21.04.2020
Interview

„...dann werde ich die Spiele umso mehr genießen“

Jetro Willems erlebte nach seiner Leihe zu Newcastle United einen Höhenflug mit schuldloser Bruchlandung. Warum ihm die Vergangenheit dennoch hilft, um sich auf die Zukunft zu freuen.

Jetro, das Wichtigste zuerst: Wie geht es dir nach deinem im Januar erlittenen Kreuzbandriss?
Ich fühle mich wirklich gut. Ich bin wie zumeist in den vergangen Wochen daheim in meiner Wohnung. Momentan halte mich bei meiner Familie in den Niederlanden auf, wo ich mich etwas zurücknehmen kann. Das Knie fühlt sich immer besser an, ich befinde mich auf einem guten Weg, blicke nach vorne. Alles ist gut.

Wie verläuft deine Reha?
Das Aufbauprogramm absolviere ich derzeit in den Niederlanden und arbeite aktuell vermehrt im physischen Bereich, davon viele Übungen zu Hause im Kraftraum. Auch Laufeinheiten gehören natürlich dazu, ich arbeite in vielen verschiedenen Bereichen, nicht nur bezogen aufs Knie, sondern ganzkörperlich.

Aber du treibst bestimmt nicht den ganzen Tag Sport?
Nein, doch viel mehr bleibt dennoch nicht, weil ich das Haus nicht verlasse. Dafür habe ich mehr Zeit für die Kinder oder spiele PlayStation und schaue Serien wie aktuell „Narcos: Mexiko“.

So manch zuletzt verletzter Spieler kann der Coronapause sogar etwas Gutes abgewinnen. Siehst du das ähnlich?
Das bietet mir tatsächlich die unverhoffte Möglichkeit, mehr Zeit zu haben, bis der Spielbetrieb wieder läuft. Auf der anderen Seite hätte ich mir insgesamt andere Umstände gewünscht. Der Zeitpunkt ist so gesehen zwar der richtige, aber gewünscht hätte ich mir und allen anderen Menschen solch eine Situation natürlich nicht.

Auch die Europameisterschaft findet ein Jahr später statt.
Natürlich möchte ich diesen Umstand nutzen, um nicht nur schnellstmöglich wieder fit zu werden, sondern mich darüber hinaus weiter zu verbessern und mich vielleicht für die Nationalmannschaft zu empfehlen. Aber das ist noch weit weg, ein Schritt nach dem anderen.

Am Wochenende hast du auf Instagram ein Bild mit dem niederländischen Meistertitel vor fünf Jahren gepostet. Was bedeuten dir solche Erinnerungen?
Ich vergegenwärtige mir dadurch einfach immer wieder, was ich im Fußball bislang erreicht habe und wieder erreichen möchte. Der DFB-Pokalsieg mit der Eintracht 2018 gehört genauso dazu. Gerade in der aktuellen Phase dienen solche Erlebnisse als zusätzlicher Ansporn, wieder auf den Platz zurückzukehren und, wenn sich die Möglichkeit ergibt, weitere Titel zu gewinnen.

Erst die schwere Verletzung, nun die Pandemie – würdest du sagen, ein anderes Bewusstsein für die eigene Gesundheit entwickelt zu haben?
Ja, auf jeden Fall! Durch derartige Extremerfahrungen betrachtet man das Leben automatisch von einer anderen Seite und kommt auf viele andere Gedanken. Es ist eine schwierige Zeit, die aber vorübergehen wird. Dann möchte ich wieder bereit sein.

Zumal du vor dem Jahreswechsel auf erfolgreiche Monate blicken kannst. Was kannst du uns von deinen Erfahrungen in England berichten?
Es war die erwartet tolle Erfahrung, in einer großen Liga mit und gegen viele große Spieler anzutreten. Ich hatte bis zu meiner Verletzung eine gute Zeit in Newcastle und habe es mit den schwerstmöglichen Gegnern wie dem amtierenden Champions League-Gewinner Liverpool FC zu tun bekommen. Für diese Spiele bin ich Fußballer geworden. Zuvor kannte ich solche Mannschaften nur aus dem Fernsehen. Einfach jeder spricht darüber, es geht in fast jeder Partie spannend zu. Die Fans sitzen nur einen Meter vom Spielfeld entfernt, alle sind nah beieinander, das habe ich bis dahin überhaupt nicht gekannt.

Du hast Liverpool angesprochen. Gegen die Reds gelang dir in deinem dritten Premier League-Spiel gleich ein Traumtor.
Das war schon Wahnsinn, erst gegen Liverpool und später gegen Manchester City zu treffen – ausgerechnet gegen die zwei besten englischen Vereine. Und dann noch als Außenverteidiger!

In den Niederlanden pausiert die Liga bis mindestens Juni. Was bekommst du aus deiner Heimat mit?
Niemand kann mit Gewissheit sagen, wie sich die Lage entwickelt. Eigentlich wollen alle, dass es weitergeht, sind aber auch von der Entscheidung der FIFA abhängig. Es ist eine schwierige Situation.

Inwieweit hast du die Entwicklung der Eintracht in dieser Saison verfolgt?
Durchaus intensiv. Ich habe die Spiele im Fernsehen gesehen, war vier Mal in Frankfurt zu Besuch und tausche mich regelmäßig mit den Jungs aus. Vor allem mit Jonathan de Guzman, Goncalo Paciencia und Danny da Costa schreibe ich viel, aber auch mit den anderen Spielern ab und an.

Dann wird dir nicht entgangen sein, dass es nach der Winterpause einen Systemwechsel gab und es die Linksverteidigerposition wieder gibt...
Interessante Überlegung (lacht). Aber das sind Gedanken, die sich die Verantwortlichen machen müssen. Ich weiß nicht, wie der Verein plant. Am allerwichtigsten ist für mich aber ohnehin, wieder gesund zu werden. Darauf liegt mein ganzer Fokus, alles andere wird die Zeit zeigen.

Wann glaubst du, wieder auf dem Platz stehen zu können?
Verläuft alles nach Plan, im August. Meldungen, es würde noch länger oder gar bis 2021 dauern, sind schlicht falsch. Überhaupt sollten wir uns mit ganz anderen Fragen beschäftigen, wenn es soweit ist. Denn ich hoffe zwar, dann wieder vor Fans spielen zu können, weiß aber auch, dass das in absehbarer Zeit schwierig darstellbar sein wird. Doch wenn auch das irgendwann überstanden ist, werde ich die Spiele umso mehr genießen. Das gilt genauso für das Leben, das wir bis vor kurzem als selbstverständlich angesehen haben.