Uli Stein war schon immer ein Freund der klaren Worte. Wenn er auf seinen 65. Geburtstag angesprochen wird, lacht er nur: „Was soll mich das stören? Stören würde es mich, wenn ich ihn nicht erlebt hätte!“ Der ehemalige Eintracht-Torhüter hat sich seine eigene Rechnung aufgemacht: „Man ist immer so alt, wie man sich fühlt.“Da sieht sich der gebürtige Hamburger „irgendwo Mitte 50.“ Trotz eines künstlichen Kniegelenks ist er fit, hält zwar keine Bälle mehr, drischt dafür die Golfbälle mit viel Wucht über die Plätze. Wenn er denn Zeit hat. Schließlich ist Uli Stein Markenbotschafter der Eintracht, repräsentiert den Bundesligisten bei Treffen mit Sponsoren, Fans und Freunden des Klubs. „Die Arbeit macht mir großen Spaß, denn die Eintracht hat sich toll entwickelt.“Das war nicht immer so. Als er im November 1987 nach seiner Trennung vom Hamburger SV an den Main gekommen war, „da war die Eintracht eher eine graue Maus.“ Was sich mit der neuen Nummer eins aber rasch ändern sollte: Schon 1988 konnte in Berlin der Sieg im DFB-Pokalfinale gefeiert werden. Beim 1:0 gegen Bochum im Olympiastadion hatte der Uli einen relativ ruhigen Tag verbringen können, zumindest im Vergleich zum Halbfinale in Bremen. Da verzweifelten die Werder-Profis fast im Minutentakt an dem Frankfurter Keeper, der an diesem Abend seine wohl beste Leistung im Eintracht-Trikot zeigen konnte. Am Ende hieß es 1:0 für die Adlerträger!
Zwei Buchstaben
Eigentlich hätte Uli Stein das Zeug gehabt, dutzende von Länderspielen für Deutschland zu bestreiten. Doch es wurden nur sechs, was an einem Wort oder, genauer, an zwei Buchstaben lag. Es war während der WM 1986 in Mexiko, die Spieler saßen beim Essen und flachsten. Anwesende wurden nicht mit Namen, sondern lediglich mit ihren Anfangsbuchstaben benannt. So stand „BV“ also für Co-Trainer Berti Vogts. Plötzlich sagte Uli Stein „SK“, alle blickten ihn fragend an. Er zeigte auf den Teamchef und meinte „Suppenkasper“, in Anlehnung an einen TV-Werbespot für Tütensuppen, den Franz Beckenbauer einmal gemacht hatte.Alle lachten herzhaft, doch dieses „SK“ wurde auch Medienvertretern gesteckt. Und so wurde aus dem Spaß bitterer Ernst, DFB-Präsident Hermann Neuberger war empört und setzte Steins Rauswurf durch. Franz Beckenbauer hätte gelassener reagiert, musste sich aber seinem Chef beugen. 1990 vor dem WM-Triumph in Italien wollte der „Kaiser“ Uli Stein eigentlich zurück holen, scheiterte aber erneut an Neubergers Veto. Spieler mit Kanten und Ecken, Spieler, die ihre Meinung klar äußern, waren nicht sehr beliebt. Würde der Uli nun mit 65 Lenzen auf dem Buckel anders handeln? Die Antwort kommt prompt und klar: „Nein, wieso? Der Spruch war als Flachs gedacht und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Dass ein Mitspieler die Geschichte weiter erzählt, dafür kann ich doch nichts. Ich bereue keinen Spruch von früher, aber vielleicht wäre ich heute etwas diplomatischer.“Auch in Frankfurt eckte er mehrfach an in seinem Bestreben, den höchst möglichen Erfolg zu erreichen. Vor einem UEFA-Cup-Spiel beendete er das Abschlusstraining für alle vorzeitig. Zum Abschluss wurde auf zwei Tore gespielt, Steins Vordermänner wirkten jedoch unkonzentriert und fahrig. Nach einem erneuten Gegentor verließ der Keeper seinen Kasten, ging zur Eckfahne und machte Gymnastik. Das Training war vorbei. Der Keeper grinste nur, als er kürzlich die Geschichte erzählt bekam: „Das habe ich längst vergessen. Aber wenn nicht alle richtig mitziehen, macht Training auch keinen Sinn. Will man Erfolg, dann braucht man Mitspieler, auf die man sich zu 100 Prozent verlassen kann.“Heinz Gründel war in Steins Augen ein solcher Typ. Und deshalb setzte er sich für ihn ein, als Gründel eigentlich schon rausgeworfen war. Sommertrainingslager in Seefeld, deutlich nach Mitternacht. In der Hotelhalle diskutierte Dragoslav Stepanovic noch mit den mitgereisten Frankfurter Journalisten, als eine Dame im weißen Morgenmantel an ihnen vorbei rauschte. Kurz darauf erschien der Nachtportier, fragte: „Ist einer von ihnen der Herr Gründel?“ Stepis Ohren wurden fast sichtbar größer. „Die Dame kann nicht schlafen, im Nachbarzimmer ist der Fernseher sehr laut, aber ich möchte nicht ins Zimmer gehen.“ Stepi („Ich schon“) ließ sich den Schlüssel geben, ging ins Zimmer - leer! Was er nicht wusste: Gründel und Axel Kruse spielten bei Uli Stein im Zimmer Karten. Wenige Stunden später klingelte Gründels Telefon: „Stepi hier. In 15 Minuten ist Training.“ Der Spieler schaute auf den Wecker (5.45 Uhr) und dachte an Kruse, der den Stepi so perfekt nachmachen konnte. Also, umgedreht und weiter geschlafen.Eine Bedingung
Bis zum Frühstück hatte Rainer Falkenhain bereits das Flugticket Innsbruck-Frankfurt besorgt, die Geschichte war auch den Journalisten bekannt. Doch dann die Wende: Uli Stein konnte den Trainer davon überzeugen, dass eine Geldstrafe ausreicht und das Team in der kommenden Saison nicht gerne auf Heinz Gründel verzichten möchte. „Stepi“ machte den Deal mit, allerdings unter einer Bedingung: Uli Stein musste die Journalisten auf einer improvisierten Pressekonferenz über die Lage der Dinge unterrichten. Der Torhüter tat dies gekonnt und ging sofort in die Offensive: „Wenn einer daraus macht, dass der Trainer bei Eintracht Frankfurt nichts mehr zu sagen hat, dann bekommt er kein einziges Interview mehr!“Klare Worte, wie man sie während Steins langer Karriere immer zu hören bekam. Selbst nach dem „Rostock-Trauma“ 1992, als man am letzten Spieltag die Meisterschaft mit einem 1:2 verlor. Noch vor dem Rückflug schnappte sich der Kapitän das Mikro im Bus, gratulierte der Mannschaft „zu einer tollen Saison. Es lag nicht an uns, uns wurde der Titel geklaut!“ Dann ließ er den Bus anhalten, holte aus dem Gepäckabteil mehrere Flaschen Schampus. Dass ihm dabei ausgerechnet Andy Möller geholfen habe, sei „eher Zufall“ gewesen.Klare Worte also auch lange nach seiner langen Karriere. Schließlich hatte er mit über 42 Jahren noch das Tor von Arminia Bielefeld gehütet, hatte anschließend sogar noch ein Angebot aus Nürnberg erhalten: „Aber da tat mir bei jeder Parade schon jeder Knochen weh, da hätten sie mir mehr Schmerzensgeld bieten müssen.“ So blieb es bei 512 Bundesligaspielen, darunter von 1987 bis 1994 insgesamt 276 Einsätze im Trikot von Eintracht Frankfurt.Den Rentner will Uli Stein längst noch nicht spielen. Er hofft, dass Berti Vogts bald wieder eine Nationalmannschaft betreuen darf. Dann wäre er erneut gerne als Torwarttrainer dabei. So, wie es die beiden bereits in Kuwait, Nigeria und Aserbaidschan gemacht haben.