13.12.2021
Bundesliga

Viele Schultern, breite Brust, großes Herz

Das Spektakel gegen Leverkusen kommt nicht nur ohne Alleinunterhalter aus, sondern auch einem bestimmten sportlichen Ideal so nah wie nie.

Einordnung: Physis, Spirit, Effizienz

„Wir wollen die Spieler noch torgefährlicher machen, damit wir noch schwerer auszurechnen sind.“ Gesagt hat das Oliver Glasner auf seiner offiziellen Vorstellung als Eintracht-Cheftrainer am 29. Juni. Bald ein halbes Jahr später hat die Eintracht diesen Anspruch des Fußballlehrers beim 5:2 gegen Bayer 04 Leverkusen so beeindruckend wie nie in die Tat umgesetzt. Nachdem Patrik Schick die Gäste gewissermaßen aus dem Nichts mit 2:0 in Front gebracht hatte, waren es am Ende des Tages fünf verschiedene Frankfurter Fußballer, die sich in die Torschützenliste eintragen durften. Mit Tuta und Evan Ndicka zwei Innenverteidiger, mit Kristijan Jakic und Djibril Sow die beiden defensiven Mittelfeldspieler und in Jesper Lindström ein Angreifer, der den Ausgleich vor der Pause markierte.

„Hier geht es auch um gewisse Mechanismen, die in Fleisch und Blut übergehen. Selbstvertrauen hilft außerdem“, erklärte Cheftrainer Glasner im Anschluss, dass die Vielzahl an Abschlusspositionen kaum mehr Zufall, sondern Resultat automatisierter Angriffszüge sind. „Natürlich müssen die Spieler den Ball am Ende immer noch selbst ins Tor schießen“, ist sich der Österreicher bewusst. Was sie gegen die Werkself auch abgebrüht taten. Von sieben Schüssen aufs Tor zappelten fünf im Netz. Auch Sportvorstand Markus Krösche freute sich „über die Variabilität an Torschützen. Das macht uns unberechenbarer, damit wir nicht abhängig von einzelnen Spielern sind.“

Ausgerechnet den Mann in vorderster Front, der ohne zählbares Erfolgserlebnis blieb, nahm Glasner als Symbolfigur, um die Willensstärke der Adlerträger hervorzuheben. „Nach dem Elfmeter ist Rafa Borré sofort zum Tor gelaufen, hat den Ball rausgeholt und zum Mittelpunkt getragen. Es war toll, mit anzusehen, wie sich die Jungs nicht geschlagen geben.“

Zahl des Spiels: 4796

Diese Aufholjagd, die schließlich im Schützenfest mündete, wirkt umso erstaunlicher, als es der erste Frankfurter Bundesligasieg nach einem 0:2-Rückstand seit 4796 Tagen war. Am 25. Oktober 2008 hatten die Adlerträger schließlich bei Energie Cottbus 3:2 gewonnen.

Personalien des Spiels

Dabei griffe es zu kurz, allein den Scorern ein Augenmerk zu widmen, auch wenn Jakic nun der 268. unterschiedliche Bundesligatorschütze in der Eintracht-Historie ist, wodurch der Traditionsverein den Ligarekord des FC Schalke 04 eingestellt hat.

Zu den mittlerweile wettbewerbsübergreifend 14 verschiedenen Torschützen in der laufenden Spielzeit gesellte sich ebenso Lindström, der nach kurzer Trainingspause aus Kraftgründen zur Pause in der Kabine blieb. „Jesper musste sich erbrechen“, schilderte Glasner hinterher die Gründe. Der eingewechselte Jens Petter Hauge musste wiederum nach einer Viertelstunde verletzungsbedingt runter. „Bei Jens Petter sah es nicht gut aus, aber da müssen wir genauere Untersuchungen abwarten“, so der 47-Jährige zum Zustand des Norwegers.

Djibril Sow hat das Toreschießen für sich entdeckt, Danny da Costa sich in die Startelf zurückgekämpft.

Über 85 Minuten durchziehen konnte derweil Danny da Costa, der gegen seinen Ausbildungsklub zum ersten Startelfeinsatz seit dem 19. September gekommen war. „Ich habe Danny im Training gesehen und ihn mit voller Überzeugung in die Startelf gesetzt“, begründete der Coach die Rotation auf der rechten Außenbahn. Auch der ebenfalls neu in der Anfangsformation aufgetauchte Martin Hinteregger habe „die Abwehr sehr gut organisiert. Vor dem zweiten Tor spielt Martin einen super Schnittstellenpass, das ist eine seiner herausragenden Qualitäten.“

Von diesen konnte Christopher Lenz im vergangenen Vierteljahr verletzungsbedingt nichts zeigen, sich aber dafür seines Comebacks erfreuen. „Ich habe drei Monate warten müssen, bis ich endlich wieder auf dem Platz stehen durfte und bin sehr happy“, sagte der Sommerneuzugang im Nachgang.

B-Note des Spiels: Das Publikum

Einer, der vor dreieinhalb Jahren die Mainmetropole hinter sich gelassen hatte, war unter allen unterlegenen Gästen der zwangsläufig Leidtragendste: Bayer-Schlussmann Lukas Hradecky. Was die 12.000 euphorisierten Besucher im Deutsche Bank Park freilich nicht davon abhielt, nachdem sie Sow bei dessen Auswechslung gehuldigt hatten, auch ihren Ex-Keeper mit lautstarken Sprechhören zu bedenken.

Ausblick: „Nicht abheben“

Großes Fingerspitzengefühl, das die unveränderte Demut im Herzen von Europa auf den Rängen wie auf dem Rasen widerspiegelte. Nach dem vierten Sieg in den vergangenen fünf Spielen steht Frankfurt auf Platz neun, was Glasner derzeit allerdings nicht wirklich tangiert: „Die Tabelle interessiert mich aktuell wenig. Denn wenn die Leistung stimmt, steht am Ende auch ein Platz, mit dem wir zufrieden sein können.“ Dafür bedürfe es wiederum weiterer Leistungen am Limit wie gegen Leverkusen. „Wir sind sieben Kilometer mehr gelaufen. Genau das benötigen wir auch am Mittwoch“, blickt der Chefcoach voraus. Dann wartet die Auswärtsaufgabe bei Borussia Mönchengladbach. „Wichtig ist, nicht abzuheben und weiter hart zu arbeiten – auch wenn wir jetzt wieder viele Schulterklopfer kriegen“, mahnt Glasner. Genügend Schultern zum Verteilen haben die Adler mittlerweile nachgewiesenermaßen.