07.07.2024
Historie

Grabi zum Achtzigsten!

Vor 50 Jahren wird Deutschland Weltmeister – mit den Eintrachtlern Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein. Am Tag des Triumphs feiert Grabi seinen 30. Geburtstag. Am 7. Juli wäre er 80 geworden.

Am Tag des WM-Finals gegen die Niederlande war Jürgen Grabowski glänzend aufgelegt. Nachdem das Foul an Bernd Hölzenbein den Elfmeter zum Ausgleich ermöglichte, spielte Grabi in der 43. Minute von Höhe der Mittellinie einen maßgeschneiderten Steilpass auf Rainer Bonhof, der flankte in die Mitte und Torjäger Gerd Müller erzielte den vielumjubelten Siegtreffer. Der Titelgewinn von München war ein Höhepunkt in Grabis Karriere. Nach 44 Länderspielen, in denen er fünf Tore erzielt hatte, trat er aus der Nationalmannschaft zurück. Als Weltmeister.

Seit der junge Jürgen Grabowski 1965 vom FV Biebrich zur Eintracht gewechselt war, war er ein Thema für die Nationalmannschaft. 1966 zählte er erstmals zum WM-Kader, blieb in England aber ohne Einsatz. 1970 avancierte er in Mexiko zum „besten Einwechselspieler der Welt“, eine Zuschreibung, die ihn Zeit seines Lebens ärgerte: „Als Fußballer willst du kein guter Einwechselspieler sein, du willst spielen“, berichtete Grabi.

Und das tat Grabi bei der Weltmeisterschaft 1974. In der Gruppenphase war er Stammkraft, bis zu jenem denkwürdigen Tag, als die Bundesrepublik Deutschland im einzigen Pflichtspiel gegen die DDR mit 0:1 unterlag. Helmut Schön sah sich gezwungen, innerhalb der Mannschaft Änderungen vorzunehmen. Es traf unter anderem Grabowski, der sich auf der Bank wiederfand. Doch als es im Spiel gegen Schweden nicht rund lief, wurde er eingewechselt und erzielte drei Minuten später das vorentscheidende 3:2 für die BRD. Ab diesem Moment war Grabi wieder gesetzt. Im Zwischenrundenspiel gegen Polen, der „Wasserschlacht von Frankfurt“, gehörte er zu den stärksten Spielern.

Helmut Schön bittet um Rücktritt vom Rücktritt

Als die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien anstand, flehte Bundestrainer Schön, Grabi solle vom Rücktritt aus der Nationalmannschaft zurücktreten. Grabowski kam ins Grübeln, blieb aber konsequent. Bei der Eintracht war er weiterhin der unangefochtene Spielmacher und das Gesicht des Vereins.

Die Höhepunkte mit seiner Eintracht spielten sich genau zwischen diesen beiden Weltmeisterschaften ab. Am 17. August 1974, gerade mal sechs Wochen nach dem WM-Triumph, feierte Grabi mit der Eintracht den ersten DFB-Pokalsieg nach dem 3:1 gegen den Hamburger SV. 1975 folgte ein weiterer Pokaltriumph, diesmal gewann die Eintracht im Finale von Hannover gegen den MSV Duisburg.

Im November 1975 besiegte die SGE die Münchner Bayern mit 6:0, Grabi traf in der 28. Minute per Kunstschuss zum 3:0. In derselben Saison stand er mit der Eintracht im Europapokalhalbfinale, scheiterte aber am West Ham United FC. Eine Spielzeit später strotzte er unter Trainer Gjula Lorant nur so vor Selbstbewusstsein, die Eintracht blieb in 21 Spielen hintereinander ungeschlagen.

Immer an seiner Seite: Bernd Hölzenbein. Auch er spielte 15 Jahre für die Eintracht und in Deutschland für keinen anderen Profiverein, auch er absolvierte über 500 Pflichtspiele für die Eintracht, auch er traf beim 6:0 gegen die Bayern. Gemeinsam wurde ihnen anlässlich des Weltmeistertitels 1974 das Silberne Lorbeerblatt verliehen. Beide sind Ehrenspielführer der Eintracht. Der Zweikampf im WM-Finale, der zum Elfmeter führte, war lange Thema, für Hölzenbein war die Sache immer klar. „Es war ein Foul“, beteuerte er immer wieder.

Im November 1980 hängt Jürgen Grabowski die Fußballstiefel endgültig an den Nagel.

Ein deutlicheres Foul war in jedem Fall das, was Jürgen Grabowski am 15. März 1980 widerfuhr. Im Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach wurde er kurz vor Spielende im Niemandsland eines Fußballfelds gefoult und musste verletzt ausgewechselt werden. Die Eintracht siegte mit 5:2, doch das war nur eine Randnotiz. Grabi sollte nie wieder zurückkehren auf den Platz. Als die Eintracht am 21. Mai 1980 mit dem Gewinn des Europapokals den ersten internationalen Titel feierte, saß er mit brauner Lederjacke am Spielfeldrand. Als Bernd Hölzenbein nach Schlusspfiff den Pokal entgegennahm, reichte Holz diesen unter dem tosenden Applaus des Publikums sofort weiter an Jürgen Grabowski. Zu seinem Abschiedsspiel im November 1980 kamen über 40.000 Fans. In 555 Pflichtspielen für seine Eintracht erzielte Grabi 151 Tore.

„Sie kriegen von mir keine Freigabe“

Nur einmal dachte er daran, dem Verein untreu zu werden: 1969 hatte Bayern München um den Fußballstar geworben. Jürgen war zum Eintracht-Präsidenten Rudolf Gramlich gegangen und bat um die Freigabe. „Das kommt gar nicht in Frage, Sie kriegen von mir keine Freigabe“, antwortete Gramlich streng. Zeit seines Lebens berichtete Grabi, dass ihm damals ein Stein vom Herzen gefallen sei – letztlich sei er froh gewesen, in Frankfurt bleiben zu können.

Jürgen Grabowski blieb der Eintracht immer nahe, eine ausführliche Funktionärskarriere legte er aber nicht hin. 1977 arbeitete er wenige Tage als Interimstrainer, 1983 machte er das noch mal für zehn Tage und Anfang der 1990er Jahre arbeitete er im Verwaltungsrat des Vereins. Privat betrieb er mit seiner Frau Helga eine Versicherungsagentur in Taunusstein. Ausgleich fand er auf dem Golfplatz, wo er mit viel Begeisterung und Talent weitere sportliche Erfolge feierte. Dort jagte auch Bernd Hölzenbein gelegentlich die kleinen Bälle in die Luft, er blieb auch nach der Karriere der Eintracht in offizieller Funktion treu und ebnete unter anderem als Vizepräsident und Manager den Weg zum „Fußball 2000“.

Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein recken gemeinsam den Europapokal in die Höhe.

In der Erinnerung der Eintracht-Fans blieb Jürgen Grabowski über Generationen der Ausnahmespieler des Vereins. „Wir haben die Eintracht im Endspiel geseh‘n“, sangen die Fans seit den 1970er Jahren im G-Block, „mit dem Jürgen“. Das Lied, das mit dem Refrain „Schwarz und weiß wie Schnee, das ist die SGE, wir holen den DFB-Pokal und wir werden Deutscher Meister“ endet, wurde über Fangenerationen weitergegeben, auch wenn die Eintracht nicht Deutscher Meister wurde. Ende der 1990er Jahre brachte die Frankfurter Thrash-Metal-Band Tankard den Fansong in musikalische Ordnung und produzierte das Lied anlässlich des 100. Geburtstags des Vereins.

Es dauerte noch mal fast sechs Jahre, ehe das Lied im Stadion zu hören war. Als die Eintracht im April 2006 zum ersten Mal seit fast 20 Jahren ein Pokalfinale erreichte, sorgte der heutige Eintracht-Vorstand Philipp Reschke dafür, dass das Lied nach dem erfolgreichen Halbfinalsieg gegen Arminia Bielefeld im jubelnden Stadion eingespielt wurde. Der Rest ist Geschichte. Zum Pokalfinale 2006 spielte Tankard erstmals im Berliner Olympiastadion. Einen weiteren Auftritt gab es 2017. Diesmal stand Jürgen Grabowski im Innenraum des Stadions direkt bei Sänger Gerre. Ein Jahr später gewann die Eintracht tatsächlich den DFB-Pokal. Jürgen Grabowski war 2018 in Berlin vor Ort und jubelte mit seiner Eintracht. Zu der Zeit gehörte die Hymne längst zum festen Ritual vor jedem Heimspiel der SGE und Grabi war mächtig stolz darauf: „Natürlich ist man da stolz. Seitdem das Lied vor Anpfiff gespielt wird, gehe ich immer ein wenig früher auf meinen Platz“, lachte er einmal in einem Interview.

Eintracht-Fans huldigen der am 10. März 2022 verstorbenen Vereinslegende Jürgen Grabowski.

In seinem letzten Lebensjahr war Jürgen Grabowski gesundheitlich angeschlagen. Am 10. März 2022 verstarb er im Alter von 77 Jahren in Wiesbaden. Zu dieser Zeit stand die Eintracht im Achtelfinale der UEFA Europa League. Vor dem Viertelfinale gegen den FC Barcelona verabschiedete sich die Nordwestkurve mit einer großen Choreographie von „Mr. Eintracht“. „Auferstehen werden nur Götter“ war als Text in der Nordwestkurve zu lesen. Nach dem Europapokalsieg 2022 verwies Eintrachts Vorstandssprecher Axel Hellmann einmal mehr auf die „Metaphysik, die im Fußball eine Rolle spielt“. Dass die Eintracht ausgerechnet in dem Jahr, in dem Jürgen Grabowski verstarb, den Titel nach 42 Jahren zurück nach Frankfurt bringt, sei so etwas wie Bestimmung. „Etwas anderes kann mir niemand erzählen.“

50 Jahre nach dem Tag von München, 50 Jahre nach dem Gewinn des ersten DFB-Pokals und zwei Jahre nach seinem Tod ist Jürgen Grabowski weiterhin eine prägende Figur der Eintracht. Die Gegentribüne des Stadions ist nach dem Weltmeister benannt. Als im März das Jubiläumstrikot verkauft wurde, ließen sich unzählige Anhänger den Namen Grabowski auf das Leibchen flocken. Jürgens Frau Helga wurde lebenslanges Mitglied bei der Eintracht. 2023 beim Pokalfinale in Berlin begleitete sie Gerre und Tankard in den Innenraum des Olympiastadions, um gemeinsam mit der Band sowie den 2018er-Pokalsiegern Alex Meier, David Abraham und Mijat Gacinovic die Eintracht-Hymne zu intonieren. Gemeinsam mit fast 50.000 Fans sangen sie vor Anpfiff die Hymne der Fans: „Wir haben die Eintracht im Endspiel geseh‘n, mit dem Jürgen, mit dem Jürgen. Sie spielte so gut und sie spielte so schön, mit dem Jürgen Grabowski. Schwarz und weiß wie Schnee, das ist die SGE, wir holen den DFB-Pokal und wir werden Deutscher Meister!“.

Lieber Grabi, Du fehlst!