Es liegt ein paar Monate zurück und war damals nicht der Rede wert, findet aber dieser Tage eine verstärkte Aufmerksamkeit: Nacheinander besiegte die Eintracht im Herbst Hannover (4:1), S.S. Lazio (4:1), Hoffenheim (2:1) und Fortuna Düsseldorf (7:1) auf überwiegend dominante Weise. Der gemeinsame Nenner, immer ein Gegentor kassiert zu haben, fiel damals scheinbar nicht weiter ins Gewicht, trieb aber nicht zuletzt Kevin Trapp regelmäßig zur Weißglut. Im Frühjahr 2019 wiederholten so ziemlich alle Beteiligten vor und nach dem Aufeinandertreffen mit dem FC Internazionale Milano gebetsmühlenartig die Wichtigkeit, zu Null zu spielen. Von Cheftrainer Adi Hütter über die Ersatzkapitäne Gelson Fernandes und Makoto Hasebe bis zu Trapp selbst, der mit einem gehaltenen Elfmeter gegen Marcelo Brozovic entscheidenden Anteil an der elementaren weißen Weste hatte. Der folgende Jubelschrei des ausverkauften Hexenkessels war lauter als bei so manchem Torjubel.
Die Strafstoßthematik sollte in der zweiten Halbzeit nicht abebben, als Sébastien Haller sogar energischer als zuvor Lautaro Martinez zu Fall gebracht wurde, ein Pfiff aber ausblieb. Die Ursache für Hütters Ärgers war menschlich nachvollziehbar, für die Art und Weise des Frustabbaus entschuldigte sich der auf die Tribüne verwiesene Österreicher hinterher aufrichtig: „Das war unprofessionell von mir.“ Der durch seine dritte Gelbe Karte im Rückspiel gesperrte Fernandes brachte den Interpretationsspielraum von Schiedsrichter William Collum auf den Punkt: „Bei den Szenen gibt es nicht die eine Wahrheit, aber wenn er den ersten Elfmeter gibt, muss er den zweiten auch geben.“
Krallen ausgefahren
Doch auch ohne den verwehrten Versuch vom Punkt hatte die in der ersten Halbzeit ungewohnt zurückhaltende Eintracht nach dem Seitenwechsel zahlreiche Gelegenheiten, um in Führung zu gehen. Die Statistiker zählten für den zweiten Durchgang 12:2 Torschüsse, 64 Prozent Ballbesitz und 3:0 Ecken für die Eintracht. Nicht nur bei den Standards fanden die Adler, die nach dem Seitenwechsel wieder sichtbar ihre Krallen ausgefahren hatten, in Samir Handanovic ihren Meister. Der Torhüter und Spielführer wehrte sechs Einschüsse ab, während sein Gegenüber Trapp komplett beschäftigungslos blieb. Ein untrügliches Zeichen, wie kompromisslos die Hessen in der Pause ihre fast schüchterne Gangart abgelegt und zu ihrem Jagdinstinkt zurückgefunden haben. Mit dem Wiederanpfiff rollte eine schwarze Angriffswelle nach der anderen auf die Gerade der Fans zu, die mit ihren Anfeuerungsrufen und einmaligen kollektiven Choreografie das Offensivfeuer weiter beschleunigten.
Weshalb nach den ersten 90 Minuten Gästetrainer Luciano Spalletti, im fünften Spiel an seinem Geburtstag ohne Sieg, fast wortgetreu nachsprach, was Kollege Hütter einen Tag zuvor gefordert hatte: „Es wird im Rückspiel wichtig sein, gut zu verteidigen und kein Tor zu kassieren.“ Umgekehrt wusste Trapp, dessen Defensivpenetranz im richtigen Moment Anklang gefunden hat, „dass wir einfach nicht verlieren dürfen. Wir spielen auf Sieg, alles andere können und wollen wir nicht.“ Es wäre die Schleife auf dem Geburtstagsgeschenk, das sich die Eintracht mit dem nächsten elektrisierenden Europokalabend selbst gemacht hat.