Situation: Zwischen Kuriosum und Novum
Nach den ersten beiden Spieltagen der Gruppenphase stand der Rangers FC ohne Punkt und eigenes Tor da. Dass sie es dennoch ins Finale geschafft haben, gelang vor ihnen in der Geschichte des UEFA Pokals und der Europa League noch keiner Mannschaft.
Bevor es nun in Sevilla gegen die Eintracht geht, haben die Rangers mit Dortmund und Leipzig bereits zwei Vertreter aus der Bundesliga eliminiert. Mit einem Finalsieg gegen Frankfurt wären es sogar drei in der K.-o.-Phase ausgeschaltete Gegner aus dem gleichen Land. Ein Novum in der Geschichte sowohl der Europa League als auch des UEFA-Pokals, das es aus Sicht der Adler zu verhindern gilt.
Der Weg ins Finale
Als schottischer Meister startete die internationale Reise der Rangers in der dritten Qualifikationsrunde zur UEFA Champions League, wo nach zwei Niederlagen gegen den schwedischen Vertreter Malmö FF direkt wieder Schluss war. Danach genügten in den Play-offs zur UEFA Europa League ein 1:0-Heimsieg und ein 0:0 beim armenischen Vertreter FC Alashkert Erewan, um sich für die Gruppenphase zu qualifizieren. Nach zwei Auftaktniederlagen gegen Olympique Lyonnais und Sparta Prag schafften es die Blau-Schwarz-Weißen am Ende trotzdem noch, als Gruppenzweiter weiter zu kommen.
In der Zwischenrunde folgte sodann das erste dicke Ausrufezeichen, als der vorherige Champions-League-Teilnehmer Borussia Dortmund auch eine Klasse tiefer die Segel strich. Nicht anders erging es hernach Roter Stern Belgrad und dem SC Braga, ehe der FC mit Leipzig den nächsten Königsklassenabsteiger aus dem Turnier kegelte und das Finalticket löste.
Bemerkenswert: In den vergangenen drei Runden der Europa League verlor der schottische Finalist jeweils sein Auswärtsspiel und kam nur aufgrund seiner Heimstärke jedes Mal eine Runde weiter. Dass es am Ende trotzdem zum Titel reichen kann, hat ausgerechnet die Eintracht vorgemacht, die 1980 auch in Mönchengladbach, München, Brünn, Rotterdam uns Bukarest verlor, am Ende aber dennoch UEFA-Pokalsieger wurde.
Trainer und Taktik: Orangene Revolution
In der vergangenen Saison holten die Rangers die bereits 55. Meisterschaft ihrer Geschichte, gewannen sämtliche 19 Heimspiele und blieben darüber hinaus in der kompletten Spielzeit in der Scottish Premiership ohne Niederlage. Großen Anteil daran hatte Steven Gerrard, der qua seines Status nicht nur für Euphorie im Umfeld sorgte, sondern das Team auch im 4-3-3 zu einer offensiven, aggressiven Pressingmaschine formte. Als es Gerrard dann im November 2021 zurück in die heimische Premier League zog, übernahm mit Giovanni van Bronckhorst ein ehemaliger Rangers-Akteur, der als Trainer zuvor vor allem bei Feyenoord erfolgreich war.
Unter ihm blieben die „Gers“ dominant und aggressiv gegen den Ball, der Niederländer verlieh dem Team aber eine neue taktische Flexibilität. Das konnte man etwa beim Hinspiel in Leipzig beobachten, als die Schotten im 4-3-1-2 eher abwartend agierten, bevor sie im Rückspiel ein 3-4-2-1 praktizierten und so dem 0:1 in Sachsen einen 3:1-Erfolg vor eigenem Publikum folgen ließen, welcher den Finaleinzug bedeutete. Einen wirklichen Unterschied zwischen der heimischen Liga und dem internationalen Geschäft erkennt man an der Herangehensweise von Team und Trainer nicht.
Selbst gegen den BVB pressten die Rangers oft hoch, versuchten schnell umzuschalten und dann schnörkellos den direkten Weg zum Tor einzuschlagen, was beim 4:2-Sieg in Dortmund auch gelang. Seit der Ankunft von van Bronckhorst, der in Roy Makaay einen prominenten Co-Trainer mit in die schottische Metropole brachte, spielt sich auch so mancher Akteur aus der vermeintlich zweiten Reihe in den Fokus. Spieler wie John Lundstram, der gegen Leipzig das goldene Tor zum Finale erzielte, oder Scott Wright machten unter dem neuen Coach noch mal einen Schritt nach vorne.
Hinzu kommen verlässliche Säulen im Team wie Kapitän und Standard-Spezialist James Tavernier auf der rechten und Ryan Kent auf der linken offensiven Seite, die an fast allen gefährlichen Offensivaktionen der Rangers auf die eine oder andere Art beteiligt sind. Abgesehen von den beiden Unersetzlichen ist die potenzielle Startaufstellung der Schotten aber kaum vorherzusagen, da man aufgrund der vielen Spiele und einiger Verletzungen zuletzt eigentlich jede Woche eine andere Elf ins Rennen schickte.
James Tavernier: Captain, Knipser, cool vom Punkt
Viel wurde bereits über James Tavernier geschrieben in dieser Europa-League-Saison. Schließlich ist der Engländer führend in der Torjägerliste und steht nach 13 Einsätzen bei starken sieben Treffern. Unter Umständen wäre dies nur eine Randnotiz, aber Tavernier ist nicht etwa Mittelstürmer, sondern nominell rechter Verteidiger. Und zwar einer mit unglaublichen Zahlen. Seit der Flügelspieler 2015 zu den damals zweitklassigen Rangers wechselte, hat er in wettbewerbsübergreifend 344 Spielen 82 Tore erzielt und noch mal 106 aufgelegt. Statistiken, von denen manche Offensivspieler nur träumen können.
Der 30-Jährige trägt also nicht ohne Grund die Kapitänsbinde bei den Blauen aus Glasgow, die er in der Vorsaison zur ersten Meisterschaft seit dem Wiederaufstieg 2016 führte. Während dieser kam Tavernier allein in der Liga auf elf Tore und zehn Assists. Strafstöße und Freistöße für die Rangers sind dabei eigentlich immer eine Sache für den Mann mit der Binde. Die Resultate sprechen für sich.
Dabei war keinesfalls klar, dass der Mann, der 2015 von Wigan nach Glasgow kam, so eminent wichtig für die Rangers werden würde. Denn auch wenn sein Talent unbestritten war, wollte es in den englischen Heimat nicht so richtig klappen. Nachdem Newcastle ihn 2008 aus der Jugend von Leeds United abgeworben hatte, wollte der Durchbruch bei den „Magpies“ nicht so recht gelingen und Tavernier wurde immer wieder verliehen. So begann eine unstete Reise durch die Ligen unterhalb der Premier Leauge, bis er 2015 den Sprung zum schottischen Schwergewicht wagte, das sich nach einer Insolvenz gerade zurück in die erste Liga kämpfte. Ein Schritt, den Tavernier nie bereut haben dürfte.