14.05.2020
Team

„Ich war immer ehrlich zum Fußball“

Gelson Fernandes blickt auf seine facettenreiche Karriere zurück und verrät, wie es danach für ihn weitergeht.

Gelson, die Mannschaft ist endlich wieder im Teamtraining, wie fühlt sich das an?
Es fühlt sich gut an. Wir haben in Kleingruppen ordentlich trainiert. Das ist nicht das Gleiche wie sonst, aber wir sind glücklich, dass wir wieder unsere Arbeit machen können. Wir haben Spaß daran, zusammen zu sein. Fußball ist unsere Leidenschaft. Das ist das, was wir am meisten lieben und das müssen wir nutzen.

Durch die Coronapandemie verzögert sich die Saison. Hast du durch diese Verzögerung eventuell die Chance bekommen, in dieser Saison nochmal auf dem Platz zu stehen?
Es hat fast vier Monate gedauert, bis ich wieder mit der Mannschaft trainieren konnte. Ich brauche natürlich Zeit, um gezielte Trainingseinheiten für meine Beine zu absolvieren. Aber ich bin da und bereit, der Mannschaft zu helfen.

Am kommenden Wochenende geht es wieder richtig los mit der Bundesliga. Wie schätzt du die restliche Saison ein?
Wir werden unsere mentale Stärke zeigen. Es wird nicht einfach werden, aber die Situation ist für alle Mannschaften gleich. Von daher müssen wir uns gut vorbereiten, denn es geht um viel. Wir müssen Spiele gewinnen. Nach zwei Monaten, in denen wir im Kopf weit weg vom Fußball waren, müssen wir die Konzentration wiederaufbauen.

Kommen wir zu einem ganz anderen Thema. Du hast für dich persönlich eine wichtige Entscheidung getroffen.
Ja, ich habe eine schwierige Entscheidung getroffen. Ich werde zum Abschluss der Saison meine Karriere beenden. Als Fußballer und Profi ist das nicht einfach, vor allem, wenn man so lange im Geschäft ist. Aber ich denke, es ist der richtige Zeitpunkt. Ich wollte immer selbst entscheiden wann, wo und warum ich aufhöre. So eine Entscheidung sollte nicht von anderen Leuten oder aufgrund der Leistung getroffen werden. Ich bin glücklich, meine Karriere in diesem Verein zu beenden. Leider können die Fans nicht dabei sein, aber ich werde zurückkommen. Ich habe lange überlegt. Am Ende muss ich ehrlich zu mir selbst, zu meinen Kollegen und zum Verein sein.

Hattest du nicht den Gedanken, noch eine Saison lang zu spielen, damit du deine Karriere vor den Fans beenden kannst?
Wir wissen nicht, wann wir wieder mit Zuschauern spielen können. Ich muss auf meinen Körper hören. Ich brauche immer länger Zeit, um mich zu erholen. Ich weiß, was ich kann und was ich früher konnte, das ändert sich natürlich mit den Jahren. Gerade während der Coronapandemie hat der Fußball und Eintracht Frankfurt mir sehr viel gegeben. Ich denke, es ist der richtige Zeitpunkt. Ich war immer ehrlich zum Fußball.

Eintracht Frankfurt ist für dich eine von insgesamt zehn Stationen als Fußballer, 16 Jahre lang warst du Profi. Hat deine Lust auf Neues zu den zahlreichen Stationen geführt?
Es waren 17 Jahre (lacht)! Manchmal war es bedingt durch einen Trainerwechsel, wenn der Trainer einen anderen Spielertypen gebraucht hat. Drei Mal war ich von Saint-Étienne ausgeliehen, als der Verein finanzielle Probleme hatte. Wir haben immer Lösungen gefunden. Es war eine lange Reise durch Europa. Ich bin stolz, für diese Klubs gespielt zu haben. Meine Karriere hier in Frankfurt zu beenden, ist schön.

Nimm uns einmal mit auf diese Reise: angefangen hast du als Kind beim FC Sion in der Schweiz. Dein Vater ist dort sogar Platzwart. Ist das deine Heimat?
Ja, Sion ist meine Heimat und mein Vater ist dort immer noch als Platzwart beschäftigt. Die Schweiz ist mein Zuhause, dort werde ich auch in Zukunft leben. Dort habe ich gelernt, Fußball zu spielen. Es ist auch der Ort, wo meine Freunde und meine Familie leben. In den Bergen ist meine Heimat.

Du kennst aber nicht nur Berge: Ursprünglich kommst du von den Kapverdischen Inseln.
Genau, ich werde in Zukunft auch mehr Zeit haben, zu den Kapverdischen Inseln zu reisen und meine Großmutter zu besuchen.

Die Schweiz und die Kapverdischen Inseln sind zwei unterschiedliche Welten. Was hat das eine, was das andere nicht hat?
Das passt gut zusammen. Die Menschen in der Schweiz sagen, die Berge und das Meer kombiniert seien ein Traum. Ich denke, ich werde ein bisschen von beidem nehmen.

Du bist von der Schweiz für damals sehr viel Geld zu Manchester City gewechselt. War der Verein zu deiner Zeit schon das Manchester City, das wir heute kennen?
Das war wirklich viel Geld. Es war vielleicht nicht das Manchester City von heute, aber ein Jahr, nachdem ich gekommen bin, wechselte der Besitzer des Vereins. Dann hat sich vieles geändert. Mir wurde damals gesagt, dass der Verein groß rauskommen würde. Ich war jung und wollte unbedingt jedes Spiel spielen. Ich sollte bleiben und geduldig sein, aber ich war eben ungeduldig. Die Verantwortlichen sagten mir, ein Verkauf innerhalb der Premier League sei unmöglich. Dann habe ich mich entschieden, nach Frankreich zu gehen.

Waren im Kader von Manchester City zu deiner Zeit bereits viele Nationalspieler im Einsatz? Konntest du dich als Spieler aus einer kleinen Nation wie der Schweiz überhaupt durchsetzen?
Ich habe in zwei Saisons etwa 50 Spiele gemacht. Es war nicht einfach, aber ich hatte bereits damals einen gewissen Charakter. Ich wollte unbedingt für meinen Platz in der Mannschaft kämpfen.

Du hast auch viel mit Dieter Hamann gespielt, oder?
Ja, mit Didi habe ich zusammengespielt. Er hat mir unglaublich viel geholfen. Wenn wir zusammenwaren, habe ich mich immer gefragt, was ich wohl mache, wenn ich mal 33, 34 Jahre alt bin und wie ich in diesem Alter spielen könnte. Didi war unglaublich clever, er hatte eine tolle Technik und ein gutes Auge. Einfach Wahnsinn. Seine erste Saison war super, in den ersten vier oder fünf Monaten war er überragend und der beste Mann auf dem Platz. Didi war immer „Man of the Match“. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich diesen tollen Fußballer und Typ im Rahmen der Bundesliga treffe.

Dann ging es für dich erstmal nach Frankreich und von dort aus immer wieder nach Italien. Wie unterschiedlich ist der Fußball, der in diesen Ländern gespielt wird?
Es ist definitiv anders. Die Spielsysteme, die Taktik und die Kultur unterscheiden sich. Ich habe bei jeder meiner Stationen viel gelernt und hatte überall viel Spaß. Ich hatte das Glück, viele Leute, die Kulturen, die Sprachen und das Essen kennenzulernen.

In Freiburg konntest du ein Jahr lang einen ersten Vorgeschmack auf die Bundesliga erhalten. Dann ging es für dich wieder nach Frankreich zu Stades Rennes. Dort genießt du ein hohes Ansehen und warst sogar Kapitän. Danach ging es nach Frankfurt, wie ist es dazu gekommen?
Frankfurt war der letzte Traum für mich. Niko Kovac hat mich damals überzeugt. Er hat mir gesagt, dass er Spielertypen wie mich in der Kabine und für die Mannschaft braucht. Als er mich gefragt hat, ob ich bereit sei, dafür zu arbeiten, habe ich überlegt. Dann habe ich eine Entscheidung getroffen – und die war richtig. Ich muss mich bei Niko bedanken, denn ich durfte in Frankfurt drei besondere Jahre erleben.

Was hast du bei der Eintracht bekommen, was andere Vereine dir vielleicht nicht geben konnten?
Wir haben hier die vergangenen drei Jahre eine Verbindung zu den Fans und zu der Stadt aufgebaut. Die Menschen hier waren sehr stolz. Wir haben auf dem Platz immer alles gegeben und waren nie allein. Die Stadt, die Menschen und die Fans haben mir jeden Tag unglaublich viel Kraft gegeben. Wir hatten einfach Erfolg und dann ist es toll hier in Frankfurt zu spielen.

Du hast schon viel erlebt im Sport. Hat sich der Fußball deiner Meinung nach spürbar verändert?
Der Fußball ist viel schneller geworden. Außerhalb des Platzes haben die Medien einen großen Einfluss bekommen. Viele Informationen sind schnell im Umlauf, was früher so nicht der Fall war. Früher hat man ein Interview gegeben, was dann nach zwei Wochen erst in den ausländischen Medien auftauchte. Mit Twitter, Instagram und so weiter dauert das heute nur eine Sekunde oder wenige Minuten. Alle wollen die Informationen haben, für Journalisten und Medienabteilungen ist das schwierig. Ich spüre, dass dieser Druck da ist, die Informationen am schnellsten zu bekommen und keine Fehler zu machen. Wir müssen etwas Abstand davon nehmen, denn wir können nicht 24 Stunden an die Arbeit denken und daran, was wir vielleicht vergessen haben. Heute geht alles so schnell.

Viele kennen dich als fröhlichen und immer gut gelaunten Menschen. Wann warst du das letzte Mal richtig sauer?
Das letzte Mal war ich richtig sauer, als wir gegen Freiburg gespielt haben. Da war ich wirklich sauer auf mich selbst. Privat versuche ich, immer ein positiver Mensch zu sein. Ich muss mich jeden Tag bedanken, denn ich habe alles. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich meinen Traum erreicht. Mit dem was ich in meinem Leben habe, bin ich sehr glücklich.

Wenn du auf deine Karriere zurückblickst, hast du eigentlich nichts verpasst, oder?
Ich bin zufrieden und nutze jetzt die letzten Wochen und die letzten Spiele für mich. Wenn ich zurückschaue, kann ich sagen, dass ich alles gegeben habe, was ich hatte. Ich war immer professionell und habe bis zum Ende für den Fußball gelebt. Ich habe keinen Unsinn gemacht und auf meinen Schlaf, mein Essen und meine Reisen geachtet. Das war ein Teil meines Lebens. Natürlich sind wir traurig, dass es nicht mein ganzes Leben lang weitergeht. Es ist zwar nicht das Gleiche, wie auf dem Platz zu stehen, aber ich werde dem Fußball erhalten bleiben.

Wie geht es für dich nach der Saison weiter?
Ich werde 2021 einen Master in Management bei der UEFA beginnen. Dann werden wir weitersehen. Mein Traum ist es, bei einem Verein zu arbeiten. Ich muss noch viel lernen und mein Netzwerk weiterentwickeln. Mal schauen, was die Zukunft bringt.

Gibt es etwas, was du den Fans zum Abschluss mitgeben willst?
Ich kann nur sagen: Danke! Die Emotionen, die ich hier erlebt habe, sind unglaublich. Leider können wir momentan nicht vor dieser Kulisse spielen. Die Fans haben uns und mir sehr viel gegeben und ich habe das Trikot immer mit Stolz getragen. Das werde ich bis zur letzten Minute machen. Es war mir eine Ehre, für diesen Klub zu spielen. Ich bin glücklich, dass ich noch ein paar Spiele mit meinen Kollegen vor mir habe. Es ist schade, dass die Fans nicht dabei sein können. Die Situation mit dem Coronavirus ist historisch, das haben wir alle noch nicht erlebt. Meine Familie und ich bedanken uns von ganzem Herzen. In einem solchen Verein zu spielen, ist für einen Fußballer großes Glück.

Danke Gelson, auch für uns war es eine Ehre!