06.07.2024
International

Stimme „einer riesengroßen Party“

Stadionsprecher Daniel Wolf berichtet von seinen Erfahrungen während der EM in Frankfurt, seiner Vorbereitung, kuriosen Spielernamen, den Organisationsstrukturen und heimlichen Helden.

Das Abenteuer, wie Daniel Wolf es selbst bezeichnet, endete spät. Sehr spät. Dienstagnacht gegen 1.30 Uhr sei er zu Hause gewesen nach dem erst im Elfmeterschießen entschiedenen EM-Achtelfinale zwischen Portugal und der Slowakei. Die letzten zwölf Stunden zweier unvergesslicher Wochen, während derer Daniel Wolf den fünf Partien der UEFA EURO 2024, die in Frankfurt stattfanden, seine Stimme lieh. Genau genommen begann die Reise bereits im vergangenen Herbst.

Die Annahme, dass Stadionsprecher der jeweiligen Heimvereine zwangsläufig während einer Europameisterschaft zum Einsatz kämen, ist weit gefehlt und einzig in Frankfurt, Gelsenkirchen, Leipzig, Hamburg und Düsseldorf der Fall – der Hälfte der zehn Spielstätten. Das Prozedere schildert Wolf folgendermaßen: „Die UEFA ist auf die Stadt Frankfurt zugekommen, sie hat bei der Eintracht nachgefragt. Für mich war sofort klar, dass ich das machen würde und habe Bilder und Lebenslauf nach Nyon geschickt.“ Dort hat der Europäische Fußballverband seinen Hauptsitz. Die Rückmeldung auf die formale Bewerbung ließ bis Januar auf sich warten, ehe die Sache Fahrt aufnahm. Akkreditierungen, blaues Outfit für alle Wetterlagen, Einführungsseminar. Das volle Programm. Und ein intensives allemal.

Neues Gewand: Daniel Wolf bei der UEFA EURO 2024 in Blau statt wie bei Eintracht-Heimspielen in Rot-Schwarz-Weiß.

Allein bei den fünf Abendbegegnungen blieb es beileibe nicht. Jeweils Generalprobe am Tag vor jedem Match, am Spieltag selbst Treffpunkt sieben Stunden vor einem 18-Uhr-Spiel beziehungsweise acht Stunden vor einem 21-Uhr-Spiel. „Eine ganz neue Erfahrung, mit der Bundesliga gar nicht zu vergleichen“, sagt Wolf, seit drei Jahren im Stadtwald am Mikro, mit der Erfahrung von wettbewerbsübergreifend 69 Heimspielen, dem Europa-League-Finale 2022 und DFB-Pokalfinale 2023.

Das Terrain war diesmal in vielerlei Hinsicht ein anderes. Angefangen beim Produktionsteam. Statt eingefleischten Eintracht-Anhängern aus Hessen hatte es Wolf mit einer bunten Truppe aus England, Schottland, Italien und Belgien zu tun. Alle seien „total erfahren und auch in anderen Sportarten bewandert“ gewesen. Offenbar nicht so mit der Frankfurter Gastronomieszene, weshalb sich Wolf am Samstag vor dem Deutschland-Spiel gegen die Schweiz auch als Ratgeber hervortat: „Alle waren von Frankfurt sehr angetan. Also habe ich ihnen mal Bornheim ans Herz gelegt.“ Das Ende vom Lied: „Sonntags wurden ein paar Kopfschmerztabletten hin und her gereicht …“

„Crischdianou“ Ronaldo

Kopfschmerzen bereiteten Wolf die abendlichen Vorbereitungen auf die insgesamt zehn Nationalmannschaften mit je 26 Spielern plus Trainern zwar nicht, ganz so ohne sei die akkurate Aussprache eines jeden Namen dennoch nicht immer gewesen. „Das war mega interessant. Denn die UEFA legt großen Wert darauf, die Aufstellungen und Torschützen wie im Herkunftsland auszusprechen, um den internationalen Fans den Besuch so angenehm wie möglich zu machen.“

Zum Büffeln haben alle Stadionsprecher Zugang zu einem eigenen Portal, auf dem sich Namen per Audiospur anhören ließen. Wolfs Quintessenz: „Wir sprechen in Deutschland fast jeden Namen falsch aus.“ Gerade die Dänen hätten ihm einiges abverlangt, am meisten Pierre-Emile Højbjerg. Aber auch Cristiano Ronaldo habe ihn überrascht. „Crischdianou“ – so in etwa sollte es richtig heißen.

Für Wolf einerlei, der den Hype um CR7 hautnah miterlebte, von „Aura und Ausstrahlung“ schon während des Warm-ups berichtet. Und Fans, „die noch eine halbe Stunde nach Abpfiff seinen Namen riefen“. Daniel Wolf beließ es bei einem Mal, beim Verlesen der Startelf. „War schon ein geiler Moment“, gibt er zu.

Das vermeintlich sprichwörtlich leichteste Spiel zwischen Deutschland und der Schweiz empfindet er wiederum als die größte Herausforderung, Routine hin, Generalprobe her: „Da war die Aufmerksamkeit am höchsten und ich am nervösesten. Wenn du weißt, der Kanzler sitzt auf der Tribüne, 20 Millionen vor dem Fernseher und wenn du dich verhaspelst, hört es jeder.“ Kam nicht vor – und so oder so war es „eine tolle Erfahrung, ein Teil davon zu sein und ein bisschen auch die Eintracht bei der EM zu repräsentieren.“

Die Volunteers nehmen teilweise Urlaub, um unbezahlt zu arbeiten, brennen für die Sache und halten den Laden erst am Laufen.

Daniel Wolf

Weil der Auftraggeber aber in diesem Fall nicht die SGE war, galt es, „das gleiche Erlebnis für alle in jedem Stadion zu gewährleisten“, so das Ansinnen der UEFA. Dazu gehörte auch, sich „strikt an die Texte zu halten. Das wurde überprüft, wenn man sich nicht daranhielt, gab’s Feedback.“ Ein Umstand, der Wolf, der bekanntermaßen gerne mal einen flapsigen Spruch auf den Lippen hat, keineswegs störte. Er hebt vielmehr „die top Organisation“ des Verbands und des Gastgeberlands hervor – sei es das Sicherheitskonzept, eben das Wording oder auch die unzähligen Volunteers: „Sie nehmen teilweise Urlaub, um unbezahlt zu arbeiten, brennen für die Sache und halten den Laden erst am Laufen. Das sind für mich die heimlichen Helden!“

Überhaupt hat Wolf aus persönlichen Gesprächen mit vielen direkt Beteiligten vor Ort den Eindruck gewonnen, „dass die Fans ausgehungert waren von zwei Weltmeisterschaften in Katar und Russland und einer interkontinentalen EM – endlich ist wieder richtige Stimmung und alle versammeln sich in einem Land zu einer riesengroßen Party!“

Kurz bevor am späten Montagabend im Deutsche Bank Park der EM-Vorhang schließt, nimmt es auch Daniel Wolf wieder mit der gewohnten Lockerheit. Anstatt die Zuschauer „aus Frankfurt“ zu verabschieden, weicht er aus zu „bei uns im Herzen von Europa“. Beschwert hat sich keiner.