, im Gesamtkontext gewissermaßen um Alles oder Nichts geht.
Ausblick: In Leverkusen ohne Lindström
Das gleiche ließe sich auch von Almamy Toure behaupten, der im zweiten K.-o.-Spiel in Folge seinen Mann stand, erst rechts, nun links innen. Für Glasner spielt die Positionsverschiebung ohnehin keine Rolle. „Die Aufgaben sind auf beiden Seiten völlig identisch. Almamy konnte seine Physis und seinen Speed in ein, zwei Laufduellen einsetzen. Gegen Bowen ist es sehr schwer zu verteidigen. Almamy genießt unser vollstes Vertrauen. Ich habe ihm nur gesagt: Du spielst wieder und fertig.“ Für Trapp ist die Nummer 18 fast sinnbildlich dafür, dass „wir als Team dafür sorgen, dass alle integriert sind und funktionieren, wenn sie gebraucht werden. Auf Alma kann man sich verlassen.“
Insofern halten sich derweil die Bedenken um den Gesundheitszustand um Jesper Lindström in Grenzen, bei dem nach einer Stunde der Oberschenkel zugemacht hatte. Unabhängig vom Ergebnis des MRT am Freitagabend legte sich Glasner bereits fest, dass der Däne am Montag in Leverkusen eine Pause erhalte. Um möglichst mit voller Kraft und Konzentration ins Rückspiel gehen zu können. Trapp unumwunden: „Im Halbfinale muss man über nichts anderes reden als das Maximalziel. Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir solche Leistungen abliefern können. Deswegen haben wir uns diese Spiele verdient.“ Deshalb sagt Glasner stellvertretend für alle Adler abschließend: „Wir werden nochmal alles raushausen, um uns den Finaltraum zu erfüllen.“ Eintracht in der Euro-Bubble.