21.06.2025
Historie

Mit Sonnenstich und Charlys Kunstschuss

Von der Hitze- zur Wasserschlacht: Am 21. Juni vor 50 Jahren holt die Eintracht den DFB-Pokal. Siegtorschütze Karl-Heinz Körbel und Vorvorbereiter Peter Reichel erinnern sich.

Im Niedersachsenstadion ist es an diesem 21. Juni 1975 rund 35 Grad heiß, als gegen 16.45 Uhr vor 43.000 Zuschauer, darunter etwa ein Drittel aus Frankfurt, zur Halbzeit gepfiffen wird. In einer zähen Begegnung sind noch keine Tore gefallen, die Eintracht hatte gegen den defensiv ausgerichteten MSV Duisburg im DFB-Pokalfinale trotz einiger Chancen noch kein Mittel gefunden. In der Kabine schnappt sich Dietrich Weise, der Trainer, seinen Vorstopper Karl-Heinz Körbel, es kommt zur alles entscheidenden Ansage.

„Ein Team voller Legenden“

Körbel ist damals 20 Jahre alt, es ist seine dritte Saison als Stammspieler bei der Eintracht. „Ich war der Lehrling. Das Fundament unserer Mannschaft waren Grabi, Holz und Nickel“, erzählt der heutige Bundesligarekordspieler anerkennend über das Dreigestirn, das die Eintracht zu Beginn der 1970er Jahre in den Dunstkreis der deutschen Spitzenteams geschossen hatte. Die Saison 1974/75 hatten die Adlerträger auf Rang drei beendet. Oberbürgermeister Mike Josef sagte kürzlich über diese Mannschaft: „Ein Team voller Legenden, das die Herzen der Fans eroberte. Leidenschaft, Teamgeist und der unbändige Wille dieser Mannschaft hallen heute noch nach.“

Karl-Heinz, heute läuft nichts. Sie müssen es richten.

Ansage von Dietrich Weise zur Halbzeitpause

Unterdessen wird Weise rückblickend von Körbel als „Pokalfuchs“ bezeichnet. Schon mit dem 1. FC Kaiserslautern hatte der gebürtige Sachsen-Anhälter das Endspiel erreicht, mit der Eintracht holte er den Cup bereits ein Jahr zuvor. „Schon damals mit einem taktischen Kniff, als er Gert Trinklein nach vorne beordert und dieser das 1:0 erzielt hatte“, berichtet Körbel über das Finale von 1974 gegen den HSV (3:1 n.V.).

Blitz und Donner als Weckruf

Weise gibt Körbel in der Pause eine ähnliche Anweisung. „Karl-Heinz, heute läuft nichts. Sie müssen es richten“, habe der Trainer gesagt, berichtet Körbel und verweist darauf, dass sein nomineller Gegenspieler Worm mit der Sonderbewachung für Jürgen Grabowski beschäftigt ist. „Ich habe dann mit meinen Möglichkeiten versucht, Überzahl zu erzielen“. Ganze 14 Minuten dauert es, bis es fruchtet. Gewitter und Dauerregen hatten den Platz zu einer Sumpflandschaft und die Hitze- zu einer Wasserschlacht werden lassen. Blitz und Donner als Weckruf für die Adlerträger.

Als der große Regen von Hannover vorüber ist, stehen auch die Fotografen im Wasser.

Es läuft die 59. Minute, als das Leder nach einem Eckball und Hölzenbeins abgewehrtem Versuch direkt vor Körbel landet. „Ich habe den Ball voll getroffen und das 1:0 erzielt. Mit links, mit dem Fuß konnte ich eigentlich gar nichts“, frohlockt Körbel und meint auch: „Der Regen war unsere Rettung“. Duisburgs Torwart Dietmar Linders war zuvor ausgerutscht, der Ball zudem einem Verteidiger unglücklich ans Knie gesprungen. „Beim Schuss hat alles gepasst, den treffe ich nur in einem von zehn Versuchen so.“ Körbels magischer Moment ist das Tor des Tages in Hannover.

Er war seiner Zeit weit voraus (…) und hat uns perfekt, auch körperlich und durch Trainingssteuerung, auf das Finale eingestellt.

Peter Reichel über Dietrich Weise

Indirekt eingeleitet hat diesen Treffer Peter Reichel, der die vorausgegangene Ecke rausgeholt hatte. Der damals 23-jährige gebürtige Gießener ist seit 1970 Adlerträger, kommt in jener Pokalsiegersaison auf wettbewerbsübergreifend 36 Pflichtspieleinsätze. Großen Anteil an der Stärke der Mannschaft sieht er neben dem bereits von Körbel erwähnten Dreigestirn Grabowski-Hölzenbein-Nickel bei Trainer Dietrich Weise. „Er war seiner Zeit weit voraus, hatte schon zwei Co-Trainer, hat Teile der Einheiten in Gruppen durchführen lassen und uns perfekt, auch körperlich und durch Trainingssteuerung, auf das Finale eingestellt“, erzählt Reichel, für den das Jahr 1975 weitere Höhepunkte bereithalten sollte.

Er heiratet eine Woche nach dem Sieg von Hannover und feiert demnach am kommenden Freitag Goldene Hochzeit, ist zu Saisonbeginn 1975/76 trotz einer Mandelentzündung zum Start der Vorbereitung wieder gesetzt, beginnt nach den Sommerferien sein Referendariat an einer Schule im Frankfurter Stadtteil Sossenheim („In Kombination mit dem Profifußball waren das eineinhalb Jahre Stahlbad“) und wird Ende des Jahres durch die Verletzung von Manfred Kaltz Nationalspieler. „Das war für meinen persönlichen Werdegang eine sehr wichtige Zeit“, blickt Reichel zurück. 

Sieben Teams aus NRW geschlagen

Besonders in Erinnerung ist Peter Reichel das, was Jürgen Grabowski zuvor in Bezug auf die zu erwartende Hitzeschlacht gesagt hatte. „Wir sind die einzige Mannschaft, die mit einem Sonnenstich spielen kann“, meinte Grabi damals. Der Siegtreffer fällt zwar nach der durch den Wolkenbruch beendeten großen Hitze, der Favorit behält aber bei jeder Witterungslage die Nerven und setzt sich damit wie in allen sechs Runden zuvor erneut gegen eine Mannschaft aus Nordrhein-Westfalen durch.

In Solingen (2:1 n.V. durch Thomas Rohrbachs Tor in Minute 115) und gegen Rot-Weiß Essen (3:1 n.V.) muss die Eintracht jeweils eine Sonderschicht einlegen, auch alle anderen Partien sind harte Arbeit. Beim damaligen Nord-Zweitligisten Arminia Bielefeld (3:1) trifft Wolfgang Kraus nach dem zwischenzeitlichen 1:1 doppelt, beim Ligarivalen der Arminen 1. FC Mülheim-Sytrum (3:0) ist erst ein Eigentor der Gastgeber (74.) der Dosenöffner. Über Bochum (1:0) und Fortuna Köln (4:2 nach 1:2) geht’s ins Halbfinale gegen Essen, die Rot-Weißen wurden in dieser Saison in der Bundesliga 9:1 und 5:0 besiegt. Essen-Schreck Klaus Beverungen (vier Tore in den vergangenen drei Partien gegen den Ligarivalen) doppelt und Bernd Lorenz in seiner besten Bundesligasaison (zehn Tore bei nur 16 Einsätzen) netzen.

„Einpeitscher“ Rohrbach und Trinklein

Bei der Feier sind laut Körbel „Tommy Rohrbach und Gert Trinklein die Einpeitscher“, Letzterer verpasst am nächsten Morgen sogar den Flieger in die Heimat. Zwischen Körbel und Weise („Er war wie ein zweiter Vater für mich“) kommt es am Abend zuvor zum nächsten Dialog, der den damaligen Youngster prägt. „Als ich mir wie alle anderen eine Zigarre angesteckt habe, kam Dietrich Weise mit bösem Blick auf mich zu und sagte: ‚Nehmen Sie das Ding aus dem Mund‘. Ich habe nie wieder eine Zigarre geraucht.“

„Für alle Zeit“: Die Bronzetafel vor der Haupttribüne des Deutsche Bank Park zu Ehren des DFB-Pokalsiegs 1975.

Reichel prägt diese Erfahrung ebenfalls, wie viele seiner Teamkollegen wird er zum zweiten Mal innerhalb von zehn Monaten DFB-Pokalsieger. „Schade, dass viele Teamkollegen von 1975 das heutige Jubiläum nicht mehr miterleben können“, sagt Reichel. Von den elf eingesetzten Spielern (keine Wechsel) sowie Trainer Weise leben nur noch Beverungen, Körbel, Reichel, der erst im November aus Wuppertal 1974 gekommene Willi Neuberger und der goldene Torschütze aus dem Achtelfinalspiel gegen Bochum, Roland Weidle. In der Startelf standen außerdem Günter Wienhold († 2021), Gert Trinklein († 2017), Bernd Nickel († 2021), Bernd Hölzenbein († 2024), Jürgen Grabowski († 2022) und Bernd Lorenz († 2005).

*Teile des Artikels sind bereits im Mai 2023 erschienen, als wir anlässlich des Einzugs in das DFB-Pokalfinale in einer Serie alle fünf DFB-Pokalsiege Revue passieren ließen. Damals wurde auch die oben verlinkte Doku erstellt.