05.08.2019
Spurensuche

Fußball im Ghetto Theresienstadt

Gleich zwei Veranstaltungen widmete das Projekt „ Frankfurt – Theresienstadt – Eine Spurensuche“ dem Thema Fußball im Ghetto.

Dies alleine tönt schon verwunderlich. Fußball? Im Ghetto? Während die Vernichtung tobte? Und es klingt auf den ersten Blick noch absonderlicher, wenn man erfährt, dass es im Ghetto Theresienstadt sogar von 1943 bis 1944 über anderthalb Jahre hinweg eine organisierte Fußballliga gab – die Liga Terezin.Bilder eines Fußballspiels, dem sogenannten „Superpokalfinale“ wurden von den Nationalsozialisten auch für den Propagandafilm „Bericht aus einem jüdischen Siedlungsgebiet“ gedreht und in erstaunlicher Länge neben anderen Aufnahmen eines vermeintlichen Alltagslebens verwendet. Nahezu alle der Protagonisten vor und hinter der Kamera wurden kurz nach den Aufnahmen ermordet. Diese Filmaufnahmen bezeugen neben Zeitzeugenaussagen, dass im Ghetto tatsächlich Fußball gespielt wurde. Tausende Zuschauer drängten sich in der Dresdner Baracke, um dem Spiel beizuwohnen – nur ganz wenige von ihnen überlebten das Ghetto – ebenso wie nur wenige Spieler die Befreiung des Lagers erlebten. Und dennoch hatte der Fußball, ähnlich wie kulturelle Veranstaltungen für Akteure wie Zuschauer eine eminent wichtige Bedeutung.

Fußball unterm gelben Stern

František Steiners Buch „Fußball unterm gelben Stern“ beschäftigt sich genau mit jenem Thema. Erstmals erschienen 2009, legte Dr. Stefan Zwicker 2017 eine übersetzte und behutsam korrigierte und ergänzte deutsche Fassung vor. Mit Dr. Stephan Zwicker war Peter Dippold zu Gast im Museum, der sich in seinem Buch „Lindenstraße“ mit der fiktiven Biographie eines jüdischen Frankfurter Jungen befasst, dessen Herz schon in Friedenszeiten an der Eintracht hängt. Paul Wegener, genannt „Pille“ wächst im Frankfurt der Zehner und Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf, kickt für sein Leben gern, zunächst im Grüneburgpark und später sogar im Trikot der Frankfurter Eintracht. Mit der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten gerät sein Leben aus den Fugen. Zwar darf er noch eine Weile für die Eintracht spielen, eine traurige Odyssee beginnt jedoch, als er wie so viele endgültig aus dem Verein ausgeschlossen wird. Eine Odyssee, die Paul über Frankreich ins Ghetto Theresienstadt führt. Dort spielt er Fußball, bis er aus dem Lager in den Osten, die Vernichtung, deportiert wird. Angelehnt ist die Biographie Pauls an die Geschichte von Jule Lehmann, welcher der letzte bekannte jüdische Fußballer während der NS-Zeit im Trikot der Frankfurter Eintracht gewesen war – und dessen Schicksal ihn gleichfalls in den sicheren Tod führte. Fußball im Ghetto, das hieß für wenige Momente Mensch sein, das Unglück und das Leid vergessen zu können. Und es waren nicht nur einfache Jungs, die dort kickten sondern auch ehemalige tschechoslowakische Nationalspieler wie Paul Mahrer oder der Torhüter Fritz Taussig vom DFC Prag. Sie spielten in Mannschaften die nach Institutionen des Ghettos wie Fleischer, Elektriker oder Kleiderkammer benannt waren oder dem Namen nach wie echte Clubs klangen, dem FC Wien oder Fortuna Köln. Die Gesichter der Teams bildeten sich oft, viel zu oft, neu, was daran lag, das einstige Mitspieler Knall auf Fall deportiert wurden und Neuankömmlinge deren Platz einnahmen – bis auch diese wieder in ihr ungewisses Schicksal fahren mussten. Jugendliche Zuschauer fertigten unter großer Mühe handgefertigte Spielberichte an, die sie sich gegenseitig vorlasen. Peter Erben, einer der wenigen Überlebenden des Ghettos, damals Verteidiger der Jugendfürsorge, brachte das Wesen des Fußballs im Ghetto nach seiner Befreiung auf den Punkt: Der Fußball war das Leben.

Die Macht der Bilder

Gefragt nach der Motiven der Nazis für einen Propagandafilm aus dem Ghetto, fielen Dr. Zwicker zwei Aspekte auf. Einerseits planten die Nazis, sich mit diesen Bildern aus der historischen Verantwortung stehlen. Kurz vor der bestehenden Kapitulation begannen sie, alles Belastende zu vernichten. Hätte der Plan funktioniert, hätten sie nach Kriegsende einen Alltag des Ghettos zeigen können, der im Gegensatz zur grausamen Wirklichkeit der Lager und KZs im Film nahezu an ein unbeschwertes Sommerlager erinnert. Andererseits hätten die Bilder zu Propagandazwecken den Deutschen suggeriert, dass Juden ein unbeschwertes Leben lebten, während die Deutschen zerbombt wurden und auf den Schlachtfeldern des Krieges für Volk und Vaterland starben. So weit kam es Gott sei Dank nie, der Film wurde bis zum Ende der Diktatur nie öffentlich gezeigt, und die Gräuel der Nationalsozialisten ließen sich nicht verheimlichen – auch wenn es seitens der Täter viel zu lange gedauert hat, sich der Historie zu stellen. Es waren die Kinder der Täter, die Enkel, die nachfragten. Die Opfer aber konnten nicht mehr reden. Und den wenigen, die überlebten, wurde lange kaum Gehör geschenkt.Eine sehr private Geschichte erzählt der Film „Liga Terezin“ von Oded Breda - wobei der Dokumentarfilm weit über das Private hinaus geht. Oded Breda, dessen Vater Moshe sich durch Flucht nach Palästina dem Holocaust physisch entziehen konnte, entdeckte in jenem Nazi Propagandafilm seinen eigenen Onkel beim Fußballspiel im Ghetto. Fortan begab er sich auf Spurensuche und Peter Erben, der letzte Überlebende der Fußballer, bestätigte ihm, dass Odeds Onkel Pavel tatsächlich im Lager Fußball gespielt hatte. Doch auch Pavel wurde nur wenige Monate nach dem Entstehen der Filmaufnahmen ermordet. Aus der Spurensuche Oded Bredas, aus Zeitzeugengesprächen, Besuchen in Theresienstadt und dem einstigen Wohnort Pavel Bredas in Brno/Brünn im heutigen Tschechien aber auch aus Reflexionen aus heutiger Sicht, entstand 2012 der berührende Film „Liga Terezin“, den die Fanbetreuung gemeinsam mit dem Eintracht Museum im Museum selbst unter Anwesenheit des Produzenten Oded Breda zeigte. Wie zuvor bei der Vorstellung der Bücher „Lindenstraße“ und „Fußball unterm gelben Stern“ war auch Helmut „Sonny“ Sonneberg zu Gast, der als Kind von Frankfurt aus ins Ghetto verschleppt wurde und das Glück hatte, zu überleben – um nach Jahren des Schweigens nun über seine Zeit im Ghetto zu reden. Als Sonny seinerzeit ins Ghetto kam, war die Liga Terezin schon Geschichte, Fußball gespielt aber wurde immer noch und der kleine Sonny guckte zu.

Liga Terezin

Der Film Liga Terezin verweist neben der historischen Spurensuche auch auf heute noch stets präsenten Antisemitismus, auf antisemitische Fangesänge aber auch auf Solidarisierung beziehungsweise von Anhängern von Ajax Amsterdam – wobei Oded Breda betont, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehr viel im Kampf gegen Antisemitismus auch von offiziellen Stellen bewegt wurde, wenn auch bei weitem nicht genug. Der Film zeigt aber auch die Sprachlosigkeit der Opfer oft noch nach Jahrzehnten auf. Während der einstige Fußballer Peter Erben Worte gefunden hat, so findet Odeds Vater Moshe auch noch heute keine Worte über das Unglück, welches ihm und Millionen anderen Juden seitens der Nazis widerfahren ist. Bedrückend auch eine scheinbar belanglose Szene als Oded Breda in Brünn vor dem einstigen Wohnort seines Onkels steht und den jetzigen Bewohner fragt, ob er auf Grund dieser Vorgeschichte einen Blick in die Wohnung werfen könne – was dieser zögerlich ablehnt und wortlos das Fenster schließt.Im abschließenden Gespräch offenbarte sich, dass sich unter dem Schlagwort „Nie wieder!“ für Oded Breda etwas im Kern anderes verbirgt als für diejenigen, die aus Deutschland kommen – eine Erkenntnis, für die auch Breda eine Zeitlang gebraucht hat. Während es ihm darum ging, dass das jüdische Volk so etwas wie den Holocaust nie wieder erleben darf – und entsprechende Vorbereitungen treffen muss, um „Nie wieder!“ zu realisieren, um sich zu schützen, so wirkt der Begriff für die Nachfolger der Täter in der Hinsicht, dass jeder dafür sorgen müsse, jeden Ansatz, der in Richtung der Shoa verweist, im Keim zu ersticken. Die einen dürfen es nie wieder erdulden, die anderen nie wieder machen. Denn letztlich – und dies ist eine der Thesen des Films, war der „Holocaust extremly human“, sprich der Holocaust war nicht unmenschlich, sondern extrem menschlich, von Menschen erdacht und umgesetzt.Ein herzliches Dankeschön geht an Dr. Stefan Zwicker, Peter Dippold, Oded Breda und Adam Lahav, der so fabelhaft übersetzt hat. Ebenso an alle Gäste und natürlich Helmut „Sonny“ Sonneberg.