Die Hoffnung auf einen vorgezogenen Schnupperkurs im Stadtwald musste Aurèle Amenda Ende Mai ad acta legen. Am 23. Juni begegnen sich im letzten Vorrundenspiel der UEFA EURO 2024 Deutschland und die Schweiz, Amenda hatte zum vorläufigen Aufgebot für die Europameisterschaft gezählt; letztlich auch zu den Streichkandidaten. Unter anderem, weil er wie andere Mitstreiter „leider schon von Beginn an durch Verletzungen ausgebremst“ war, wie Nati-Chefcoach Murat Yakin begründete.
Dennoch: Allein die Einladung galt als nächster, fast logischer, Schritt für den 25-maligen Juniorennationalspieler, der nicht nur die U19 seines Landes als Kapitän anführte, sondern auch nach einem 3:1 gegen Albanien um Eintracht-Keeper Simon Simoni Ende März auf Kurs U21-Europameisterschaft liegt.
Paradebeispiel der YB-Schmiede
Allein ein Blick auf den aktuellen EM-Kader der Schweiz legt nahe, dass der aus dem Berner Kanton Bienne stammende Amenda beim BSC Young Boys eine Ausbildung erster Güte erhalten hat. Vier Nationalspieler entstammen der YB-Schmiede. Der Seeländer schloss sich den Hauptstädtern als Elfjähriger an.
Grenzen kannte seither irgendwann einzig die Körpergröße. Von 1,94 machte er nochmal einen Sprung auf 1,97 Meter. Da war er schon fester Bestandteil der ersten Mannschaft. Beförderung zum Profi mit 18 Jahren im Dezember 2021, Debüt in der Schweizer Super League im Februar 2022 unter dem gebürtigen Frankfurter David Wagner beim 3:1-Erfolg über den FC Basel.
„Aurèle Amenda ist ein spannender Spieler mit herausragenden Fähigkeiten. Wir wollen ihn gezielt weiterentwickeln, damit er sich auch auf Profistufe entfalten kann“, bekundete Christoph Spycher, seinerzeit Sportdirektor, mittlerweile Sportvorstand.
Der frühe Durchbruch erfolgte in der Folgesaison 2022/23, als Amenda mit 16 Liga- und vier Pokaleinsätzen zum Gewinn des Doubles aus Meisterschaft und Cup beitrug.
In Topelf 2023/24
Im Sommer vergangenen Jahres war aus dem sprichwörtlich großen Unbekannten ein gefragter Newcomer geworden. Wiederum eine Spielzeit später ist Amenda nachweislich ein Star der Schweizer Eliteklasse: Die Swiss Football League wählte Amenda ebenso in das Team des Jahres wie die abstimmenden Spieler im Rahmen des Golden Player Awards 2023/24.
Die Rolle des Manndeckers auf dem Weg zur Verteidigung des Meistertitels war in der Rückrunde nochmals exponierter, nachdem sich der routinierte 32-jährige Abwehrchef Loris Benito das Kreuzband gerissen hatte. Amenda hielt die Stellung und verzeichnete neben 23 Ligapartien auch vier in der UEFA Champions sowie zwei in der Europa League.
Er bringt unheimlich viele Fähigkeiten mit, ist groß, schnell und hat eine gute Technik.
Sportvorstand Markus Krösche über Aurèle Amenda
Entsprechend angetan äußerte sich Eintracht-Sportvorstand Markus Krösche im Zuge der Verpflichtung vor vier Monaten gegenüber EintrachtTV: „Ein Spieler, der eine sehr hohe Qualität und auch schon viel Erfahrung gesammelt hat – sowohl in der Schweizer Liga als auch in der Champions League. Er bringt unheimlich viele Fähigkeiten mit, ist groß, schnell und hat eine gute Technik. Wir freuen uns sehr, dass er im Sommer zu uns stößt.“
Inspirationsfigur Kobe Bryant
Amenda selbst bezeichnete sich nach der Vertragsunterschrift als „zweikampfstark. Ich bin auch mit dem Ball gut. Vor allem will ich immer gewinnen. Egal ob im Training oder im Spiel.“ Ein Vorbild hat er dabei nicht auf Rasen, sondern auf Parkett ausgemacht: „Meine Inspiration ist Kobe Bryant“, die am 26. Januar 2020 bei einem Helikopterunfall ums Leben gekommene NBA-Legende, die über zwei Jahrzehnte den Basketball geprägt hat. „Jeden Tag mit dem Willen aufstehen, besser als gestern zu werden. Diese Einstellung gefällt mir.“
Nachholbedarf sieht der 20-Jährige augenzwinkernd in der Sprache: „Ich spreche sehr gut Schweizerdeutsch, aber kein richtiges Deutsch. Ich verstehe alles, aber ich spreche nicht perfekt. Doch mit der Zeit wird das schon.“
Geduld muss Amenda auch mitbringen, wenn es um sein erstes Profitor geht – auch wenn es nicht der Kernkompetenz eines Defensivspezialisten entsprechen muss: „Bei Eintracht Frankfurt werde ich auf jeden Fall mein erstes – und gleichzeitig nicht letztes – Tor schießen!“ Seine beste Torquote in Wettbewerben mit zehn oder mehr Einsätzen hat er übrigens in der UEFA Youth League zu verzeichnen: drei Treffer in zehn Partien. Kein schlechtes Omen für die auch im kommenden Jahr international vertretenen Adlerträger.
Auf den Spuren von Djibril Sow
Anschauungsunterricht liefert dahingehend sicher das stürmische Abwehrass Sergio Ramos, Amendas „Lieblingsspieler, weil er ein Leader, ein Kämpfer ist. Er spielt defensiv aggressiv und offensiv sehr stark.“ Und mit mittlerweile 38 Lenzen beim FC Sevilla, den er wieder verlassen wird, an der Seite von Djibril Sow. Noch so eine Connection.
Eintracht-Schweizer Nummer 14
Sow wechselte wie nun Amenda 2019 von den Young Boys zu der Eintracht und verabschiedete sich 2023 in Richtung Andalusien. „Ich hatte Djibi am Telefon und von ihm nur positive Sachen gehört. Deshalb war mein Plan klar, dass ich nach Frankfurt kommen möchte“, verrät Amenda. Selbst dessen Vorgesetzter Spycher, einst Linksverteidiger am Main, ermunterte ihn zum Schritt weg aus der Alpenrepublik und ins Herz von Europa: „Spycher hat mir nur gute Sachen über Frankfurt gesagt.“ Folglich „wollte ich auch nach Frankfurt kommen. Gute Spieler waren hier, die ich gesehen habe.“ Unter den Schweizern ist Amenda Nummer 14.
Ganz wie seine Vorgänger möchte sich auch der gar nicht so unerfahrene Young Boy „gut in die Mannschaft integrieren, meine Qualitäten zeigen und dabei mitwirken, dass der Verein erfolgreich ist.“
Wegen einer Sehnenverletzung im Oberschenkel steht erstmal Reha auf der Agenda. Bei gutem Heilungsverlauf könnte es im August mit dem ersten Mannschafstraining klappen. Das wäre ein paar Wochen nach dem Vorbereitungsstart der SGE. Aber Amenda ist ja nicht für fünf Wochen gekommen, sondern für fünf Jahre: der Kontrakt der neuen Abwehrhoffnung läuft bis 2029.