26.06.2022
Eintracht

„Jeder verdient eine faire Chance“

Gelson Fernandes spricht über seine Aufgabe als Fifa-Direktor für Afrika, welche Rolle sein eigener Lebensweg dabei spielt und warum die „Eintracht mein Verein“ ist.

Gelson, schön, dass du dir Zeit für uns nimmst! 2020 hast du bei uns deine Karriere beendet. Wie ist es dir seither ergangen?
Ich habe die Zeit mit der Familie genossen, bei vielen Klubs hospitiert und Reisen um die ganze Welt unternommen, um zu sehen, wie der Fußball funktioniert. Am 1. Juli 2021 habe ich den Job als Vizepräsident meines Heimatvereins FC Sion angetreten, dort unglaublich viel gelernt und etwas bewegen können.

Am 1. August trittst du deinen Posten als Fifa-Direktor für die Mitgliedsverbände in Afrika an. Wie kam es dazu?
Seit sich während mehreren Gesprächen diese Möglichkeit ergeben hat, begreife ich die neue Aufgabe für mich als eine Art Challenge. Ich habe lange überlegt, ob es etwas für mich ist, die Verbände von Afrika zu führen, aber dann meinen eigenen Weg betrachtet: Auf den Kapverdischen Inseln geboren, Sohn afrikanischer Eltern, meinen Weg in Europa gegangen, zur Schule gegangen und eine Fußballkarriere eingeschlagen. Es gibt viele Kinder, die sich diese Träume erfüllen können, Mädchen wie Jungs. Ich möchte ihnen helfen und Möglichkeiten eröffnen. Denn jeder verdient eine faire Chance. Das betrachte ich als meine Aufgabe und gewissermaßen als meine Bestimmung. Ich nehme diese Herausforderung gerne an und freue mich wirklich darauf, weil Afrika ein fantastisches Potential besitzt.

Ich habe eine enorme Leidenschaft für den Sport. Er hat mir alles gegeben. Das möchte ich gerade den jungen Menschen zurückgegeben.

Gelson Fernandes

Welche Aufgaben erwarten dich konkret?
Von den 211 Fifa-Mitgliedsverbänden befinden sich 54 in Afrika. Für sie bringe ich mit vielen anderen Kollegen mein Know-how ein. Mir es ganz wichtig, seriös und mit großen Ambitionen zu arbeiten, um den Verbänden zu helfen. Das Anforderungsprofil ist sehr komplex. Grundsätzlich geht es darum, den Fußball über alle Grenzen hinweg und auf vielschichtiger Ebene zu weiterzuentwickeln.

Außenstehenden erschien es vielleicht ungewöhnlich, dass du nach 17 Profijahren keine Pause eingelegt, sondern dich direkt umorientiert hast. Was waren die Hintergründe?
Ich war schon immer ein aktiver Mensch, der immer in Bewegung ist – als Spieler auf dem Platz wie im Privatleben. Es bereitet mir unglaublich viel Spaß, mich Tag für Tag mit dem Fußball auseinanderzusetzen. Denn das ist mein Leben. Ich habe eine enorme Leidenschaft für den Sport. Er hat mir alles gegeben. Das möchte ich gerade den jungen Menschen zurückgegeben.

Gelson Fernandes mit der Eintracht am Flughafen. Der Schweizer mit Wurzeln in den Kapverden gilt im Spieler- wie Privatleben als umtriebig.

Die Frankfurter Rundschau hat dich einmal aufgrund deiner Sprachbegabung und Führungsstärke als „Außenminister“ der Mannschaft bezeichnet. Inwiefern verlangt dein neuer Job vergleichbare Eigenschaften?
(Lacht) Für mich war es schon immer wichtig, zu helfen, ganz gleich auf welcher Ebene. Meine Mitmenschen zu unterstützen, erfüllt mich mit Freude. Von daher habe ich auf dem Platz genauso gehandelt wie ich es im Leben tue.

Gelson Fernandes empfindet für seine Zeit in Frankfurt große Dankbarkeit.

Du warst für zehn Klubs aktiv, hast dich auf der einen Seite in Verona mit rassistischen Anfeindungen auseinandersetzen müssen und auf der anderen Seite in Frankfurt ein von Vielfalt und Toleranz geprägtes Umfeld kennengelernt. Welche Schlüsse ziehst du aus solchen Erfahrungen privat und beruflich?
Es geht immer um Anpassung. Das habe ich von klein auf gelernt. Mein Vater ist nach Europa gegangen, als meine Mutter mit mir schwanger war. Zwei Jahre später ist sie hinterher gezogen. Ich bin dann bei meiner Großmutter aufgewachsen. Solche Erfahrungen bewegen etwas in einem. Als ich später in Europa dem Profifußball nachgegangen bin, hatte ich fast überall Spaß an der Sache. Besonders in Frankfurt, weil ich wusste, dass es meine letzten Jahre sein werden. Es ist kein Zufall, dass hier viele Spieler ihr Glück gefunden und ihre Karriere beendet haben: Abraham, Russ, Meier, jetzt Hinti und irgendwann Hase sind die aktuellsten Beispiele. Ganz ehrlich: Ich bin mit meinem Leben und meiner Karriere sehr glücklich und es war mir eine Ehre, bei der Eintracht aufhören zu dürfen. Das nehme ich mit und gehe meine nächste Aufgabe mit voller Power an.

Du hast bereits zu Spielerzeiten ein Fernstudium in Sportmanagement begonnen und warst ein Jahr Vizepräsident des FC Sion. Inwieweit hilft dir das für deine neue Funktion?
Ich hoffe, dass das der Fall ist (lacht)! Aber es ist richtig, dass ich mich schon immer dafür interessiert habe, wie ein Verein tickt, wie Marketing funktioniert, wie sich sportliche Entwicklungen vorantreiben lassen oder sich in der Kabine eine Mentalität etablieren lässt. Ich bin einfach ein extrem neugieriger Typ.

Ich bin unglaublich stolz auf den ganzen Klub: Alle Leute, Mitarbeiter, den Vorstand, das Trainerteam; sie alle haben etwas Unglaubliches vollbracht. Das ist Eintracht.

Gelson Fernandes

Kommen wir abschließend auf die Eintracht zu sprechen. Vor dem Rückspiel in Barcelona hast du im kicker prognostiziert: „Barca ist machbar“. Hättest du aber mit diesem Ausgang der Saison gerechnet?
Ja! Aus dem einfachen Grund, weil ich mir über die Eintracht in K.-o.-Spielen niemals Sorgen machen würde. Mit unserer Energie, die in jedem Winkel steckt, und unseren Fans im Rücken kann man jeden schlagen. Das Halbfinale war nicht einfach und das Endspiel gegen einen Traditionsklub wie die Rangers auch nicht. Aber dieser Verein tickt anders, ist ganz speziell. Ich habe das 2019 noch selbst erleben dürfen, als wir gegen Chelsea schon fast im Finale standen. Endlich haben wir’s geschafft – wohlgemerkt verdient, ohne eine Niederlage! Barca wusste nicht, was sie in Frankfurt erwartet. Da brennt der Baum. Was im Camp Nou ablief, damit hätten sie auch nicht gerechnet. Ich bin unglaublich stolz auf den ganzen Klub: Alle Leute, Mitarbeiter, den Vorstand, das Trainerteam; sie alle haben etwas Unglaubliches vollbracht. Das ist Eintracht.

Lehrling und Meister: Djibril Sow (l.) und Gelson Fernandes haben 2019/20 noch gemeinsam das Frankfurter Mittelfeld beackert.

Du hast noch ein Jahr gemeinsam mit Djibril Sow auf der Sechs gespielt. Wie bewertest du die Entwicklung deines Landsmanns?
Djibi hat sich toll entwickelt. Am Anfang hatte er Probleme, seine Persönlichkeit war noch nicht ausgereift und seine Körpersprache nicht in Ordnung. Viel laufen konnte er schon immer und dass er ein guter Fußballer ist, wusste jeder. Aber er war zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung für die Eintracht ein großer Transfer und hatte Druck. Dass der Junge Mentalität besitzt, sieht jetzt jeder. Er kann arbeiten, ist seriös und weiß, wo er hinwill. Außerdem ist er beim genau richtigen Verein. Er weiß genau, wie ich denke, wir haben oft gesprochen. Er war wie ein kleiner Bruder für mich. Ich habe ihn nie als Konkurrenten, sondern als meinen Nachfolger gesehen, den ich aufbauen wollte, damit er weiß, was es heißt, für Eintracht Frankfurt zu spielen. Dass er ein solch super Jahr hinter sich hat, macht mich stolz.

Kannst du dir in Zukunft eine Rückkehr zur Eintracht in offizieller Funktion vorstellen?
Keine Frage, die Eintracht ist mein Verein. Ich liebe diesen Klub, die Menschen hier. Genauso wie übrigens auch meine Frau. Spielen kann ich leider nicht mehr (schmunzelt). Im Fußball weiß man nie, doch jetzt widme ich mich meiner Aufgabe bei der Fifa. Ich muss nächste Saison unbedingt wieder vorbeikommen, im vergangenen Jahr ging es aufgrund der Spiele mit Sion nicht. Das tut mir weh. Aber zur Champions League werde ich kommen. Hoffentlich lässt mir Maureen [Rodrigues, Assistentin der sportlichen Leitung; Anm. d. Red.] ein Ticket übrig (lacht).