31.10.2018
Bundesliga

Kleine Schicksalsgemeinschaft – Gegnercheck Stuttgart

Nach einer sorgenfreien Aufstiegssaison gingen die Blicke beim VfB Stuttgart perspektivisch eher nach oben. Doch die Realität sieht anders aus.

Situation

Das aktuelle Bild des VfB gleicht einer vorgezogenen Blaupause des vergangenen Jahres. Nach einer längeren Durststrecke übernahm Ende Januar Tayfun Korkut für Hannes Wolf die Geschicke beim damaligen Aufsteiger und führte ihn über Platz sieben fast nach Europa. Dass es mit dem Durchmarsch in die UEFA Europa League am Ende doch nichts wurde, hatte bekanntermaßen mit dem Überraschungs-Pokalsieger 2018 zu tun.

Was die baden-württembergischen Landeshauptstädter, allen voran Sportvorstand Michael Reschke, nicht davon abhielt, für die Folgesaison die eigenen Ambitionen nach oben anzupassen und passend dazu ligaweit begehrte Akteure wie Gonzalo Castro, Daniel Didavi oder den einstigen Jungadler Marc-Oliver Kempf an Land zu ziehen. Hinzu stießen internationale Toptalente wie Nicolas Gonzales, Pablo Maffeo und Borna Sosa, die neben arrivierten Kräften wie den etablierten Eigengewächsen Holger Badstuber, Timo Baumgartl, Christian Gentner und Mario Gomez oder den Weltmeistern Benjamin Pavard und Ron-Robert Zieler reifen und gemeinsam mit dem Verein die nächste Entwicklungsstufe nehmen sollten.

Formkurve

Doch den paradiesischen Aussichten und festen Absichten folgte eine nun zehn Pflichtspiele andauernde Abwärtsspirale, die beim Pokalaus in Rostock ihren Anfang nahm und den Deutschen Meister von 2007 ans Tabellenende der Bundesliga spülte. Randnotiz: Da beide Gegner als einzige Bundesligisten in der ersten Runde ausgeschieden waren und damit für das Freitagabendspiel prädestiniert sind, bilden sie neben dem genannten Fernduell um Europa sogar im doppelten Sinne gewissermaßen eine Schicksalsgemeinschaft.

Daran konnte auch der seit knapp einem Monat an der Seitenlinie stehende Markus Weinzierl noch nicht viel ändern, wobei das Einstandsprogramm für den neuen Cheftrainer alles andere als dankbar war. Mit Borussia Dortmund und der TSG Hoffenheim warteten gleich zwei UEFA Champions League-Teilnehmer, jeweils setzte es ein 0:4.

Die Gründe für den momentanen Sturzflug sind äußerst vielschichtig, am offensichtlichsten sind die nackten Zahlen: 21 Gegentreffer sind Ligahöchstwert, sechs eigene Tore werden nur von Schalke unterboten. Während die Schwaben schon in der Vorsaison mit Buden geizten, ist die eigene Anfälligkeit in der Defensive neu. Eine Tordifferenz von minus 15 gab es in der Stuttgarter Historie noch nie. Noch in der Vorsaison hatte der VfB die zweitstärkste Defensive besessen. Generell haben viele Führungsfiguren mehr mit sich selbst zu tun, was weder den neuen noch den jungen Spielern die sportliche Integration erleichtert.

Trainer

Zu beiden Kategorien darf sich auf operativer Ebene auch Markus Weinzierl zählen. Der Fußballlehrer aus Niederbayern zählt mit 43 Jahren immer noch zur jüngeren Trainergeneration. An Berufserfahrung mangelt es dem ehemaligen Zweitligaprofi dennoch mitnichten. Schritt für Schritt kletterte Weinzierl nach dem verletzungsbedingten Ende seiner Spielerlaufbahn 2005 die Ligaleiter empor, als er bei Jahn Regensburg 2006 das Trikot gegen den Trainerkittel eintauschte, 2008 vom Assistenz- zum Cheftrainer aufrückte, 2012 den Aufstieg in die Zweite Liga bewerkstelligte und diese persönlich übersprang, indem er beim FC Augsburg anheuerte, den er 2016 gen Schalke verließ. In Gelsenkirchen war nach einem Jahr Schluss, nun ist Weinzierl zurück auf der Bundesligabühne.

Taktiktafel

Neuer Trainer, neuer Stil? Das lässt sich nach erst zwei Partien nicht abschließend beurteilen, zumal Stuttgart jeweils als klarer Außenseiter in die Begegnungen gegangen war. Galt lange das typisch Korkut’sche 4-4-2 als Dogma, sah sich Weinzierls Vorgänger ab einem gewissen Punkt zu systematischen Änderungen veranlasst, wich aber zumindest von der Viererabwehrkette selten ab. Diese Anordnung behielt Weinzierl nach seinem Amtsantritt genau eine Halbzeit lang bei, ehe er gegen Dortmund nach der Pause auf eine Fünferkette umstellte und diese auch bei Hoffenheim anwenden wollte. Allerdings erübrigt sich eine grundsätzliche taktische Einschätzung, da der VfB in Sinsheim nach sieben Minuten in Unterzahl geraten war.

Spieler im Fokus: Santiago Ascacibar

Unabhängig von Trainer und Anordnung standen beim Schlusslicht bislang drei Akteure ununterbrochen auf dem Rasen: Neben den Weltmeistern der vergangenen vier Jahre, Torwart Zieler und Abwehrkraft Pavard, auch Santiago Ascacibar. Offen, ob dem Argentinier derlei Weihen in Zukunft ebenso vergönnt sein werden, einen kleinen Schritt in diese Richtung hat der defensive Mittelfeldspieler mit seinem ersten Länderspiel für Maradonas Erben Anfang September in Los Angeles gegen Guatemala (3:0) zumindest gemacht. Im Oktober folgte ein weiterer 45-Minuten-Einsatz gegen den Irak (4:0).

Ansonsten ist das 168 Zentimeter kleine Energiebündel die komplette Distanz gewohnt, so auch bei den Olympischen Spielen im August 2016, als er beim Gruppenaus nicht aus der ersten Elf wegzudenken war. Groß geworden bei seinem Heimatverein Estudiantes de La Plata machte er spätestens in seiner ersten Profisaison die internationalen Späher auf sich aufmerksam, 2017 erhielt Stuttgart den Zuschlag.