Gewissermaßen kommen die Adler nach dem Jahreswechsel bislang weniger wie ein Adler daher, der die Lüfte beherrscht, sondern gleichen eher einem Chamäleon, das sich seiner Umgebung anpasst. Grundlagenarbeit bei der TSG Hoffenheim, am Limit gegen Leipzig in der Liga, unter den eigenen Möglichkeiten in Düsseldorf – und am Dienstagabend Ekstase im DFB-Pokal.„Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ schallte es nach 97 Spielminuten frenetisch von den Rängen in der Commerzbank-Arena, die zwar mit 47.400 Zuschauern nicht ausverkauft war, worauf die Lärmkulisse aber nicht unbedingt schließen ließ. „Das sind die Spiele, die wir lieben. Woche für Woche auf diesem Niveau und vor diesen Fans zu spielen“, schwärmte Sportvorstand Fredi Bobic vom gegenüber dem schmeichelhaften 1:1 bei der Fortuna um 180 Grad gewandelten Geniestreich gegen den Herbstmeister und Vorjahresfinalisten.
Mit Mut und Mathematik
Wenig überraschend stellte Adi Hütter fest: „Wir haben besser gespielt als vor zehn Tagen. Ich wollte mit dem 4-3-3 Julian überraschen“, erklärte der Cheftrainer das modifizierte System, das dazu diente, die Dreierabwehrkette der Gäste im Spielaufbau Mann gegen Mann zu eliminieren, also Gleichzahl herzustellen. Das Einmaleins der Neutralisation, in der Theorie effektiv, in der Praxis laufintensiv. „Normal haben wir bessere Lösungen gegen ein solches Pressing“, räumte Julian Nagelsmann ein. Der Gäste-Coach hatte sich ebenfalls einen Kniff überlegt: „Timo Werner hat nicht begonnen, weil wir vor zehn Tagen wenige Umschaltaktionen hatten und ich Adi mit einer Umstellung in der Offensive überraschen wollte.“Silvas Elfmetergeheimnis
Die Hausherren begannen ihrerseits zwischen der serbischen Flügelzange Gacinovic/Kostic mit der dritten verschiedenen Spitze in den vergangenen drei Partien. André Silva hatte schon vor dem Spiel angekündigt, auf alle Szenarien vorbereitet zu sein, Elfmeterschießen inbegriffen. Weil nicht nur die Auf- und Einstellung Frankfurts Hand und Fuß hatte, sondern auch Marcel Halstenberg nach einer Viertelstunde mit beiden Gliedmaßen den Ball berührte, schritt der Portugiese früher als gedacht zum Elfmeterpunkt und verwandelte sicher zum 1:0. „Ich habe das Handspiel von Klostermann gesehen, mir den Ball schon genommen und mich darauf konzentriert, zu treffen. Ich war sicher, dass ich den Elfmeter reinmachen würde. Wie ich ihn reinmache, bleibt mein Geheimnis“, sprach aus dem Sommerzugang im Nachgang die pure Überzeugung. Pikante Randnotiz: Der zurecht eingeschrittene Videoassistent kommt im DFB-Pokal erst seit dem Achtelfinale zur Anwendung.Psychospielchen
Und trug indirekt seinen Teil dazu bei, dass „Leipzig nach dem 1:0 mehr Risiko gehen“ musste, wie Filip Kostic aufzeigte. Wovon der Tempomacher auf der linken Seite kurz nach Wiederbeginn zum ersten Mal profitierte, als er von den aufgerückten Sachsen nicht aufzuhalten war und zum 2:0 einschob. „Dann kommt Psychologie ins Spiel, weil wir hier vor zehn Tagen verloren hatten“, befand Nagelsmann, der bald alle Register zog und nach Dani Olmo auch Timo Werner einwechselte. Der Spanier traf zum Anschluss, Letzterer ließ kurz vor Schluss den Ausgleich liegen. „Vier gute Abschlüsse im Strafraum in der ersten Halbzeit müssen für ein Tor reichen“, bemängelte Nagelsmann insgesamt das (Abschluss-)Verhalten der Gäste. „Die Eintracht war einen Tick galliger.“Seelenruhige Abwehrschlacht
Und abgezockter. Nicht nur beim entscheidenden 3:1, als der eingewechselte Goncalo Paciencia Kostic – wie bereits am 19. Spieltag – zur Vorentscheidung assistierte, sondern insgesamt während der leidenschaftlichen, aber vor allem unaufgeregten Abwehrschlacht, wozu nicht zuletzt Makoto Hasebe, schon 2011 für den VfL Wolfsburg gegen Leipzig angetreten, aber 2:3 verloren, seine Souveränität ausspielte. „Makoto hat länger nicht auf der Sechs gespielt. Mein Plan war, dass er den Raum vor der Abwehr besser schließen sollte. Das hat er sehr gut gemacht. Er wird immer ein Schlüsselspieler für uns sein“, lobte Hütter seinen ältesten Akteur, der im bislang wichtigsten Spiel 2020 zum ersten Einsatz in diesem Jahr gekommen war.Glaube keiner Serie, die du nicht selbst durchbrochen hast
Vergleichbar antizyklisch durchbrach die Eintracht die Miniserie, wonach in den vergangenen drei Jahren immer der vorherige Finalverlierer den DFB-Pokal gewonnen hatte: 2017 Dortmund, 2018 Frankfurt, 2019 München. Stattdessen steht die Eintracht zum dritten Mal in den vergangenen vier Jahren in der Runde der letzten Acht. Genau wie tabellarisch gelesen aktuell als Elfter der Bundesliga. Was die Hessen schon am Freitag im Vergleich mit dem nur einen Platz und Punkt entfernten FC Augsburg aus eigener Kraft ändern können. Und möchten. „Jetzt freuen wir uns auf Augsburg. Das wird ein harter Brocken, den wir voll konzentriert angehen werden“, blickt Bobic schon auf Freitagabend, der angesichts nur einer Niederlage aus den vergangenen 17 Freitagsspielen statistisch wie gemacht für den Traditionsverein scheint. Dass sich Chamäleons bei hellstem Tageslicht am wohlsten fühlen, bleibe einmal dahingestellt.