04.07.2020
Bundesliga

Nur die Ruhe

Die Ursachen für die Erfolgsphasen ließen sich zuletzt besser ergründen als die für Ergebniskrisen. Dafür stehen harte Fakten und weiche Faktoren.

Stillstand und die Eintracht aus Frankfurt. Das verträgt sich in der Mainmetropole in etwa so gut wie Ebbelwoi mit süßem Sprudel. Und doch scheint rückblickend gerade diese bei allem sportlichem Ehrgeiz gelebte Portion Demut und Unaufgeregtheit dazu beigetragen zu haben, dass der nach Mitgliedern sechstgrößte Bundesligist zum dritten Mal in Folge einen einstelligen Tabellenplatz erzielte. Zum Vergleich: Das war letztmals zwischen 1989 und 1995 gelungen, damals gar fünfmal am Stück. Hinzu kommen vier Halbfinalteilnahmen in den vergangenen vier Spielzeiten, drei Mal im DFB-Pokal, 2019 in der UEFA Europa League. „Über die zwei Jahre meiner Amtszeit hier haben wir den Weg fortgeführt. Zwar ohne Titel, aber mit 29 internationalen Spielen, zwei Halbfinals, zwei einstelligen Tabellenplätzen mit einem souveränen neunten Platz“, rechnet Adi Hütter entsprechend mit Blick auf seine Amtszeit vor. Der Cheftrainer selbst räumt ein, 2018 „als unbekanntes Gesicht in die Bundesliga gekommen“ zu sein und „nach Niko Kovac und dem Pokalsieg ein schweres Erbe“ angetreten zu haben. Erst recht nach dem 0:5 im DFL-Supercup gegen den FC Bayern um den neuen Coach Kovac sowie dem darauffolgenden Ausscheiden in der ersten Runde des DFB-Pokals in Ulm. 104 Pflichtspiele später sagt Hütter, mit einem Punkteschnitt von 1,43 im Ranking der aktuellen Bundesligatrainer auf Platz acht: „Der Verein ist auf einem sehr guten Weg. Ich bin stolz, Trainer von Eintracht Frankfurt zu sein.“

Nichts als die Wahrheit

Als Verantwortungsträger macht sich der Österreicher gleichwohl nicht der Schönfärberei verdächtig. Wenn er bemerkt, dass „wir nur ein Tor weniger als in der vergangenen Saison und insgesamt 27 Stürmertore haben, obwohl alle drei Angreifer zwischenzeitlich lange gefehlt [Dost, Paciencia und Silva kommen auf jeweils maximal 16 Startelfeinsätze; Anm. d. Red.] haben“, spricht er im selben Atemzug offen an, dass „60 Gegentore zu viele“ seien. „Auch unsere Auswärtsbilanz war lange Zeit wirklich schlecht.“ Nächstes Beispiel: Knapp zwei Drittel aller Frankfurter Treffer fielen nach dem Seitenwechsel, gar 20 in der Schlussviertelstunde. Zweifellos ein Zeichen körperlicher und mentaler Stärke. „Aber natürlich würde ich mir solche Auftritte auch in der ersten Halbzeit wünschen, auch wenn 90 starke Minuten den wenigsten Mannschaften gelingen“, wägt der Fußballlehrer ab. Nachlegen konnten die Hessen nicht nur auf der Zielgeraden dieser Spielzeit, die mit 54 Pflichtspielen einen neuen Rekord für den 121-jährigen Traditionsverein darstellt und in seiner Geschichte gegen Ende tendenziell eher Punkte verloren als gewonnen hat. 2020 feierten die Adlerträger in der zweiten Halbserie 27 Punkte und acht Siege, jeweils so viele seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Diesmal trat eine vergleichbare Phase eben bis zur Winterpause ein. Nicht nur für Fredi Bobic eine zu lange Ergebnismisere. „Aber wenn ich meine Kollegen aus den anderen Vereinen frage, hätten die an anderer Stelle auch gerne den einen oder anderen Punkte mehr geholt. Nach 34 Spieltagen steht jeder dort, wo er es verdient“, resümiert der Sportvorstand wohl reflektiert. Bobic wie Sportdirektor Bruno Hübner rechnet es Hütter hoch an, „auch in schwierigen Phasen die Ruhe behalten und der Mannschaft den Glauben an ihre Qualität vermittelt haben. Am Ende haben wir uns immer aus eigener Kraft aus dem Sumpf gezogen.“ Nach der Winterpause genauso wie nach dem Restart.

Dass die Ergebnisamplituden letztlich öfters nach oben als unten ausschlugen, war schließlich nicht nur neben dem Platz eine Frage der Ruhe, sondern auf dem Rasen. Stichwort: Ruhende Bälle. 19 Treffer nach Standards übertrafen auf nationaler Ebene nur Leipzig und Union Berlin, 13 Eckballtreffer sind wiederum genauso neuer Bundesligarekord wie die acht von der Eckfahne initiierten Buden von Martin Hinteregger. Auch aus dem Spiel heraus zeigten die Adler die ganz große Flugschule. 532 Hereingaben sind ebenso Ligaspitze wie die 209 Flanken von Filip Kostic. Natürlich fand nicht jeder Versuch einen Abnehmer oder gar Vollstrecker. Dennoch kommt es nicht von ungefähr, dass 57 der 59 Tore von innerhalb des Strafraumes fielen, darunter zwei Elfmeter.

Routiniers als Punktegaranten

Dass es in der eigenen Box oftmals nicht weniger brannte, ist wiederum nicht automatisch am Verhalten der Verteidiger festzumachen, vor dem Torhüter zwangsläufig das zweitschwächste Glied in der Fehlerkette. Beispielhaft festzumachen an David Abraham. Spielte der Kapitän, holte die Eintracht im Schnitt 1,85 Punkte, so viele wie mit keinem anderen Akteur auf dem Feld. Vergleichbar verhält es sich wettbewerbsübergreifend mit Gelson Fernandes (1,86) und Jonathan de Guzman (2,00). Wenig verwunderlich, dass es die Verantwortlichen begrüßen, dass Abraham sich gegen einen Abgang entschieden und Makoto Hasebe um ein Jahr verlängert hat. „Es ist wichtig, einen guten Mix in der Mannschaft zu haben. Ältere Spieler, die den Laden zusammenhalten. Genauso junge, die von hinten angreifen. Wichtig ist es, dass wir den jungen Spielern auch mal eine Saison Zeit geben, sich zu entwickeln“, behält Bobic die Gesamtentwicklung im Blick und verweist etwa auf heutige Spitzenstürmer wie Robert Lewandowski und Edin Dzeko, die ihrerseits „im ersten Jahr fast immer von der Bank kamen“, wie es in Frankfurt ein Luka Jovic tat.

Mittelfristig lauten die offensichtlichen Ziele daher, wieder wesentlich weniger Gegentore und Leistungsschwankungen zuzulassen. „Wir werden das in dieser Runde nicht mehr abstellen können, müssen das aber im nächsten Jahr unbedingt hinkriegen“, weiß auch Sebastian Rode, der sich bei der Ursachenforschung wiederum schwertut: „Wenn wir die Gründe wüssten, würden wir sie abstellen.“ So gesehen sind die Faktoren für Misserfolg anscheinend ein größeres Geheimnis als die für Erfolg. Dieser soll nicht „nur“ mit Ruhe beständig bleiben. Aber auch.