03.09.2019
Leistungszentrum

„Vor dem Fußball steht der Mensch“

Damir Agovic und Jan Fießer wurden am „alten“ Riederwald als Fußballer erwachsen und kehrten später als Trainer zurück. Jetzt sprechen sie im Doppelinterview.

Damir Agovic (l.) und Jan Fießer sind einst am Riederwald groß geworden, heute sind sie im Nachwuchsleistungszentrum Trainerkollegen.
Damir Agovic trainiert seit vergangener Saison die U15, in seiner ersten Saison gelang ihm mit den C-Junioren in der Regionalliga Süd ein starker dritter Platz. Sein Kollege Jan Fießer tritt seine erste Saison als Chefcoach der U17 an. Zuvor hatte Fießer bereits zwei Jahre als Co-Trainer und zum Ende der vergangenen Saison als Interimscoach der U17 gearbeitet. Was sie verbindet: Beide spielten schon in der Jugend für die Frankfurter Eintracht.Als ihr als Jugendliche zur Eintracht gekommen seid, war die Sportanlage am Riederwald ja noch eine völlig andere. Die Einrichtungen waren in die Jahre gekommen, ein wenig Verfall sichtbar. Wie habt ihr das damals wahrgenommen?Damir Agovic: Ich kam 2004 aus Bad Soden-Salmünster zur Eintracht, war vorher beim FV Steinau. In Bad Soden hatten wir nur zwei Kabinen für den Gesamtverein und einen einzigen Platz. In Frankfurt war alles schon größer. Für mich war es beeindruckend, hier bei der Eintracht zu sein. Klar, wenn wir in Dallas oder München gespielt haben, hat man schon gesehen, was möglich ist. Bei uns war es nicht immer leicht, aber ich habe schöne Erinnerungen an die Zeit.Jan Fießer: Als ich 2002 von Waldhof Mannheim zur Eintracht kam, war das für mich ein Privileg. Bei meinem vorherigen Verein, dem VfB Wiesloch, war es ja auch nicht besser. Wir waren solche Umstände gewohnt. Die Leistungszentren, wie wir sie heute kennen, gab es damals in dieser Form noch gar nicht. Die Bedingungen von früher sind mit denen von heute nicht zu vergleichen. Das neue Leistungszentrum war schon ein Riesenschritt für die Eintracht.Mit welcher Motivation seid ihr damals zur Eintracht gekommen?Damir Agovic: Der Traum, Profifußballer werden zu wollen, wuchs bei mir erst in der U19. Als ich zur U16 kam, rückte ich recht schnell in die U17 auf. Ich war glücklich bei der Eintracht zu sein, wollte mich anpassen und das Maximale rausholen, sehen was möglich ist. Damals gab es noch kein Scouting wie heute, man musste sich für größere Aufgaben auch über die Regionalauswahl empfehlen. Später bei der U23 haben wir in der Regionalliga wie Vollprofis gearbeitet. Leider hat eine Verletzung in der Juniorennationalmannschaft von Montenegro damals meine Spielerkarriere schon früh beendet. Aber immerhin war ich auch als Balljunge bei den Profis.Jan Fießer: Ich wollte unbedingt Profifußballer werden. Der Wechsel von Mannheim zur Eintracht war schon ein großer Schritt. Nach der Jugend bin ich zu Hessen Kassel gewechselt, später ging es dann mit Sandhausen und Bielefeld in die zweite Liga. Mein Traum hat sich also erfüllt, wenn auch nicht bei Eintracht Frankfurt.Heute wird großer Wert auf die außersportliche Entwicklung gelegt. Wie sah euer schulischer Werdegang aus?Damir Agovic: Ich habe das Abitur gemacht. Da meine Karriere als Fußballer mit Anfang 20 endete, musste ich mich notgedrungen beruflich anderweitig orientieren. Mein ehemaliger Sportlehrer hat mich an eine Sportagentur vermittelt, in deren Auftrag ich hessenweit auch an Schulen gearbeitet habe. Und da ich einen guten Draht zu Alex Schur hatte, durfte ich bei ihm als Trainer der U19 hospitieren. 2012/13 war ich bereits Co-Trainer der U19 unter dem damaligen Coach Daniyel Cimen.Jan Fießer: Ich habe die mittlere Reife und bin anschließend auf ein Wirtschaftsgymnasium gegangen. Danach habe ich mich auf meine fußballerische Karriere konzentriert. Im Nachhinein war das ein Fehler, ich hätte damals das Fachabitur abschließen sollen.Wie hat sich eure Trainerlaufbahn entwickelt?Damir Agovic: Nach der Hospitanz bei Alex Schur und der Co-Trainer-Tätigkeit bei Daniyel Cimen habe ich die U19 von Viktoria Fulda als Trainer übernommen. Anschließend habe ich vier Jahre lang die U17 des SV Wehen Wiesbaden trainiert und im Frühsommer 2018 sind wir in die Bundesliga aufgestiegen. Danach bin ich als U15-Trainer zurück zur Eintracht gewechselt.  Wir haben eine tolle Saison gespielt, die wir auf dem dritten Platz abgeschlossen haben, außerdem hatten wir die drittbeste Offensive der vergangenen Saison.Jan Fießer: Mir hat das Trainer-Dasein schon als Spieler Spaß gemacht. Als ich noch für die A-Jugend der Eintracht gespielt habe, war ich nebenbei Trainer bei Germania 94. Später dann auch bei kleineren, anderen Vereinen. Wie Damir auch, wurde ich unter Daniyel Dimen Co-Trainer. Die jetzige Aufgabe bei der Eintracht ist meine erste größere Trainerstation nach meiner aktiven Laufbahn.Wie kam es eigentlich, dass ihr wieder zurück zur Eintracht gekommen seid?Damir Agovic: Ich hatte mehrere Angebote, unter anderem aus Hannover – aber ich habe mich für die Eintracht entschieden. Hier entwickelt sich gerade Vieles. Wir haben großes Know-how und Topleute auf engem Raum. Das ist für meine Entwicklung als Trainer sehr wichtig, ich kann viel lernen.Jan Fießer: Ich bin seit 2017  – auch aus familiären Gründen – wieder hier. Ich habe schon sehr lange guten Kontakt zu Holger Müller. Als ich ihm gesagt habe, dass ich gerne Trainer werden will, hat es nicht lange gedauert bis er sich bei mir gemeldet hat. Im Anschluss ging alles sehr schnell und plötzlich war ich Co-Trainer der U17. Als Spieler war ich am Ende der Karriere nicht mehr wirklich motiviert, das sieht jetzt ganz anders aus. Und ehrlich gesagt bin ich inzwischen sogar lieber Trainer als Spieler. Dass ich jetzt mittlerweile Cheftrainer der U17 bin, war einerseits etwas Glück, andererseits denke ich, dass meine Mannschaft und ich am Ende der letzten Saison gezeigt haben, dass wir gemeinsam sehr erfolgreichen Fußball spielen können.Die Zeiten haben sich geändert. Wie hat sich die Eintracht beziehungsweise die Arbeit des Trainers seit eurem damaligen Abschied bis heute aus eurer Sicht entwickelt?Damir Agovic: Vieles von damals ist mit heute gar nicht mehr zu vergleichen. Vor allem das Internet spielt eine große Rolle, auch in meiner Arbeit. Früher gab es für uns als Spieler nur Schule und Fußball, heute haben die Kids viel mehr Möglichkeiten. Auch als Trainer habe ich viel mehr Informationen. Flächendeckendes Scouting oder Videoanalysen des Gegners gab es damals nicht. Wir haben ja noch nicht einmal unsere eigenen Spiele aufgenommen. Heute habe ich mit meinem Co-Trainer Dogan Köksal schon ganz andere Möglichkeiten.Jan Fießer: Gleich geblieben ist vielleicht die Bedeutung von Mentalität, Charakter und Disziplin. Aber ausführliche Taktikschulungen, ein Matchplan, Videoanalyse, das gab es früher nicht, wie Damir schon gesagt hat. Wir kannten unsere Gegner nicht wirklich. Und es gab auch kein Internat. Gerade mit der Videoanalyse beschäftige ich mich derzeit ausgiebig. Als Trainer musst du heute einfach sehr viel beachten und darfst nichts außer Acht lassen.Der Fußball wandelt sich ja ständig, Berater nehmen früh Einfluss, Eltern suchen nach den besten Möglichkeiten für die Spieler, die Konkurrenz schläft nicht und auch Softskills wie Werte spielen eine immer größere Rolle. Wie geht ihr mit den Anforderungen um?Damir Agovic: Nicht die Probleme sehen, sondern die Lösungen finden. Vor dem Fußball steht der Mensch, das Miteinander, aber auch der Respekt vor dem Gegner. Natürlich spielt Geld auch im Jugendbereich schon eine große Rolle. Leipzig oder München sind uns da einige Schritte voraus. Die Verzahnung mit den Profis klappt schon sehr gut, aber auch da können wir weiter daran arbeiten. Als ich damals als junger Spieler am Riederwald einmal den damaligen Eintracht-Profi Ioannis Amanatidis getroffen habe, dachte ich schon: ‚Wow, das motiviert unglaublich.‘Jan Fießer: Aber auch die Konkurrenz durch kleinere Vereine ist größer geworden. Heidenheim oder Ingolstadt bieten beispielsweise gute Bedingungen, gerade was Internatsplätze angeht. Viele Eltern legen Wert darauf, die Spieler vor Ort betreuen zu lassen, Zeit effektiv zu nutzen. Im Umgang mit anderen legen wir großen Wert auf Respekt und Disziplin. Die Spieler sollen jedem die Hand geben, sich auch außerhalb des Platzes benehmen. Die Berater spielen natürlich eine große Rolle, aber damit werde ich eher selten direkt konfrontiert. Und das ist auch ganz gut so, so kann ich mich besser auf meine eigentliche Arbeit konzentrieren.