16.04.2021
Historie

„Wie ein kleiner Junge im Mannschaftshotel“

Sein Profidebüt feierte Dirk Wolf für Frankfurt gegen Gladbach. Später schlug er selbst am Niederrhein auf. Ein Gespräch über die Zeit als Adlerträger, das Duell am Samstag und Heimatliebe.

Dirk, du hast insgesamt fünf Jahre den Adler auf der Brust getragen. Was verbindest du mit der Eintracht?
Zuallererst mein Profidebüt. Ich war erst 18 und, rückblickend, ausgerechnet gegen Borussia Mönchengladbach. Stepi [Dragoslav Stepanovic; Anm. d. Red.] hat mich donnerstags angerufen, weil auf der linken Seite ein Engpass entstanden war. Ich hatte zuvor zwar das eine oder andere Mal mit der ersten Mannschaft trainiert, überraschend war die Einladung aber doch. Auf einmal stand ich wie ein kleiner Junge im Mannschaftshotel, alles war so neu für mich. Am Ende wurde ich sogar eingewechselt. Auch wenn es 0:0 ausging, werde ich dieses Erlebnis nie vergessen.

Vor allem, weil du zu deiner Zeit einen Rekord aufgestellt hast: Vom Debüt weg 22 Bundesligaspiele ungeschlagen zu bleiben. War dir das damals bewusst?
Ehrlich gesagt überhaupt nicht. Ich habe erst davon gelesen, als Michael Rensing den neuen Bestwert aufgestellt hat und ich derjenige war, den er überholt hat. Das war 14 Jahre später und mich haben einige Leute darauf angesprochen. Das nimmt man natürlich gerne mit, aber so ist das mit den Rekorden. Irgendjemand stellt immer neue auf. Vor allem liegen heutzutage immer mehr Daten vor, sodass sich automatisch mehr Statistiken ergeben, die sich erheben lassen. Auch solche, die schon länger zurückliegen.

Auch wenn die Dimensionen heutzutage andere sind, weiß Dirk Wolf den Rückhalt der Fans schon seinerzeit zu schätzen.

Sind dir noch weitere Erfahrungen haften geblieben?
Zugegeben ist Rostock 1992 hängengeblieben. Aber genauso auch die Europapokalreisen, etwa nach Neapel und Istanbul. Solche Momente bringen mich immer wieder zum Grinsen. Wobei ich sagen muss, dass sich die Zeiten mit heute nicht mehr vergleichen lassen. Damals wäre es undenkbar gewesen, dass 10.000 bis 15.000 Fans mit nach Neapel oder Łódź reisen. Wir hatten allein bei Heimspielen vielleicht 16.000, 17.000 Zuschauer. Mittlerweile muss man unabhängig vom Gegner froh sein, wenn überhaupt noch Karten vorhanden sind.

Das spricht zweifelsohne für die Entwicklung des Vereins in den vergangenen Jahren, oder?
Die ist unübersehbar. Die Eintracht hat sich nicht nur enorm stabilisiert und hat seit 2016 nichts mehr mit dem Abstieg zu tun, sondern steht auch für einen ganz anderen Fußball. Egal, ob jemand Fan von Eintracht Frankfurt ist oder nicht, kann man sicher sein, dass Spektakel vorprogrammiert ist.

Egal, ob jemand Fan von Eintracht Frankfurt ist oder nicht, kann man sicher sein, dass Spektakel vorprogrammiert ist.

Dirk Wolf

Ein Fingerzeig für Samstag, wenn deine Ex-Klubs Gladbach und Frankfurt aufeinandertreffen?
Ja, ich erwarte ein Spiel, das auch für den neutralen Fernsehzuschauer unterhaltsam sein wird. Ich rechne mit vielen Chancen und Toren. Die Offensivreihen sind durchaus für ein 4:4 oder 3:3 gut. Persönlich habe ich in einer privaten Tipprunde unter Freunden 2:2 getippt. Aber hellsehen kann ich natürlich nicht – gegen Wolfsburg hätte auch keiner damit gerechnet, dass sieben Tore fallen. Ich tue mich zwar schwer, parteiisch zu sein, sehe aber die Eintracht angesichts ihres Monsterlaufs im leichten Vorteil

Wenn man dich so analytisch reden hört, ist es kaum zu glauben, dass du nichts mehr mit Fußball zu tun hast. Kommt manchmal noch der Trainer in dir durch?
Eher der Spieler. Fußball ist immer noch mein Leben, ich interessiere mich unverändert sehr dafür. Wenn ich mir die Spiele anschaue, vergleiche ich die Teams automatisch und erkenne Stärken oder Schwächen. Wenn ich sehe, dass ein Team dreimal hintereinander eine Ecke kurz ausführt, ohne dass der Gegner absichert, denke ich schon, warum der nicht mal einen Spieler herauszieht, um die Situation vorher zu unterbinden. Aber solche Dinge sind letztendlich auch eine Philosophiefrage.

Welche Rolle würdest du dir im modernen Fußball zutrauen?
Tatsächlich überlege ich mir schon manchmal, ob wir mit der heutigen Spielweise noch zurechtkommen würden. Alles ist viel schneller, aber der Vergleich ist trotzdem schwierig. Die Akteure, die heute auf meiner damaligen Position spielen – bei der Eintracht etwa Filip Kostic – sind mittlerweile Maschinen und Allrounder. Als Spieler war ich meistens auf der linken Außenbahn unterwegs. Ich war immer in Bewegung und hatte auch als Offensivspieler das Rückwärtsverhalten verinnerlicht. Später bin ich Jahr für Jahr weiter zurückgegangen und war dann Linksverteidiger. Als ich nach Gladbach gewechselt bin, waren wir eine der ersten Mannschaften Deutschlands, die damals mit einer Viererkette gespielt haben. Das war schon eine Umstellung. Wie überhaupt die Eingewöhnungszeit in anderem Umfeld.

Generell war und ist das Rhein-Main-Gebiet meine Heimat und wird das immer bleiben. Hier fühle ich mich wohl.

Dirk Wolf

Nach zwei Jahren ging es zurück zur Eintracht. Würdest du dich als heimatverbunden bezeichnen?
Das sehe ich auf jeden Fall so, zumal als gebürtiger Marburger. Zu meiner aktiven Zeit bin ich in Darmstadt ansässig geworden und habe meine jetzige Freundin dort kennengelernt. Solche Sachen verbinden. Generell war und ist das Rhein-Main-Gebiet meine Heimat und wird das immer bleiben. Hier fühle ich mich wohl.

Wie ist sah dein beruflicher Werdegang nach der Profikarriere aus?
Nachdem ich in Darmstadt mit dem professionellen Fußball aufgehört habe, war ich noch ein Jahr in Ober-Roden und war anschließend als Trainer für die U23 von Darmstadt tätig. Danach bin ich vom aktiven Fußball weggekommen und wollte in einem Betriebsunternehmen für elektronische Bauteile, das einem Freund von mir gehört, erstmal halbtags arbeiten. Daraus hat sich mittlerweile ein Fulltime-Job entwickelt, der mir seit 15 Jahren großen Spaß macht. Doch auch hier spielt Fußball weiter eine Rolle, der eine oder andere hat früher höherklassig gespielt, was man etwa bei Firmenturnieren, die wir für Kunden veranstalten, sieht. Die ganze Firma ist durch und durch fußballverrückt.

Dirk Wolf im Trainingsduell mit Uwe Bindewald (2. v. l.). Ein Wiedersehen in der Traditionsmannschaft lässt einzig eine Verletzung aus Spielerzeiten nicht zu.

Wäre es daher für dich denkbar, für die Traditionsmannschaft der Eintracht aufzulaufen, wenn es die Lage wieder zulässt?
Das Thema ist in den vergangenen Jahren immer wieder aufgekommen. Doch die Antwort ist ganz einfach: Es geht nicht mehr, weil ich nicht mal 30 Minuten normal joggen kann, ohne dass am nächsten Tag das Knie dick wird. Das hat mir bereits als Spieler Probleme bereitet. Auch als Trainer konnte ich nicht mal im Fünf-gegen-zwei oder bei Laufeinheiten mitmachen. Das ist schon etwas schade, weil ich manchmal noch gerne gegen den Ball treten würde. Aber die Gesundheit geht vor.

Trotzdem hast du dich als Profi davon nie unterkriegen lassen.
Nein, das nicht. Ich wollte immer weitermachen. Auch wenn es Frustmomente gab, habe ich immer gedacht: Das schaffst du nochmal. Wille und Kampfgeist kamen immer durch, auch wenn man natürlich merkt, dass nach einer längeren Pause Geschwindigkeit und Power etwas nachlassen. Nach meiner ersten Verletzung bin ich erst 1994 nach eineinhalb Jahren wieder auf die Beine gekommen. Trotzdem verbinde ich jede Station, auf der ich war, überwiegend mit schönen Erinnerungen.