16.05.2025
Eintracht

„Spielweise der Eintracht macht Spaß“

Joachim Löw spricht über sein Jahr als Adlerträger, Vorbild Bernd Nickel, das Erfolgsrezept des SC Freiburg, schwärmt von Robin Koch und attestiert seinen Ex-Klubs eine „mutige Herangehensweise“.

Herr Löw, Hand aufs Herz: Was hätten Sie jemandem geantwortet, der Ihnen vor Saisonbeginn erzählt hätte, dass Freiburg, Frankfurt oder sogar beide am letzten Spieltag aus eigener Kraft in die Champions League einziehen können?
Eintracht Frankfurt hätte ich es zugetraut aufgrund der Entwicklung in den vergangenen Jahren und gerade aktuell unter Dino Toppmöller. Der Verein hat auch auf internationaler Ebene nicht nur viel Erfahrung gesammelt, sondern ist immer wieder Spitzenteams aus anderen Ligen auf Augenhöhe begegnet. Die Mannschaft besitzt eine sehr hohe Spielkultur und agiert fußballerisch auf einem sehr hohen Niveau.

Wie schätzen Sie den Dreikampf mit dem BVB ein, wer macht das Rennen?
Borussia Dortmund war in dieser Saison nicht so konstant unterwegs. Aber nachdem Frankfurt gegen St. Pauli und eine Woche vorher Freiburg erst in der Nachspielzeit gegen Leverkusen gefühlt zwei Punkte verloren haben, glaube ich, dass der BVB die Gunst der Stunde nutzt, gegen Kiel gewinnen wird, um die Saison in diesem einen entscheidenden Spiel vernünftig zu Ende zu bringen nach den schwierigen Vormonaten. Sie haben neben der eigenen Qualität auch den Heimvorteil auf ihrer Seite und profitieren vom direkten Duell der Konkurrenz. Auch wenn Frankfurt ein Punkt reichen würde, wird Toppmöller die Mannschaft sicher mit der Intention ins Spiel schicken, gewinnen zu wollen. Die Trainer beider Seiten sind bekannt für ihre mutige Herangehensweise und dafür, ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen. Ich erwarte nicht, dass sich das am letzten Spieltag grundlegend anders darstellen wird.

Dino Toppmöller hat die Mannschaft spielerisch auf das nächste Level gehoben.

Joachim Löw

Sie haben die Trainer angesprochen. Beim Sport-Club schickt sich Julian Schuster an, seinen Vorgänger Christian Streich im ersten Jahr tabellarisch direkt zu toppen. Was sagt das über die Person und die Klubstrukturen aus?
Christian Streich hat den Verein allein als Cheftrainer zwölf Jahre geprägt. Deshalb war vielleicht nicht unbedingt damit zu rechnen, dass Freiburg eine solch bedeutende Rolle spielen würde. Auf der anderen Seite steht der Klub seit jeher für sehr gute Jugendarbeit, Seriosität, einen langen Atem, eine einheitliche Philosophie und nicht zuletzt Ruhe im Umfeld. Julian Schuster ist zwar ein Neuling in der Rolle als Bundesligatrainer, hatte aber als Spieler und in den Jahren nach dem Karriereende einen hervorragenden Einblick in die Prozesse, kennt viele Spieler und weiß, worauf es hier ankommt. Dazu zählt eine ganz klare Rollenverteilung vom Management über das Scouting bis hin zum Trainer. Die Kompetenzen sind klar verteilt, es gibt keine Überschreitungen. Das gewährleistet diese unglaubliche Stabilität. Außerdem besitzen die handelnden Personen einen ausgeprägten Realitätssinn. Niemand wird unruhig oder stellt gar den Trainer infrage, wenn mal die Ergebnisse ausbleiben. Wenn es umgekehrt so läuft wie in diesem Jahr, bleiben alle auf den Teppich. Diese Prinzipien und Werte heben den Sport-Club von manch anderen Vereinen ab.

Was sind konkret die sportlichen Faktoren für die aktuelle Stärke?
Die Mannschaft hat sich in den vergangenen drei, vier Jahren erst unter Christian Streich und nun unter Julian Schuster vor allem fußballerisch permanent entwickelt. Das ist in meinen Augen der wesentliche Fortschritt, nachdem es zuvor mehr oder weniger darum ging, nicht abzusteigen und es vor allem auf defensive Organisation, viel Arbeit und mannschaftliche Geschlossenheit ankam. Mittlerweile sind sie in der Lage, sowohl zu Hause als auch auswärts das Spiel zu machen und vermeintliche Favoriten zu schlagen.

Und bezogen auf Frankfurt?
Die Eintracht und Frankfurt sind insgesamt größer, sowohl der Verein als auch der Standort. Die externen Einflüsse sind hier sicherlich herausfordernder. Aber das bringen Klubs mit einer derart großen Tradition und Geschichte mit sich und das ist gut so. Umso wichtiger ist es gewesen, dass mit Fredi Bobic und nun Markus Krösche und den handelnden Personen darum herum kompetente Leute in allen Bereichen arbeiten, die sehr viel vom Fußball verstehen. Beispielhaft ist auch bei der Eintracht für mich der aktuelle Trainer. Dino Toppmöller hat die Mannschaft spielerisch auf das nächste Level gehoben; die Spielweise trägt ganz klar seine Handschrift.

An was machen Sie das fest?
Die Eintracht hat Automatismen entwickelt für eine Spielphase, in der sich viele andere Teams schwertun: im Spiel mit dem Ball, quasi die Königsdisziplin. Die Spielweise der Eintracht macht Spaß, ob aus Sicht des neutralen Zuschauers oder für mich aus der Trainerperspektive. Man sieht einer Mannschaft an, wenn der Trainer innovativ denkt. Nach dem Abgang von Omar Marmoush etwa stand hinter dem weiteren Weg ein Fragezeichen, aber Toppmöller hat es hinbekommen, den Verlust über einen Systemwechsel abzufedern. Das zeugt von einem großen taktischen Verständnis und außerdem einer gewissen Führungsstärke, die Spieler von den eigenen Ideen überzeugen zu können. Denn der Trainer gibt zwar den Weg vor, umsetzen müssen es aber die Jungs auf dem Platz.

Apropos große Fußstapfen: 1981 verließ Bernd Hölzenbein die Eintracht, die als neue Sturmhoffnung Sie verpflichtete und auch mit dessen Nummer sieben bedachte. Von Ihnen stammt das Zitat: „Ich bin nicht der Holz, ich bin der Löw“. Wie betrachten Sie die damalige Zeit mit über 40 Jahren Abstand?
Ich war damals sehr jung und hatte das erste Bundesligajahr beim VfB Stuttgart leider wegen eines Schien- und Wadenbeinbruchs fast komplett verpasst. Die Voraussetzungen waren also mangels Spielpraxis erstmal nicht die besten. Doch selbst, wenn ich mit Rhythmus zur Eintracht gewechselt wäre, hätte ich mich nie als legitimen Nachfolger von Bernd Hölzenbein betrachtet. Mir war wichtig, überhaupt erstmal in der Bundesliga Fuß zu fassen und kam in eine unglaubliche Mannschaft: Bruno Pezzey, Bernd Nickel, Willi Neuberger, Norbert Nachtweih, Ronny Borchers, Cha Bum-kun und wie sie alle heißen. Da ging es für mich anfangs einfach darum, zu lernen und mich zu integrieren. Der Start lief gut, ich war sofort in der Mannschaft, aber nach ein paar Monaten hat sich bemerkbar gemacht, dass ich zuvor ein Jahr nicht gespielt hatte. Die unglaublichen Kraftanstrengungen führten dazu, dass ich in ein körperliches Loch fiel. Wegen der Verletzung war ich auch im Unterbewusstsein nicht frei. In Summe hat sich das auf die Leistungsfähigkeit ausgewirkt und ich musste mir gegen Ende der Saison eingestehen, dass ich an meine Grenzen stoße. Deshalb hatte ich den Wunsch geäußert, zum SC Freiburg zurückzukehren, um eine Liga tiefer regelmäßige Spielpraxis zu sammeln.

Wer aus dem damaligen Team hat am meisten Eindruck hinterlassen?
Bernd Nickel konnte einem mit seiner Denkweise über den Fußball sehr viel geben. Ein sehr intelligenter Fußballer mit einem unglaublichen Orientierungsvermögen, der klassische Zehner eben. Für mich war Bernd ein sportliches Vorbild. Auch Nachtweih und Borchers waren Spielerpersönlichkeiten, zu denen ich aufgeschaut habe. Nicht zuletzt Charly Körbel hat sich sehr um uns junge Spieler gekümmert und stand mir persönlich als Ratgeber und Ansprechpartner zur Seite. Er hatte immer ein offenes Ohr, hat sich gekümmert und, wo er es für angebracht hielt, sachliche Kritik geäußert. Daran hat sich bis heute nichts verändert, er hat mir häufig vor wichtigen Spielen und Turnieren geschrieben. Wir halten lose Kontakt. Allein seine 602 Bundesligaspiele haben eine enorme Aussagekraft, was seine Haltung als Leistungssportler anging. Egal in welcher Funktion: Charly ist ein Geschenk für die Eintracht.

Joachim Löw spricht in den höchsten Tönen von Karl-Heinz Körbel.

Gibt es sportliche Highlights, die haften geblieben sind?
Auf jeden Fall mein erstes Bundesligator im ersten Spiel gegen Kaiserslautern. Für Frankfurt habe ich auch mein erstes Europapokalspiel bestritten gegen Saloniki. Später trafen wir auf Tottenham – da wusste ich, dass ich noch ein gutes Stück weg bin von der Spitze (lacht). Grundsätzlich hat es mir sehr zugesagt, Teil einer solch erfahrenen und überdurchschnittlich spielstarken Mannschaft sein zu dürfen. Wir haben zwar nicht um die Meisterschaft gespielt, waren aber immer in der Lage, gegen die Bayern und andere Topteams zu glänzen.

Einige Spieler aus Freiburg und Frankfurt haben Sie als Bundestrainer selbst trainiert und gefördert. Wer hat Ihnen am meisten imponiert?
Ich denke, über Mario Götze muss ich nicht viele Worte verlieren. Ich erinnere mich noch gut an sein erstes Länderspiel an einem Novembertag in Schweden. Er hat mit 18 direkt gespielt, als wäre er schon fünf oder zehn Jahre dabei. Ich kenne nicht viele, die so intensiv und professionell gearbeitet haben wie Mario. Schon in jungen Jahren hat er sich viele Gedanken um Ernährung und Regeneration gemacht, war wissbegierig und offen für Kritik. Ich denke, sein Karriereweg hat ihn persönlich extrem weitergebracht. Talent, Kreativität und fußballerische Klasse hatte er immer. Über die Jahre ist er in eine andere Rolle hineingewachsen und Vorbild für junge Spieler. Er übernimmt Verantwortung und versteckt sich nie.

In dieser Saison ist er Vizekapitän gemeinsam mit Robin Koch.
Ganz ehrlich: als Trainer hatte ich nicht viele Spieler, die sich so schnell wie Robin an das nächsthöhere Niveau gewöhnt haben. Ich weiß noch, als wir ihn nach einem Wochenende voller Ausfälle eher notgedrungen erstmals nachnominiert haben und nach einer Trainingseinheit in Dortmund gegen Argentinien – mit allem, was Rang und Namen hatte – ins kalte Wasser geschmissen haben. Ich kannte seine Fähigkeiten, aber diese Leistung war so überzeugend, dass hinterher erfahrene Spieler wie Manuel Neuer kamen und sagten: Klasse! Ich war davon angetan, wie schnell Robin lernt und sich sofort mit den an ihn gestellten Aufgaben identifiziert. Leider war er in der Folge immer wieder verletzt. Dass er zurück in der Bundesliga ist und so eine herausragende Rolle einnimmt, freut mich für ihn. An dieser Stelle möchte ich auch Matthias Ginter erwähnen: für mich einer der am meisten unterschätzten Spieler, weil er unauffällig, aber über Jahre unglaublich konstant und mannschaftsdienlich agiert. Er ist ein wichtiger Baustein für die Freiburger Stabilität.

Die Eintracht stellt mit Nathaniel Brown, Nnamdi Collins und Ansgar Knauff derzeit drei deutsche U21-Stammkräfte. Wem trauen Sie perspektivisch am ehesten den Schritt in die A-Nationalmannschaft zu?
Ich möchte ungern einen herausheben, auch wenn Ansgar Knauff mit zwei Jahren mehr Erfahrung vielleicht am weitesten ist. Die drei haben Eindruck hinterlassen, dennoch ist der Sprung enorm. Allein in der U21 so gut dabei zu sein, ist eine Leistung, die Beachtung verdient. In der A-Nationalmannschaft sind Konkurrenz und Anforderungen nochmals höher. Es geht um Titel, im Grunde die Weltspitze, und der Einzug ins Halbfinale gilt bei großen Turnieren als Minimalziel. Am Ende geht es immer auch um Erfahrungswerte, die Zeit benötigen. Regelmäßige Europapokalteilnahmen, vor allem sich in der Champions League mit den Besten zu messen, helfen dabei natürlich.

Wo verfolgen Sie das Aufeinandertreffen Ihrer Ex-Vereine?
Ich wäre gerne im Stadion, aber es war schon länger abgemacht, ehemalige Weggefährten wie Hansi Flick und Marcus Sorg in Barcelona zu besuchen. Deshalb bin ich zwar einerseits traurig, nicht vor Ort sein zu können, freue mich aber auf schöne Wiedersehen und die Möglichkeit, mehr Einblicke in die Strukturen des FC Barcelona zu erhalten, gerade die Ausbildung betreffend. Barça zieht seine Philosophie seit Jahrzehnten mit der größten Konsequenz durch, die es geben kann. In allen Wettbewerben so weit zu kommen und auf höchstem Niveau über ein Dutzend Eigengewächse spielen zu lassen, sucht europaweit seinesgleichen. Aber das Spiel am Samstag werde ich mir trotzdem nicht entgehen lassen.

Ein Tipp zum Abschluss?
Damit tue ich mich ehrlich gesagt schwer. Ich habe große Sympathien für die Eintracht und deren Spielweise, aber den größten Teil meiner Spielerlaufbahn und meines Lebens hat mich Freiburg begleitet. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass Dortmund nicht gewinnt, hoffe ich, dass am Samstagabend in Freiburg zwei Mannschaften auf dem Platz stehen, die sich danach über den Einzug in die Champions League freuen können.

In der Saison 1981/82 hat Joachim Löw in 29 Pflichtspielen für Eintracht Frankfurt fünf Tore erzielt, hier gegen den FC Bayern München.