23.05.2024
Team

Einer wie keiner

Der Kapitän ist von Bord gegangen. Das Fußball- und Eintracht-Leben von Sebastian Rode in 17 Sequenzen.

So viel Kitsch musste sein. Die letzte Eintracht-Szene dieser Saison, die allerletzte Aktion in der Karriere des Sebastian Rode: Ein Elfmetertor zum 13:1-Endstand im zweiten „Eintracht in der Region“-Spiel in Dreieich gegen den indirekten Vorgängerverein der Eintracht, den VfL Germania 1894. „Es war schön, nochmal ein Tor zu machen, gerade zum Abschluss. Danke an Timmy, der so eiskalt war, und einen Elfmeter herausgeholt hat“, bekundete die Nummer 17 hinterher grinsend. Warum sich gerade Chandler dermaßen aus dem Häuschen zeigte, ist kein Zufall – rührt zu den Anfängen und bildet die erste von 17 Anekdoten.

1. Vom Gegner in Grünberg zum Freund fürs Leben

Sebastian Rode und Timothy Chandler auf dem Frühjahresempfang in der Alten Oper.

„Seppl ist ein Arbeitskollege, aber auch ein sehr, sehr guter Freund für mich“, schwärmt Timothy Chandler in der zweiteiligen Sky-Produktion „Kapitän, Kämpfer, Comebacker – die Sebastian Rode Story“. Die Eintracht-Urgesteine sind nicht nur auf dem Platz durch dick und dünn gegangen, sondern auch außerhalb. Was nur die wenigsten wissen: Im Jugendbereich waren die heutigen Mitdreißiger knallharte Konkurrenten, trafen im Rahmen der Hessenauswahl direkt aufeinander. Rode vertrat den Bezirk Darmstadt, Chandler verteidigte schon damals die Frankfurter Farben.

2. Der prägendste Trainer

14 Profitrainer zählt das Fußballportal transfermarkt.de. Der nach Aussage von Rode bei der Hessenauswahl und Kickers Offenbach größte Förderer fehlt in dieser Liste: Günter Wegmann, der neulich per Videogruß im hr-heimspiel ein Gespräch zwischen Meister und Lehrling wiedergab: „Du warst 16 Jahre, als ich dir einen Wunsch für die Zukunft formulierte: Sei dominanter, sei energischer auf dem Platz. Geh‘ mehr aus dir heraus. Fordere deine Mitspieler und gehe noch stärker voran.“ Rückblickend scheint diese Botschaft mehr als angekommen zu sein.

3. Der erste Titel

Neben dem Europa-League-Triumph mit der Eintracht 2022 gewann Rode zuzeiten in Dortmund und München je zwei Mal den DFB-Pokal und die Deutsche Meisterschaft – sowie 2009 und 2010 unter Hans-Jürgen Boysen mit dem OFC den Hessenpokal.

4. Der nächste Schritt

Wenn Sebastian Rode seine Laufbahn zusammenfasst, fallen in der Regel nicht mehr als zwei unterschiedliche Worte: Step by step oder Schritt für Schritt. Über den SVK Hähnlein zum FC Alsbach ging die Reise weiter über Griesheim, Darmstadt, Frankfurts Nachbarstadt und schließlich 2010, mit dem Abi in der Tasche, direkt in die Mainmetropole. Erstmals Bundesliga.

5. Das erste Mal Oberhaus

Bis Rode zum ersten Mal ans Tor zur Bundesliga klopfte, dauerte es nicht zuletzt wegen eines Knorpelschadens etwa ein halbes Jahr: 21. Januar 2011, Volksparkstadion Hamburg. Nicht als Abräumer und Antreiber, wie ihn die Fußballwelt kennengelernt hat, sondern als Innenverteidiger neben Ricardo Clark.

„Das erste Bundesligaspiel werde ich nicht vergessen. Ich hatte auch in der Jugend nie Innenverteidiger gespielt“, erinnert sich Rode in seiner Abschiedsdoku an die Premiere unter Michael Skibbe.

6. Das erste Tor in Deutschlands Beletage

23. April 2011 – ausgerechnet gegen den FC Bayern München gelingt Seppl der Führungstreffer. Von der Art und Weise kurz vor der Strafraumkante liegen Vergleiche zum 2:0 gegen SL Benfica acht Jahre später nahe. Am Ende steht gegen den Rekordmeister ein 1:1.

„Ich habe nicht viele Tore gemacht. Das erste aber gleich gegen Bayern, zu Hause. Ein absolut geiles Gefühl!“

7. Der Abstieg

Weniger geil war die Stimmung einen Monate später. Und doch zählt Sebastian Rode wohl auch 13 Jahre nach dem letzten Abstieg der SGE-Geschichte zu denjenigen Protagonisten, die jener Rückrunde etwas Positives abgewinnen konnten. Zumindest im individuellen Sinne, wie der Leader klarstellt: „Es gab keinen Gedanken, die Mannschaft zu verlassen. Es war eine sehr schlechte Rückrunde. Für mich persönlich lief es besser, als Christoph Daum kam, und mich immer wieder spielen ließ. Außerdem wollte ich wieder aufsteigen, es wieder gut machen. Das hat wunderbar funktioniert!“

8. Vom Main an die Isar

Weiter geht es Step by step: 2014 ruft der FC Bayern München. Der damalige Sportvorstand Matthias Sammer präsentiert Rode liebevoll als „Giftzwerg“, was er wie folgt begründet: „Super Charakter. Super Teamplayer. Macht alles für die Mannschaft. Wenn ich mir so einen backen dürfte, wäre es Seppl Rode.“

9. OP der letzte Ausweg

Die Wertschätzung stieg weiter, körperliche Probleme blieben ebenso wenig die Ausnahme. Gerade Knie und Knorpel machten sich im Laufe der Jahre bemerkbar. In Dortmund laborierte Rode schließlich an der Leiste, eine Operation schien der letzte Ausweg. „Ich habe mit dem Gedanken gespielt, dass falls die Operation nicht den gewünschten Erfolg bringt, ich eventuell aufhöre mit Fußball, weil es sonst keinen Sinn gemacht hätte“, verriet Rode in „Kapitän, Kämpfer, Comebacker“.

10. Rückkehr als Fortschritt

Ebenfalls zur Sprache kam freilich die Rückkehr vom Ruhrgebiet ins Herzen von Europa. „Ich war extrem dankbar, dass Bruno Hübner wieder den Kontakt gesucht hat und war sofort Feuer und Flamme“, schildert Rode seine Gedanken und Gefühle.

Bereits im ersten Halbjahr 2019 überflügelt Rode mit seinen Adlern halb Europa, wirft die drei Champions-League-Teilnehmer Donetsk, Internazionale Milano und SL Benfica aus der Europa League, zieht erst im Halbfinale gegen den Chelsea FC den Kürzeren – und sich im Rückspiel an der Stamford Bridge erneut eine Knorpelverletzung zu. Trotz der physischen Talsohle für den Mann von der Bergstraße: die hellsten Sternstunden sollten noch warten.

11. Captain Rode

Der Blick ging nach vorne, 2020 war erst im DFB-Pokalhalbfinale Schluss und 2021 beendete die Eintracht in der Bundesliga auf Platz fünf. Der neue Cheftrainer Oliver Glasner bestimmte Rode als Nachfolger des im Januar nach Argentinien zurückgekehrten Capitano David Abraham.

12. Geschichte geschrieben

Am 18. Mai 2022 um kurz vor Mitternacht stand fest: Eintracht Frankfurt ist Europa-League-Sieger!

Das erste Mal nach 42 Jahren hielt die SGE eine internationale Trophäe in den Händen. Die Hitzeschlacht von Sevilla gegen die Glasgow Rangers war dabei sicher nur der Schmelztiegel vieler Extreme hin zu Europas bester Party.

Betis Sevilla – erstmals seit der Coronapandemie wieder mit der organsierten Fanszene im Rücken.

FC Barcelona – die Geburt von La Bestia Blanca.

Sebastian Rode bei der Platzwahl im Camp Nou.

West Ham United – London reloaded und Seifenblasen, die diesmal für die Engländer platzten.

Und dann der dritte und entscheidende Flug nach Spanien während jener Saison: Ein Stadtbild, das beide Fanlager so frenetisch wie friedlich zum Fußballeldorado verwandelten; eine Choreografie der weißen Wand, die schon beängstigend schön war.

Ein Captain Rode, der den Tacker und den Turban dem Knock-out vorzog, nach fünf Minuten vollgeblutet den ersten Trikottausch nötig hatte und 24 Stunden später auf dem Römerbalkon – nachdem die Trophäe wieder den Weg zu ihrem rechtmäßigen Besitzer gefunden hatte – in die Menge brüllte: „Da ist das Ding!“

13. Charakterkopf in der Königsklasse

Im Spätherbst darauf das nächste historische Kunststück mit der SGE: Der Achtelfinaleinzug in der Königsklasse. Im letzten Gruppenspiel bei Sporting Lissabon war Frankfurt zur Halbzeitpause Letzter in der Blitztabelle, mit der Einwechslung von Rode wendete sich das Blatt.

Man of the Match in Lissabon: Sebastian Rode.

„Mit Seppl Rode kam der Schlüsselspieler rein, der die Struktur geschaffen hat und unser Motor war. Er hat sehr viel Erfahrung und gibt gerade den jungen Spielern viel Halt. Er erfüllt diese Rolle, die wir und er selbst von ihm einfordert“, unterstrich Sportvorstand Markus Krösche hinterher.

14. Das Rätsel der Nation

Die Stimmen, Sebastian Rode zur Weltmeisterschaft 2022 mitzunehmen, mehrten sich, außerhalb Frankfurts tat sich etwa Lothar Matthäus als großer Fürsprecher hervor. Es kam anders beziehungsweise es blieb beim Alten.

15. Der Überzeugungstäter

„Es gab sicher Momente, in denen ich gedacht habe, dass ich gerne ein Länderspiel gemacht hätte, wenn meine Knie gesund geblieben wären. Doch die glücklichen Sachen des Lebens sind andere: Gesundheit, Familie und Freunde. Ich bin sehr, sehr zufrieden mit meiner Karriere und würde nichts anders machen“, vertrat Rode im März seine Überzeugung.

Ich bin sehr, sehr zufrieden mit meiner Karriere und würde nichts anders machen.

Sebastian Rode

„Gibt immer 100 Prozent direkt rein“, so Chandler, „gnadenlos gegen sich selber“, so Götze, „es hat ihn verfolgt, aber auch ausgezeichnet“, so Schwegler, „das ist meine Spielweise, die hat mich dahin geführt, wo ich jetzt sitze, daher bereue ich nichts“, so Rode bei Sky.

16. Abseits des Platzes

Natürlich hätte jeder Seppl Rode ein letztes Fußballjahr mit weit mehr Minuten auf dem Platz statt in der Reha gewünscht. Gleichzeitig ist der waschechte Südhesse keiner, der sich allein auf das Profidasein beschränkt. Seit 2012 etwa fungiert er als Botschafter des hessischen Landespräventionsrates, um nur das prominenteste Beispiel der sozialen Tätigkeiten zu nennen.

Beispielhaft für die Nähe zur Basis auch das unvergessene Bild, als er das Heimspiel Anfag Mai gegen Leverkusen auf Einladung der Fans 90 Minuten singend und klatschend in der Nordwestkurve verbrachte. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im ProfiCamp spendierte er kürzlich mit Makoto Hasebe ein feudales Mahl an Schnitzel mit Grie Soß‘.

17. Die Zukunft

Die Geschäftsstelle wird Rode, selbst Inhaber der Trainer B-Plus-Lizenz, fürs Erste hinter sich lassen. Im Herbst macht er zunächst eine große Reise nach Neuseeland. Dann lasse sich abschätzen, wie es den zwei kleinen Töchtern gefalle und ob die Reise weitergehe. Die mit der Eintracht erfährt, so hoffen alle, nur eine Unterbrechung. Ganz sicher.