23.09.2020
Historie

„Vereinskultur entwickelt eine unglaubliche Kraft“

Die Eintracht und Hertha waren die letzten beiden Spielerstationen von Maik Franz. Der 54-malige Adlerträger blickt auf Freitag, aber auch vergangene Highlights und neue Sichtweisen.

Maik, aus aktuellem Anlass: Hat dich Sebastian Jung vor seinem Wechsel zum KSC um Rat gefragt?
Nein, das nicht, aber ich habe davon gelesen. Ich denke, beide Seiten haben eine gute Wahl getroffen.

Hast du ansonsten noch Kontakt zu früheren Mitspielern?
Der ist nie abgerissen. Natürlich ist es nicht immer einfach, sich persönlich zu treffen, aber per Telefon und WhatsApp tausche ich mich beispielsweise mit Patrick Ochs, Sebi Jung, Selim Teber, Ioannis Amanatidis oder auch Franco Lionti, Fredi Bobic und Christoph Preuß aus.

Wann warst du das letzte Mal in Frankfurt im Stadion?
Vor ziemlich genau vier Jahren, als die Eintracht zu Hause gegen Hertha BSC gespielt hat [3:3; Anm. d. Red.]. Danach war es zeitlich immer schwierig. Vor allem, weil ich mich mit Magdeburg an den Wochenenden selbst im Ligabetrieb befunden habe. Wenn kein Spiel war, waren wir meistens auf Sichtung, wofür die Bundesliga zwangsläufig nicht unbedingt in Frage kam (schmunzelt). Aber wenn es die Zeit erlaubt, komme ich gerne wieder.

Du sprichst den 1. FC Magdeburg an. Vor etwa zwei Monaten haben sich eure Wege getrennt. Was machst du aktuell?
Zurzeit genieße ich einfach die Zeit mit der Familie, weil das in den vergangenen Jahren etwas zu kurz kam. Nach meinem Karriereende ging es direkt in Magdeburg weiter, das waren viereinhalb intensive Jahre, gerade zuletzt in der Gesamtverantwortung. Ein bisschen Auszeit muss auch mal sein.

Das Kribbeln ging schon im Spielertunnel los, dann läuft „Schwarz-weiß wie Schnee“ – Gänsehaut! Dann geht es erst raus vor die Kurve, da brennt der Baum. 50.000 in dieser Lautstärke ist nicht alltäglich.

Maik Franz

Welche Lehren und Schlüsse ziehst du aus deiner ersten Rolle als Funktionär?
Vor allem, dass man nichts beurteilen sollte, was man nicht selbst ausgeübt hat. Das war schon immer einer meiner Vorsätze, der sich noch mehr verfestigt hat. In verantwortlicher Position merkt man erst, dass sich manche Dinge, beispielsweise Transfers, nicht so einfach umsetzen lassen wie es von außen oft den Anschein hat. Insgesamt ist es erstaunlich, wie viele kleine Rädchen ineinandergreifen müssen, damit das große Ganze funktioniert – oder umgekehrt, wie Kleinigkeiten ein Gesamtkonstrukt gefährden können. Davor habe ich riesen Respekt. Hut ab vor jedem, der das über einen längeren Zeitraum bewerkstelligt. Zumal man nie abschalten kann. Die Kadergestaltung zieht sich durchs ganze Jahr, während man als Spieler auch mal Urlaub hatte. Zugleich kommen Wünsche etwa vom Funktions- und Trainerteam, denen man gerecht werden muss und zugleich muss sich der Verein immer weiterentwickeln, auch infrastrukturell. Beispielsweise hatten wir zuvor keine Scoutingabteilung, die wir aufgebaut haben und versucht, über ein Videotool Daten besser zu analysieren. Wenn man sich mit der Materie intensiver auseinandersetzt, gibt es schier unendliche Möglichkeiten, wenngleich der finanzielle Rahmen für kleinere Vereine natürlich begrenzt ist. Trotzdem ist es uns gelungen, Marius Bülter ablösefrei aus der vierten Liga zu holen und anschließend für einen Millionenbetrag weiterzuverkaufen. Das verhält sich, auch wenn die Summen nicht vergleichbar sind, wie bei der Eintracht mit Haller, Jovic oder Rebic.

Zuvor musstest du wegen Knieproblemen 2015 deine Karriere beenden. Wie geht es dir gesundheitlich?
Soweit gut! Das Knie merke ich nur ab und zu nach dem Laufen. Ich habe zwei kleine Kinder, mit denen ist immer Action. Wir wohnen in der Nähe von Berlin, fühlen uns dort pudelwohl, privat ist alles im grünen Bereich.

Du hast dich damals mit den Worten verabschiedet: „Jetzt ist gewiss, dass ich nie wieder auf dem Platz stehen werde, wenn 60.000 Zuschauer ein Stadion zum Beben bringen. Ich werde euch Fans vermissen!“ Welche Bedeutung hatte das Publikum in Frankfurt für dich?
Wo immer ich auf die Eintracht zu sprechen komme, betont jeder, dass die Fanszene zu den besten in Deutschland zählt. Ich behaupte sogar, dass sich der Support europaweit nicht verstecken muss. Die Eintracht hat eine grandiose Fanbase und Tradition. Das pusht jeden Einzelnen, sorgt dafür, dass jeder Spieler gerne für Frankfurt aufläuft und ist auch ein Grund, weshalb sich der eine oder andere für die Eintracht und gegen einen anderen Klub entscheidet. Die Choreos waren in der Europa League beeindruckend, sind es aber auch in der Bundesliga. Die Stimmung war schon Wahnsinn, als ich hier gespielt habe. Das Kribbeln ging schon im Spielertunnel los, dann läuft „Schwarz-weiß wie Schnee“ – Gänsehaut! Dann geht es erst raus vor die Kurve, da brennt der Baum. 50.000 in dieser Lautstärke ist nicht alltäglich. Zumal es die Eintracht ausmacht, dass die Unterstützung nicht ausschließlich aus der Kurve, sondern allen Bereichen im Stadion kommt. Ich selbst habe einen guten Draht zur Fanszene gehabt und mich damals für die Benefizaktion „Wir tragen den Adler im Herzen“ engagiert. Diese Vereinskultur entwickelt eine unglaubliche Kraft und bringt sich auch gesellschaftlich ein. Das hat der gesamte Klub zuletzt mit der „AUF JETZT!“-Kampagne einmal mehr bewiesen. Diesen Ruf kriegt man nicht geschenkt, sondern muss man sich über Jahre erarbeiten. Der Respekt davor ist riesengroß und wurde mit den internationalen Erfolgen noch größer, weil viele Leute dadurch noch genauer hingeschaut haben. Deshalb ist es schade, wenn ein ganzer Verein manchmal wegen ein paar Chaoten in eine Rechtfertigungsposition kommt, was er gar nicht nötig hat, weil sich die Eintracht und ihre Fans von Herzen engagieren.

Gibt es Spielertypen, die diese Zusatzmotivation mehr benötigen als andere?
Das ist mit Sicherheit so, aber letztendlich kommt es für mich immer darauf an, dass jeder auf seine Weise alles für seinen Verein gibt. Als ich damals aus Karlsruhe gekommen bin, hatte ich mich erstmal mit Ioannis Amanatidis in den Haaren. Aber wir haben uns ausgesprochen und jeder hat im Sinne des Klubs alles auf dem Platz gelassen. Das war immer mein Credo. Mir war es zudem wichtig, mich näher mit dem Umfeld zu beschäftigen. Wir Fußballer sind nichts Besonderes, haben aber das Glück, vor vielen Leuten spielen zu dürfen. Ich war immer der Meinung, dass man versuchen sollte, dieses Vertrauen zurückzuzahlen.

Der Auswärtssieg in Dortmund: Ich gebe den Ball nicht mehr her, die ganze Tribüne pfeift dich aus, einfach geil!

Maik Franz

Welches Spiel hat dir den größten Adrenalinkick gegeben?
Ich hatte mit der Eintracht einige schöne Erlebnisse. Leverkusen war natürlich schon krass, als ich in der 90. Minute per Fallrückzieher das 3:2 erzielt habe. Oder der Auswärtssieg in Dortmund: Ich gebe den Ball nicht mehr her, die ganze Tribüne pfeift dich aus, einfach geil! Unvergessen auch der Regionalkracher in Kaiserslautern, als wir mit 10.000 Auswärtsfans im Rücken 1:0 gewonnen haben.

Hätte dich als Spielertyp dann eigentlich nie die englische Liga gereizt?
Doch, ich hätte das gerne gemacht, das wäre genau mein Fußball gewesen. Ich war mal als Zuschauer im Stadion. Als ein Spieler vor der Gegentribüne den Ball ins Aus gegrätscht hat, haben ihn alle abgefeiert. Es hat sich aber nie die Möglichkeit ergeben, auch weil ich mich in meinen Klubs immer gut aufgehoben gefühlt habe.

2011 ging es für dich nach zwei Jahren weiter zur Hertha.
Obwohl ich in Frankfurt happy war, Abstieg hin oder her. Ich wollte auf jeden Fall bleiben, was ich auch offen kommuniziert habe. Allerdings hatte ich mir einen längerfristigen Vertrag als über zwei Jahre vorgestellt, weil ich mir gesagt habe: Wenn ich mit in die zweite Liga gehe, möchte ich mich komplett und ligaunabhängig zu dem gemeinsamen Weg bekennen. Zu diesem Zeitpunkt war noch offen, wer neuer Trainer wird. Als es dann Armin Veh wurde, gab es keine weiteren Gespräche mehr. Ich weiß nicht, ob es mit unserer kleinen Vorgeschichte zu tun hatte oder ob ich als Spielertyp einfach nicht seinen Vorstellungen entsprochen habe. Aber ich bin kein nachtragender Mensch. Wir haben uns zwei Jahre später in Berlin getroffen und kurz ausgetauscht, alles gut.

2009/10 hast du sechs Bundesligatore erzielt. An Frankfurter Verteidigern überbietet dich gefühlt nur Martin Hinteregger. Dein legitimer Nachfolger?
(Überlegt) Ich sehe ihn fußballerisch stärker als ich es war. Ich kenne ihn zwar nicht persönlich, habe aber den Eindruck, dass er auch jemand ist, der alles für den Verein gibt, immer unter Strom steht, auf dem Platz keine Verwandten kennt und sich in Frankfurt wohlfühlt. Er passt mit seiner Art sehr gut nach Frankfurt.

Die Fans gehören zum Fußball wie die Luft zum Atmen.

Maik Franz

Du hast den Adler auf der Brust getragen, als der Ruf der Eintracht als Diva noch sehr ausgeprägt war. Was hat sich seitdem verändert?
Das mag für viele vielleicht zu einfach klingen: Fredi Bobic ist gekommen. Er und sein Team machen einen überragenden Job. In den anderen Bereichen wird auch sehr gut gearbeitet. Aber in einem Profiklub hängt viel von der ersten Mannschaft ab, sie ist der Motor. Ich war ehrlich gesagt auch überrascht, wie es Niko Kovac hinbekommen hat, mit Spielern aus so vielen unterschiedlichen Herkunftsländern in so kurzer Zeit eine funktionierende Einheit zu formen. Daran haben die Verantwortlichen in den Folgejahren angeknüpft, einen Umbruch nach dem anderen bewältigt und am Ende das Europa League-Finale nur haarscharf verpasst. Der daraus resultierende Imagegewinn ist unbezahlbar! Die Wertschätzung in den 1980er und Anfang der 1990er Jahre war legendär, danach hat sich der Ruf etwas zu dem einer Fahrstuhlmannschaft entwickelt. Diese Wahrnehmung ist wieder eine andere, woran Fredi sicher den Löwenanteil hat. Das kann ich mittlerweile aus eigener Erfahrung beurteilen, weil der Sportvorstand schließlich für personelle Entscheidungen, ob gute oder schlechte, die Verantwortung tragen muss.

Wie schätzt du die Situation bei der Hertha ein?
Ich habe in Berlin leider nicht viel gespielt, weil ich oft verletzt war, hege aber große Sympathien. Der Klub tickt zwar anders als Frankfurt, ist aber auf seine Weise cool. In Berlin bewegt sich etwas, vor allem mit ihrem Investor im Rücken. Dadurch bieten sich Möglichkeiten, die zuvor nicht vorhanden waren. Neuzugänge wie Piatek, Tousart, Schwolow, Cunha oder Lukebakio sind schon richtige Bretter. Die Kunst wird sein, daraus eine Einheit zu formen. Wenn Bruno [Labbadia; Anm. d. Red.] das gelingt, ist mit ihnen zu rechnen. Außerdem muss sich noch eine neue Hierarchie bilden, die Mischung ist auf jeden Fall gut.

Was erwartest du am Freitag für ein Spiel?
Gerade die Hertha ist aus den genannten Gründen noch schwer einzuschätzen. Erst scheiden sie überraschend aus dem Pokal aus, dann gewinnen sie souverän in Bremen. Jetzt ist die Hertha erstmals vor einer begrenzten Zuschauerzahl zu Hause gefordert. Das kann ein Einflussfaktor sein, wenngleich jeder Spieler auf Publikum anders reagiert. Was für den einen positiver Druck ist, führt beim anderen zu großer Anspannung. Wenn es läuft, „darfst“ du vor 50.000 spielen, wenn du gegen den Abstieg kämpfst, „musst“ du. Insgesamt hoffe ich, dass sich die Ränge so schnell wie möglich wieder füllen. Denn die Fans gehören zum Fußball wie die Luft zum Atmen.

Wie lautet dein Tipp für Freitag?
Ich wusste, dass die Frage kommt (lacht)! Sagen wir 3:3.