Die Medienanfragen bei Karl-Heinz Körbel schnellten in der vergangenen Woche in die Höhe, sogar die Daily Mail aus London bekundete ihr Interesse an einem Interview mit dem Bundesligarekordspieler. Der Anlass liegt auf der Hand und zeigt die Bedeutung der Europa-League-Partie der Eintracht beim West Ham United FC. Denn diese Begegnung gab es in einem internationalen Halbfinale schon einmal, verbunden mit vielen kleinen Anekdoten. „Natürlich ist das schon lange her. Aber aufgrund der zahlreichen Gespräche in den vergangenen Tagen ist alles wieder hochgekommen“, sagt Körbel, der auch eine gewichtige Rolle in den beiden Aufeinandertreffen 1976 gegen West Ham spielte. Damals ging es um den Einzug in das Finale im Pokal der Pokalsieger. Die Eintracht wähnte sich nach dem 2:1-Hinspielsieg im Waldstadion durch Tore von Willi Neuberger und Wolfgang Kraus auf einem guten Weg. Doch genau dieser hatte es buchstäblich in sich.
Anreise mit Hindernissen
Denn die Anreise wurde zum großen Problem für die Adlerträger. „Dietrich Weise, unser Trainer, hatte alles akribisch geplant. Der Bus ist die Strecke vom Hotel zum Stadion am Tag vorher abgefahren, da war alles okay“, erinnert sich Körbel. Doch am Spieltag überraschten ein massiver Regenschauer und der ungewohnt hohe Verkehr in der Rush Hour den Eintracht-Tross, der im The Dorchester Hotel an der Park Lane nobel residiert hatte. Körbel weiter: „Die Straßen waren zu, es regnete in Strömen und es wurde immer später. Auf einmal hielt Dietrich Weise den Bus an, unser Zeugwart Toni Hübler holte die gelben Trikots raus und wir zogen uns im Bus um. Übrigens die vielleicht hässlichsten Trikots, in denen wir jemals gespielt haben.“ Nicht mal eine halbe Stunde vor Spielbeginn erreichten die Adler den Upton Park, bis 2016 über 110 Jahre der Spielort von West Ham.
Weise wollte, dass ich nicht in so viele Kopfballduelle gehen musste.
Karl-Heinz Körbel
Immerhin wurden dem Busfahrer keine Prügel angedroht – im Gegensatz zum Lenker des Busses, der Eintracht-Anhänger aus einem Fanflieger vom Luton Airport zum rund 50 Kilometer entfernten Stadion fahren sollte. In diesem saß auch der Journalist Peppi Schmitt, noch heute als Eintracht-Berichterstatter im Dienst. „Fünf Stunden vor Spielbeginn sind wir gelandet, fünf Minuten vor Spielbeginn waren wir erst am Stadion. Zwischendurch ging nichts mehr, ohne Ortskenntnisse in die U-Bahn umzusteigen war uns zu unsicher. Dazu der Regen“, berichtete Schmitt einst in seiner Kolumne für das Klubmagazin „Eintracht vom Main“. Da er später Probleme beim Übermitteln des Textes hatte, fasste er zusammen: „Kein guter Abend“.
Kick and Rush im Upton Park
Im Upton Park erwartete die Eintracht an jenem 14. April 1976 „ein schlammiger Acker“ (O-Ton Körbel). Der Platz lag den Gastgebern wohl eher, wie Dr. Peter Kunter vermutet. „Zwar sind die Bedingungen für alle gleich, aber sie waren es eher gewohnt“, sagt der Torhüter, der dann gleich drei Mal hinter sich greifen musste. Spekulationen ranken sich darum, dass der fliegende Zahnarzt aufgrund seiner langen, nassen Haare nichts gesehen habe und daher die Gegentreffer habe hinnehmen müssen. „Daran lag es nicht“, räumt Kunter persönlich damit auf, auch in Medienberichten ist davon nichts zu lesen. Eher infrage komme laut Körbel ein taktischer Kniff von Dietrich Weise, der ihn aufgrund eines Nasenbeinbruchs aus dem Hinspiel erstmals im Mittelfeld aufstellte. „Weise wollte, dass ich nicht in so viele Kopfballduelle gehen musste“, verriet Körbel dieser Tage EintrachtTV. Die Folge: Bernd Lorenz, nur in jeder zweiten Partie mit Einsatzzeit bedacht und später von den Medien gut bewertet, spielte gegen den bärenstarken United-Stürmer Trevor Brooking, der zwei Mal einnetzte. „Ich war dagegen verloren im Mittelfeld, hatte kaum Ballkontakte beim Kick and Rush der Londoner.“ Gegen Brooking, den er aus einem Länderspiel zuvor schon kannte, gut auszusehen, hätte sich der damals 21-jährige Defensivspieler durchaus zugetraut – zumal es im Hinspiel in Frankfurt funktioniert hatte.
Ich würde am liebsten meine Fußballschuhe mitnehmen. Unsere Jungs müssen die Rechnung von 1976 begleichen.
Karl-Heinz Körbel
Und dann war da noch die Schlüsselszene nach rund einer Stunde, in der der Ausgleich in der Luft lag. Roland Weidle setzte das Leder aus drei Metern an den Innenpfosten, der Nachschuss wurde von einem United-Feldspieler auf der Linie geklärt – vermeintlich mit der Hand, sodass nicht nur Körbel heute noch von einem „klaren Elfmeter“ spricht. Peter Reichel, der im Achtelfinalrückspiel gegen Atlético Madrid in der 88. Minute das goldene 1:0 erzielt hatte, hat insbesondere die vergebene Möglichkeit von Weidle im Kopf. „Wenn Roland mit der Spitze schießt, ist er drin“, sagte er kürzlich anlässlich eines EintrachtTV-Interviews zu seinem 70. Geburtstag. Allerdings war es nur eine von vielen Möglichkeiten, letztlich traf nur Klaus Beverungen zum (zu) späten 1:3.
Dieser bedeutete das Aus gegen Frank Lampard senior (Vater von Ex-Chelsea-Profi Frank Lampard) und Co. nach dem 2:1-Erfolg vom Hinspiel. Teamkollege Pat Holland sagte kürzlich gegenüber der Daily Mail: „Unsere Fans hatten einen großen Einfluss auf das Spiel. Es war aus meiner Sicht die beste Atmosphäre jemals im Upton Park, die ich erlebt habe.“ Ein Fakt, auf den die Gastgeber am Donnerstag wieder setzen können – diesmal im London Stadium.
Drei Wochen später am 5. Mai – in diesem Jahr das Rückspieldatum – verlor West Ham das Finale 1976 gegen den in Brüssel mit Heimvorteil behafteten RSC Anderlecht 2:4. Körbel trauert daher dieser Chance noch 46 Jahre später hinterher: „Ich bin mir sicher, dass wir mit dieser Mannschaft das Finale gewonnen hätten.“ Daher kommt er zu dieser Schlussfolgerung: „Es wird sehr schwer gegen diese disziplinierte, abgezockte und schnelle Truppe, die ebenso wie wir Geschichte schreiben will. Wenn das Flutlicht angeht, sind wir aber hellwach. Ich würde am liebsten meine Fußballschuhe mitnehmen. Unsere Jungs müssen die Rechnung von 1976 begleichen.“