„Vor kurzem hatte ich noch davon geträumt, wie im Vorjahr in Marseille das erste internationale Tor für die Eintracht zur erzielen. Und dann ist es tatsächlich wahr geworden“, bezog sich ein halb erstaunter, halb erfreuter Lucas Torró nach dem Hinspiel in der zweiten Runde der Qualifikation für die UEFA Europa League auf den Führungstreffer in der 24. Minute bei Flora Tallinn. Es sollte nicht die einzige Gemeinsamkeit zum Vorrundenauftakt 2018/19 bei Olympique Marseille bleiben.In der Hansestadt Tallinn wie der Hafenstadt Marseille stand am Ende ein 2:1-Sieg zu Buche, wenngleich unter verschiedenen Vorzeichen. Während die Hessen seinerzeit beim Vorjahresfinalisten in der Außenseiterrolle waren, galten sie im Lilleküla Stadium als klarer Favorit, wie auch Flora-Trainer Jürgen Henn aufzeigte: „Wir haben es mit einem Topteam zu tun, auch wenn der Leistungsstand im Vorfeld schwer einzuschätzen war.“ Was er meinte: Während es für die Adler mitten in der Vorbereitung auf das Kerngeschäft Bundesliga das erste Pflichtspiel war, hatte der Spitzenreiter der Meistriliiga wettbewerbsübergreifend bereits 23 Partien absolviert und befand sich hinsichtlich Form und Fitness nahezu am Optimum. Angesprochen auf das Leistungsvermögen der eigenen Mannschaft sprach Cheftrainer Adi Hütter von „vielleicht 75 bis 80 Prozent.“ Deshalb war es Sportvorstand Fredi Bobic umso wichtiger, „den Schweinehund überwunden“ zu haben.
Rekord- statt Geisterkulisse
Dagegen taten sich die Frankfurter Jungs bis zum 1:0 durch Torró schwer, Matvei Igonen im Kasten des Gastgebers zu überwinden. „Wir hätten in der ersten Halbzeit den Sack zu machen können“, wusste auch Hütter, ohne damit einen Vorwurf zu vermitteln. Letztlich erschien der erste Saisontreffer nur eine Frage der Zeit, unterschied sich aber in der Entstehung vom Vorjahr. Während am Donnerstagabend Torró zu einem fulminanten Distanzkracher ansetzte, hatte im vergangenen September eine Ecke, derer es in Tallinn immerhin elf an der Zahl gab, die Wende gebracht. Damals geschlagen von Jonathan de Guzman, der sich gestern auf der Bank wiederfand. Ansonsten standen immerhin sieben Akteure in der Startformation, die auch in Frankreich beginnen durften. Neu war etwa Sommertransfer Dominik Kohr, der ein umsichtiges Debüt feierte. „Dominik hatte viele guten Aktionen, hat das Herz am rechten Fleck und wird uns weiterhelfen“, befand Hütter. Der Österreicher hatte den 25-Jährigen nach einer Stunde von der halbrechten Achterposition auf die Doppelsechs neben Torró geschoben, um dem eingewechselten Daichi Kamada auf der Zehn seine Freiheiten zu gewährleisten. Buchstäblich gewinnbringend war aber der zweite Neue: Dejan Joveljic benötigte nach seiner Einwechslung keine sieben Minuten, um zum 2:1-Endstand einzuköpfen. Und ja: in Marseille hatte es ein Joker namens Luka Jovic vorgemacht: Ähnlicher Name, selbe Herkunft. „Dejan braucht nicht viele Chancen, aber noch Zeit“, freute sich Trainer Hütter über den gelungenen Einstand und mahnte gleichzeitig, den 19-Jährigen nicht mit zu großen Erwartungen zu überfrachten.Keine falsche Zurückhaltung kannte der Fußballlehrer, als er auf die schätzungsweise 1.500 mitgereisten Fans zu sprechen kam, zumal der vormalige Start im Stade Vélodrome vor einer Geisterkulisse stattfinden musste, während sich Flora Tallinn einer Rekordkulisse erfreute. „Ich weiß, welchen Aufwand sie betrieben haben, um uns hierher zu folgen. Diese Unterstützung hat in mir schon wieder die Euphorie des Vorjahres geweckt.“ Und das aus dem Munde eines Mannes, der sich grundsätzlich lieber der Zukunft zuwendet.So sprachen alle Beteiligten am Ende davon, sich eine gute Ausgangslage geschaffen zu haben. Für eine sehr gute Grundlage bedarf es allerdings einer konzentrierten Woche im zweiten Trainingslager in Windischgarsten, wohin sich die Adler in diesen Stunden befinden.