Situation
Denn umgekehrt bringt die Wirkungsstätte im beschaulichen Breisgau auch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil mit sich: Vergleichsweise große Ruhe und die Konzentration aufs Wesentliche. So verfällt auch in sportlich brenzligen Phasen keiner der Verantwortlichen in Hektik, von Trainerdiskussionen ganz zu schweigen. Marcus Sorg, der Vorgänger von Christian Streich, blieb bis heute der einzige Trainer, der nicht auf eigenen Wunsch ging.
Der langjährige Freiburger Nachwuchstrainer Streich selbst steht sinnbildlich für das badische Biotop, in dem sich neben zahlreichen Eigengewächsen wie Linksverteidiger Christian Günter, der aktuell verletzte Sechser Nicolas Höfler, Rechtsverteidiger Lukas Kübler oder Torhüter Alexander Schwolow auch Zugänge aus der Nachbarschaft wie Mittelfeldmann Jerome Gondorf (Karlsruhe), Rückkehrer Vincenzo Grifo (Hoffenheim), Innenverteidiger Manuel Gulde (Hoffenheim, Karlsruhe), Allrounder Janik Haberer (Hoffenheim), Stürmer Lucas Höler (Sandhausen) und Angreifer Marco Terrazzino (Hoffenheim, Karlsruhe) tummeln. Dazu gesellen sich gestandene Bundesligagrößen wie Antreiber Mike Frantz, Nationalstürmer Nils Petersen, Topscorer Luca Waldschmidt oder Innenverteidiger Dominique Heintz. Fast bezeichnend, dass der Sport-Club in der Hinrunde mit vier Ausländern die wenigsten aller Bundesligisten einsetzte.
Was gleichwohl nicht mit einer Komfortzone gleichzusetzen ist. Streich & Co. wissen, dass sie individuell mit wenigen Ausnahmen nicht zur nationalen Spitze zählen und verlangen hinsichtlich Einsatzbereitschaft und taktischer Disziplin nicht weniger als das Maximum. Über allem steht immer der Klassenerhalt.
Formkurve
Der angestrebten Stabilität tat auch der holprige Start mit einem Punkt aus drei Spielen keinen Abbruch. Dass der Coach während der beiden Auftaktniederlagen (darunter das 0:2 gegen die Eintracht) mit einem Bandscheibenvorfall fehlte, tat sein Übriges. Doch mit der Rückkehr Streichs ging es in kleinen Schritten bergauf, der Sport-Club gewann öfter als er verlor und steht mit zehn Punkten Vorsprung auf die Abstiegszone auf Platz elf.
Trainer
Wer Christian Streich an Spieltagen an der Seitenlinie beobachtet, hat den Eindruck von einem übermotivierten Frischling, der es allen am Anfang ganz besonders beweisen will. Doch weit gefehlt. Streich ist mit knapp sieben Jahren Amtszeit der dienstälteste aktuelle Bundesligatrainer, ligahistorisch liegt er mittlerweile an zehnter Stelle. Der 53-jährige Irrwisch kann einfach nicht anders, als seinem Job mit jeder Faser seines Körpers nachzugehen. Und viel wichtiger: Mit jedem Winkel seines Verstands. Der langjährige Nachwuchstrainer des Sport-Clubs hat, seit er die Breisgauer 2012 souverän vor dem Abstieg bewahrte, zumeist nicht weniger als das absolute Maximum herausgeholt – von UEFA Europa League 2013 über Abstieg 2015 sowie Wiederaufstieg 2016 und darauffolgend erneutem Europapokal 2017 viele Höhen und Tiefen moderiert.
Dabei war dem Pädagogen, der Germanistik, Geschichte und Sport auf Lehramt studierte, der Schritt auf dem Chefsessel zunächst auch aus Loyalitätsgründen nicht geheuer, als der damalige Assistenztrainer Ende 2012 die Nachfolge Sorgs antreten sollte. Seit der geglückten Rettung ist Streich der Öffentlichkeit nicht nur als fußballverrückter Fachmann und Heißsporn ein Begriff, sondern auch als gesellschaftskritischer Geist mit klarer Kante.
Taktiktafel
Dieselbe fordert der Mann des Jahres 2017 (Kicker) auch auf dem Rasen auch von seinen Schützlingen, die er wie nur wenige versteht zu entwickeln, nicht selten auch jene aus dem eigenen Unterbau, in dem er 16 Jahre lang tätig war und unter anderem die 2008 Deutsche A-Jugend-Meisterschaft und dreimal den DFB-Pokal der Junioren gewann. Dafür akzeptiert er auch individuelle Fehler, fordert aber grundsätzlich Eigeninitiative und den klar erkennbaren Ansatz, spielerisch zum Erfolg zu kommen. Auch wenn dieses Vorhaben gegen deutlich stärker eingeschätzte Kontrahenten zuweilen an Grenzen stößt und die überwiegend im 4-4-2, das sich mitunter als variables 5-2-3 gestaltet, formierten Breisgauer gezwungenermaßen etwas tiefer stehen und auf Konter lauern.
In der einen wie der anderen Herangehensweise suchen sie an der Dreisam ihr Heil über die Flügel, wo sich allerdings in der Hinrunde noch keine feste Zange etabliert hat. Insgesamt sieben Akteure versuchten sich auf den offensiven Außenbahnen. Im eigenen Spielaufbau formieren sich mindestens die vorderen Vier gerne auf einer Höhe, um auf den entscheidenden Lauf hinter die letzte Abwehrlinie zu spekulieren. Nicht zuletzt besitzen Standardsituationen einen hohen Stellenwert. So fielen acht der 21 Saisontore nach Standards. Das sind 38 Prozent und ligaweiter Topanteil.
Spieler im Fokus: Vincenzo Grifo
Abhilfe auf den Außenbahnen soll der für die Rückrunde von der TSG Hoffenheim ausgeliehene Vincezo Grifo schaffen. Der 25-Jährige kam zuletzt bei Borussia Mönchengladbach (2017/18) und der TSG Hoffenheim (2018) zu überschaubaren Einsatzzeiten und hofft, im Breisgau zu alter Stärke zurückzufinden. Schließlich hat der technisch beschlagene Außenstürmer seine Qualitäten auf höchstem Niveau in Freiburg auch erstmals nachhaltig zur Geltung bringen können, als er den Sport-Club 2015/16 mit je 14 Toren und Vorlagen in die Bundesliga schoss und in der Folgesaison im Oberhaus auf sechs Treffer und 13 Assists kam.
Erfolgreicher lief es für den Standardspezialisten zuletzt auf internationalem Parkett: Am 20. November feierte der in Pforzheim geborene Sohn italienischer Eltern gegen die USA sein Debüt für die Squadra Azzurra.