11.03.2021
Bundesliga

Mehr Lust als Frust

In der Champions League war im Achtelfinale Schluss, dafür leben in Leipzig in den nationalen Wettbewerben weiterhin gleich zwei Titelhoffnungen. Nicht unbegründet.

Situation: Bayern und Berlin im Blick

So viel steht fest: Leipzig ist auf Erfolgskurs. Nach 24 Spieltagen beträgt der Rückstand des Zweitplatzierten auf Tabellenführer Bayern München lediglich zwei Zähler, der Vorsprung auf den ersten Nicht-Champions-League-Platz wuchs zuletzt auf 13 Punkte. „Der Blick auf die Tabelle freut uns natürlich. Wir freuen uns über die 53 Punkte, dass wir unseren Champions-League-Platz weiter verteidigen und uns weiter absetzen konnten“, zeigte sich Cheftrainer Julian Nagelsmann nach dem jüngsten Auswärtserfolg beim SC Freiburg zufrieden.

Die Sachsen starteten mit zwei 1:0-Siegen gegen den VfB Stuttgart und Union Berlin, einem 2:2 gegen den VfL Wolfsburg sowie zwei Niederlagen gegen Borussia Dortmund (1:3) und Mainz 05 (2:3) zunächst etwas holprig in das Kalenderjahr 2021. Nach der Pleite gegen Mainz Ende Januar konnte Leipzig allerdings sechsmal in Folge gewinnen, am vergangenen Wochenende gab es einen 3:0-Sieg in Freiburg. Stürmer Alexander Sörloth ist sich der verlockenden Situation bewusst, bleibt aber sachlich: „Auch wenn uns der Blick auf die Tabelle sehr freut, schauen wir nur auf uns und von Spiel zu Spiel. Wir sind eine tolle Mannschaft mit fantastischen Spielern. Aber wir müssen weiter hart arbeiten und fokussiert bleiben, um die Chance auf einen Titel in dieser Saison zu wahren.“

Leipzig 2020/21
Kompakt16 Siege, 5 Unentschieden, 3 Niederlagen, 46:20 Tore, 53 Punkte, Tabellenplatz 2
FormkurveS-S-S-S-S
TorschützenNkunku (6), Forsberg (5), Poulsen (5), Sabitzer (5), Angelino (4), Orban (4), Dani Olmo (3), Mukiele (3), Sörloth (3), Halstenberg (2), Adams (1), Haidara (1), Kluivert (1), Konaté (1), Upamecano (1)

Neben dem Rennen um die Meisterschaft steht Leipzig im Halbfinale des DFB-Pokals und hat auch in dem deutschen Pokalwettbewerb weiterhin alle Chancen auf den ersten Titel der Vereinsgeschichte. Das Kapitel Königsklasse ist indes nach dem Achtelfinale beendet. Nachdem bereits das Hinspiel gegen den Liverpool FC mit 0:2 verloren ging, musste sich der Halbfinalist des Vorjahres auch im Rückspiel am Mittwochabend mit 0:2 geschlagen geben. Dennoch: Die Rückkehr in die kontinentale Eliteliga scheint allenfalls eine Frage der Form und Zeit.

Trainer: Talentierter Taktikfuchs

„Julian ist ein herausragendes Trainertalent, das mehr oder weniger schon alles unter Beweis gestellt hat, was man in diesem Geschäft braucht. Er wirkt jung, frisch und trotzdem seriös“, lobte LFC-Chefcoach Jürgen Klopp seinen Trainerkollegen vor dem ersten Aufeinandertreffen in der UEFA Champions League im Februar. Seine aktive Spielerkarriere musste Nagelsmann bereits im Alter von 20 Jahren aufgrund eines Meniskus- und Knorpelschadens beenden. Als Trainer ist der gebürtige Landsberger aber schon jetzt sehr erfolgreich. Über Scout- und Trainerjobs in den Jugendabteilungen des FC Augsburg und des TSV 1860 München kam er im Juli 2010 erst zur U17 der TSG Hoffenheim und übernahm nach Tätigkeiten als Co-Trainer der Profis und als Coach der U19 im Februar 2016 den Cheftrainerposten des Bundesligisten. Bei Amtsantritt war Nagelsmann zarte 28 Jahre alt und ging damit als jüngster Coach aller Zeiten in die Ligageschichte ein. Mit der TSG erreichte der ehemalige Innenverteidiger 2018 erstmals in der Hoffenheimer Historie die Gruppenphase der UEFA Champions League und zog in der Folge die Aufmerksamkeit anderer Klubs auf sich.

Im Sommer 2019 heuerte Nagelsmann in Leipzig an und führte den Klub in seiner ersten Saison sofort in die Königsklasse. Der 33-Jährige legt großen Wert auf eine konzentrierte Arbeit gegen den Ball, blitzartiges Umschalt- und variantenreiches Angriffsspiel. Eine Philosophie, die am Cottaweg auf Anhieb Anklang fand. Der Cheftrainer der Sachsen überrascht immer wieder mit taktischen Kniffen und funktionierte beispielsweise jüngst Alexander Sörloth, im Sommer als klassischer Mittelstürmer gekommen, erfolgreich zum Außenstürmer um, sodass der Norweger nicht anstelle von Yussuf Poulsen, sondern an dessen Seite zum Einsatz kommen konnte.

Taktiktafel: Vergleichsweise wenige, doch extrem energische Zweikämpfe

Die Nagelsmänner präsentieren sich in dieser Spielzeit taktisch variabel und passen ihre Ausrichtung häufig dem Gegner an. Dabei sind die Sachsen sowohl im 4-2-3-1- als auch im 3-5-2-System erfolgreich. Über weite Strecken der Saison agierte Leipzig aber auch im 3-4-2-1. Die enorme Balance ist allein anhand der nackten Fakten zu erkennen: 20 Gegentore sind die wenigsten im Oberhaus, 46 Treffer die viertmeisten. „Das Wichtigste ist, dass hinten die Null steht. Wir machen das super in der Verteidigung. Es fängt aber bereits bei unseren Stürmern an, die immer zeitig anlaufen. Dadurch haben wir frühe Ballgewinne und einen nur geringen Abstand zum gegnerischen Tor“, verrät Mittelfeldakteur Kevin Kampl das Erfolgsrezept seiner Mannschaft.

Pressingmaschine mit vielen Fixpunkten, wie Mittelfeldmotor Kevin Kampl (l.) und Sturmtank Alexander Sörloth (r.).

Die Sachsen definieren ihr Spiel vor allem durch aggressives (Gegen-)Pressing und schnelle offensive Umschaltaktionen. Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass der Tabellenzweite die meisten Zweikämpfe der Liga gewinnt (2839), obwohl er im Schnitt weniger direkte Duelle führt als 13 andere Teams (104 pro Spiel). Aufgrund der Dreifachbelastung rotierte Nagelsmann in den vergangenen Wochen immer wieder. Lediglich Keeper Peter Gulacsi, Tyler Adams, Dani Olmo und Yussuf Poulsen standen in den vergangenen drei Ligapartien immer in der Startelf. Vor allem in der Abwehr variiert die Aufstellung stets, zuletzt kamen Lukas Klostermann, Dayot Upamecano und Nordi Mukiele zum Einsatz. Mit Ex-Kapitän Willi Orban wissen die Rot-Weißen zudem den fünfteffektivsten Zweikämpfer (67,1 Prozent) der Liga in ihren Abwehrreihen, er wurde am Mittwoch geschont.

Willi Orban: Top-Fünf-Zweikämpfer und vierfacher Torschütze in dieser Saison.

Im Mittelfeld liefen neben Olmo und Adams gegen Freiburg Kevin Kampl, Amadou Haidara und Christopher Nkunku auf. Zudem setzte Nagelsmann erstmals seit dem 6. Spieltag auf die Doppelspitze Poulsen und Sörloth. Mit Marcel Sabitzer, Emil Forsberg, Hee-chan Hwang und Justin Kluivert stehen weitere offensive Alternativen bereit. Die Breite und Qualität des Leipziger Kaders spiegelt sich nicht zuletzt in der Torschützenliste wider: So trafen 2020/21 bereits 15 Akteure in der Bundesliga, lediglich Borussia Dortmund kann mehr Torschützen aufweisen (16).

Spieler im Fokus: Christopher Nkunku

Christopher Nkunku durchlief die gesamte Jugendabteilung von Paris St. Germain und rückte im Dezember 2015 zu den Profis auf. Der 23-Jährige kam in 78 Pflichtspielen für die Franzosen zum Einsatz und erzielte elf Tore, zudem wurde er mit seiner Mannschaft je drei Mal Meister und Superpokalsieger sowie je zwei Mal Pokal- und Ligapokalsieger. Im Sommer 2019 wechselte Nkunku nach Leipzig und stand bereits in seiner ersten Saison in 32 Erstligapartien auf dem Feld. Dabei glänzte er vor allem mit 15 Assists und fünf Toren.

Auch in der aktuellen Spielzeit präsentiert der offensive Mittelfeldspieler seine stürmischen Qualitäten: Mit sechs Treffern und fünf Vorlagen ist er gemeinsam mit Dani Olmo der Topscorer seiner Mannschaft. Aufgrund von Sprunggelenksproblemen verpasste Nkunku im Dezember und Januar fünf Bundesligabegegnungen, in allen anderen Partien kam er immer zum Einsatz. Dabei scheint die Formstärke der Leipziger auch mit der aktuellen Leistung des sechsfachen U21-Nationalspielers zusammenzuhängen – in den vergangenen sechs aufeinanderfolgenden siegreichen Partien blieb der Offensivakteur nur beim 3:0-Erfolg bei Hertha BSC ohne Scorerpunkt.

Immer für eine Vorlage gut: Christopher Nkunku.

Ein Blick auf die Zahlen verrät: Der Franzose erzielte in den anderen fünf Spielen vier Tore und steuerte drei Assists zum Erfolg bei. Am 24. Spieltag in Freiburg traf er zur Führung, legte das zweite Tor auf, gab insgesamt die meisten Torschussvorlagen (vier) und zog auch am häufigsten zum Sprint an (30 Mal). Keine Ausnahme beim 1,75-Meter-Wirbler, der bisher 36 Mal den Abschluss suchte (nur zwei Leipziger öfter) und zu 48 Versuchen auflegte (nur drei Bundesligaspieler mehr). Zumal der nicht weniger für die Außen geeignete Nkunku bei einer Spitzengeschwindigkeit von 34,22 Kilometern pro Stunde wie gemacht ist für ein dynamisches Überfallkommando. Allein ihn auszuschalten, wird vermutlich nicht reichen. Aber es wäre ein Anfang.

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