Niko, steigen wir direkt ins Bundesligageschehen ein: Zwei der Klubs, bei denen du Trainer warst, treffen am Sonntag aufeinander – die Eintracht empfängt als Dritter den Siebten Wolfsburg. Was erwartest du für eine Partie?
Es wird ein intensives Spiel, beide Mannschaften spielen einfach intensiven Fußball und sind gut im Umschaltspiel. Ich erwarte ein spannendes Match. Wolfsburg macht in dieser Saison einen guten Job, die Eintracht macht es außerordentlich gut – für mich ist es ein Spitzenspiel.
37 Punkte, 44 Tore nach 19 Spielen – die Eintracht hat sich aktuell unter den Top Vier eingenistet. Wie lautet dein Zwischenzeugnis für die Eintracht?
Wenn man ein Zwischenzeugnis vergibt, dann ist es die Note eins. Die Eintracht performt richtig gut, vielleicht sogar etwas über ihren Erwartungen. Das Niveau, auf dem sie sich bewegt, seit Dino da ist, ist schon sehr, sehr gut. Eine sensationelle Entwicklung. Es sind nicht nur der Trainer und die Spieler, sondern auch das gesamte Team und Umfeld drum herum – auch die Fans nicht zu vergessen. Alle sind eine Einheit, es macht Spaß zuzuschauen.
Man muss auf dem Gaspedal bleiben.
Niko Kovac über die entscheidenden Monate einer Saison
Ein großes Ziel der SGE ist seit Jahren, in der Bundesliga eine konstantere Rückrunde zu spielen. Aus eigener Erfahrung: Worin liegt hier die Herausforderung?
Es geht darum, einen langen Atem zu haben, wenn es in den März hineingeht. Denn dann sieht man immer wieder, dass die Topteams noch einmal anziehen können, um ihre Ziele zu verwirklichen. Andere kommen ins Wanken, ihnen gelingt das nicht. Man muss auf dem Gaspedal bleiben. In den letzten zwei Monaten geht es um alles, dann muss man da sein.
Mit Blick auf den kommenden Gegner, bei dem noch einige Spieler mit dabei sind, die du aus deiner Zeit in Wolfsburg bestens kennst: Auf was muss sich die Eintracht gegen die Wölfe einstellen?
Der VfL hat sich etwas verändert. Mit Mohamed Amoura konnte er einen sehr schnellen und gefährlichen Stürmer verpflichten, der mit seiner Geschwindigkeit und Geradlinigkeit jedem Gegner Probleme bereiten kann. Die Mannschaft allgemein ist eine kompakte Einheit, die sehr gut verteidigt. Sie hat zwar nicht den höchsten Anteil an Ballbesitz, bekommt aber immer wieder ihre Möglichkeiten. Vorne ist sie sehr variabel, neben Amoura hat sie Jonas Wind, Tiago Tómas oder Lukas Nmecha. Es wird für die Eintracht keine einfache Aufgabe. Ich erwarte ein Spiel, das bis zum Schluss offen sein wird.
Hinweis
Das Interview mit Niko Kovac wurde vor dem 30. Januar, sprich vor der Bekanntgabe seines Engagements als Cheftrainer bei Borussia Dortmund, geführt.
Elye Wahi trägt ab sofort den Adler auf der Brust. Als Trainer in Monaco standest du ihm das eine oder andere Mal gegenüber, Wahi spielte damals noch für Montpellier. Was kannst du über ihn sagen?
Damals war er noch ein sehr junger Spieler, er ist sehr talentiert. Was Fähigkeiten und Zukunftsperspektiven angeht, war er in seinem Jahrgang sehr weit vorne gelistet. Schnelligkeit, gute Tiefenläufe, technisch sehr versiert – allgemein sind die französischen Spieler technisch sehr gut ausgebildet. Nach Omar Marmoushs Abgang ist das eine sehr gute Verpflichtung und ich bin davon überzeugt, dass er der Eintracht helfen wird. Klar ist, dass jeder etwas Anlaufzeit benötigt, zumal die Ligue 1 hinsichtlich Physis hinter der Bundesliga einzuordnen ist. Das hat man bei Hugo Ekitiké gesehen. Bei ihm hat es Dino mit seinem Team super gemacht, und sie werden es auch bei Wahi super machen.
Du hast Hugo Ekitiké angesprochen, den du auch schon als Trainer der gegnerischen Mannschaft erlebt hast. Wie bewertest du seine Entwicklung und wie siehst du das mögliche künftige Sturmduo Wahi/Ekitiké?
Als wir damals mit Monaco gegen Stade de Reims gespielt haben, war er 18 Jahre jung und man konnte schon sehen, dass er sehr schnell und geradlinig ist und ein klasse Spieler werden wird. Dass er diese Entwicklung nehmen würde, war zu erwarten, auch wenn die Zeit in Paris diesen Prozess etwas gebremst hat. Wenn man als junger Spieler keine Minuten bekommt, ist es schwierig, sich zu entwickeln. Der Schritt in die Bundesliga war genau der richtige. Ich hatte damals zu meiner Zeit in Wolfsburg auch mit ihm gesprochen. Ich bin mir sicher, dass die beiden – so wie wie Heki und Omar – ein sehr gutes Duo bilden werden.
Machen wir das Stürmertrio komplett: Ein paar Worte zu deinem Landsmann Igor Matanovic?
Der Schritt aus der zweiten in die erste Liga ist groß, das muss man berücksichtigen. Er hat eine gute Entwicklung genommen. Klar, er spielt aktuell nicht so häufig, wie er sich das wünscht, man muss aber ehrlich sagen: Die beiden anderen da vorne [Ekitiké/Marmoush; Anm. d. Red.] haben es ja auch klasse gemacht. Es bestand keine Notwendigkeit, etwas groß zu verändern. Für ihn persönlich ist es nicht schön, wenn er nicht spielt. Im Großen und Ganzen geht es aber ums Team – das ist wichtig. Er ist inzwischen Nationalspieler geworden und hat dort bewiesen, dass er einen Impact geben kann. Es wird Zeit brauchen, aber ich bin bei ihm sehr zuversichtlich.
Du hast im April 2023 einen gewissen Omar Marmoush zur zweiten Halbzeit ein- und nach nicht mal 20 Minuten wieder ausgewechselt, weil du mit dem Defensivverhalten nicht zufrieden warst. Keine 15 Monate später, kaum zu glauben …
Das sind Entwicklungsprozesse, die man im Laufe seines Lebens durchlaufen muss. Ich glaube, es war nicht das erste Mal, dass ihm das als junger Spieler passiert ist. Omar ist ein toller Fußballer und ein echt toller Mensch, wir hatten und haben ein supergutes Verhältnis. Wir haben uns damals nach dem Spiel direkt ausgesprochen, ich habe ihm die Situation erklärt. Für das Feedback war er sehr dankbar. Auch als Trainer ist das keine angenehme Situation, in die ich nicht noch einmal kommen möchte. Aber es war in diesem Spiel eine Art erzieherische Maßnahme – ich bin mir sicher, dass sie ihren Zweck erfüllt hat. Ich habe ihm immer gesagt, dass er mal ein toller Spieler wird, wenn er an seinen Stärken arbeitet. Die Entwicklung, die er in Frankfurt genommen hat, ist hervorragend. Ich freue mich sehr für den Jungen, weil er ein toller Mensch ist.
Daran anknüpfend: Der kicker schrieb mal von der Eintracht als einem „Biotop für Stürmer“. Was ist dran?
Da ist was dran. Die Stürmer schießen die Tore. Als wir uns 2016 nach dem Klassenerhalt dahingehend verändert haben, hatten wir auch Glück – mit Ante Rebic, mit Sébastien Haller und mit Luka Jovic. Glück ist das eine, man muss aber auch fleißig sein und arbeiten. Genau das haben die Jungs getan und sich durch ihre Leistungen für andere Klubs empfohlen, wodurch sie die Eintracht als komplettes Gebilde auf ein anderes Niveau gehoben haben. Sei es Sportvorstand, Sportdirektor oder Trainer: Das Auge der Verantwortlichen sowie deren Zusammenarbeit war damals gut und ist es auch weiterhin. Man sieht, wie wichtig zum einen gutes Scouting ist, zum anderen aber auch, den Jungs die notwendige Zeit zu geben. Ob Rebic, Haller, Jovic, Kolo Muani, Marmoush oder Ekitiké: Man muss gerade ausländischen Spielern Zeit geben, Deutschland ist etwas anderes als ihre Heimat. Das macht die Eintracht gut – sie ist im Herzen von Europa und steht dafür.
Was bei der Eintracht in den vergangenen Jahren entstanden ist, ist das Produkt aller.
Niko Kovac
Zu deiner Zeit in Frankfurt kam die defensive Dreierkette wieder in Mode, auch anno 2025 ist diese präsent – nicht nur hier. Welche Vorteile siehst du darin?
Mit seinen zwei Spitzen bevorzugt Dino schon eher eine Viererkette, ab und an muss man den Gegner aber auch spiegeln, um in der letzten Reihe keinen Nachteil zu haben. Mit einer Dreierkette hat man im Spielaufbau einen Vorteil. Gegen den Ball hat man indes einen Mann mehr in der Linie. Wenn man mit vier Mann die gesamte Breite abdeckt, entstehen Zwischenräume; wenn man aber noch einen fünften Spieler gegen den Ball dazwischen stellen kann, ist es für den Gegner entsprechend schwieriger zu bespielen. Ich erinnere mich, dass wir damals beim HSV unter Frank Pagelsdorf auch mal Dreierkette gespielt haben [Niko Kovac spielte von 1999 bis 2001 für den Hamburger SV; Anm. d. Red.]. Julian Nagelsmann und ich waren später die Vorreiter, die das wieder eingeführt haben. Bei uns war es mit Blick auf das Personal auch etwas aus der Not geboren, wir haben aus der Not eine Tugend gemacht. Es ist schön, dass es in der Folge bei Adi Hütter, Oli Glasner und nun auch teilweise bei Dino fortbesteht.
Im Frühjahr 2016 kam die Rettung sprichwörtlich in letzter Minute, in der Folge begann eine Reise teils in Hochgeschwindigkeit. 2018 holst du mit dem Klub den DFB-Pokal, vier Jahre später folgt der Europacup, zum vierten Mal in Serie spielt die Eintracht international: Dein Blick auf diese Entwicklung?
Man sieht, wie wichtig es ist, eine Vision sowie die richtigen Leute auf den richtigen Positionen zu haben. Die Entscheidungen, die damals getroffen wurden, waren für Axel Hellmann, Bruno Hübner, Heribert Bruchhagen, Oliver Frankenbach und auch den Aufsichtsrat mit Wolfgang Steubing sicherlich nicht einfach. Man muss aber Vertrauen haben. Und es geht darum, fleißig zu sein – mehr machen als nötig und mehr machen als die anderen. Dann kommt unterm Strich auch mehr heraus. Ich glaube nicht daran, dass man mit wenig viel erreichen kann. Das, was bei der Eintracht in den vergangenen Jahren entstanden ist, ist das Produkt aller: der Verantwortlichen, der Trainer, der Spieler und – ganz wichtig – der Fans. Wenn die Fans die Jungs nicht nach vorne gepeitscht hätten, wäre das alles nicht möglich gewesen. Mit Nachhaltigkeit und Akribie kann man einiges erreichen. Und, ganz wichtig im Fußballgeschäft, mit Ruhe. Mit Ruhe, Gelassenheit, Sachverstand, analytischem Vorgehen und nicht zu sehr von Emotionen leiten lassen. Das ist gerade bei Traditionsklubs ein sehr wichtiger Faktor.
Beim Heimspiel gegen Mainz kurz vor Weihnachten warst du im Deutsche Bank Park. Sicherlich hast du den gesamten Fußballkosmos stets im Blick, aber mal Hand aufs Herz: Locken dich Spiele der Eintracht regelmäßig vor den Bildschirm oder auch mal ins Stadion?
Natürlich! Da muss ich mich nicht verstecken: Ich bin und bleibe ein Adler, ich bin Vereinsmitglied auf Lebenszeit. Was ich mit der Eintracht erlebt habe und erleben durfte – mit allen Höhen und Tiefen, auch wenn es so viele Tiefen gar nicht gab – ist schön und bleibt in Erinnerung. Ich komme immer wieder gerne nach Frankfurt. Es hat immer gestimmt, ob in der Stadt oder im Stadion. Egal, wen man trifft, es ist immer sehr herzlich und ich fühle mich zu Hause.